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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

eingegangenen Verpflichtungen in einer der wölfischen Sache abträglichen Weise
fest, und darin liegt ein Ausgleich, der noch durch andere Momente verstärkt
wird. Man muß sich doch auch fragen, was dabei herausgekommen wäre, wenn
man sich auch jetzt noch auf den Standpunkt von 1907 berufen hätte. Was
1907 durch die Haltung des Welfenhauses selbst gerechtfertigt wurde, hätte nach
den jjetzt vorliegenden Erklärungen den Charakter eines Vorwandes erhalten,
und eine bessere Unterstützung hätte man der welfischen Agitation nicht geben
können. Jetzt liegen Bedingungen vor, unter denen das fortgesetzte Treiben der
hannoverschen Welfenpartei weit eher imstande sein wird, manchen bisher gut¬
gläubigen Patrioten über das Wesen dieser Partei die Augen zu öffnen, und
das kann nur von Nutzen sein.




Ein ^treifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
von Adolf Stölzel i
3.

Nur in entfernten? Zusammenhang mit der Bedeutung des Wortes Horn
als Ausdruck der Kraft steht die vom Hornstoffe hergenommene Bedeutung.

Der Drache, den Siegfried tötet, ist laut des "aus weit älterer Zeit als
aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden" Siegfriedsliedes") nicht durch ein
Horn geschützt, sondern durch die Hornmasse, die seinen Körper überzieht. Sieg¬
fried wirft Bäume auf ihn und zündet sie an; dann badet er in "den: durch
Feuer geschmolzenen Horne" des Drachen und wird so zum "dürren Siegfried".

Von dem Horne als Hornmasse redet auch Homer. Er stellt Horn und
Eisen in Parallele, zugleich aber eigentümlicherweise Horn und Elfenbein in
einen Gegensatz.

Der klagenden Penelope Gram sieht der von ihr unerkannte Odysseus
mit erbarmenden Herzen, so daß seine Augen der Penelope gegenüberstehen
"wie Horn oder wie Eisen", und Penelope schildert die Pforten luftiger Traum¬
gebilde als die eine aus Elfenbein, die andere aus Horn gefertigt; erstere
täusche den Geist derer, die aus ihr hinausgehen, letztere, deute ihnen Wirk¬
lichkeit an""). Einen Grund für diese Unterscheidung zwischen Horn und zwischen
Elfenbein, das doch in seiner Qualität sich von Horn nicht allzusehr unterscheidet,
gibt Homer nicht an. Bacon in seinen Augmentis legt sich den Unterschied




") Vgl. Vilmar, Vorlesungen über die deutsche Nationalliteratur, 1847, S. 116,
**) Odyssee 19, 211. 663.
Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

eingegangenen Verpflichtungen in einer der wölfischen Sache abträglichen Weise
fest, und darin liegt ein Ausgleich, der noch durch andere Momente verstärkt
wird. Man muß sich doch auch fragen, was dabei herausgekommen wäre, wenn
man sich auch jetzt noch auf den Standpunkt von 1907 berufen hätte. Was
1907 durch die Haltung des Welfenhauses selbst gerechtfertigt wurde, hätte nach
den jjetzt vorliegenden Erklärungen den Charakter eines Vorwandes erhalten,
und eine bessere Unterstützung hätte man der welfischen Agitation nicht geben
können. Jetzt liegen Bedingungen vor, unter denen das fortgesetzte Treiben der
hannoverschen Welfenpartei weit eher imstande sein wird, manchen bisher gut¬
gläubigen Patrioten über das Wesen dieser Partei die Augen zu öffnen, und
das kann nur von Nutzen sein.




Ein ^treifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
von Adolf Stölzel i
3.

Nur in entfernten? Zusammenhang mit der Bedeutung des Wortes Horn
als Ausdruck der Kraft steht die vom Hornstoffe hergenommene Bedeutung.

Der Drache, den Siegfried tötet, ist laut des „aus weit älterer Zeit als
aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden" Siegfriedsliedes") nicht durch ein
Horn geschützt, sondern durch die Hornmasse, die seinen Körper überzieht. Sieg¬
fried wirft Bäume auf ihn und zündet sie an; dann badet er in „den: durch
Feuer geschmolzenen Horne" des Drachen und wird so zum „dürren Siegfried".

Von dem Horne als Hornmasse redet auch Homer. Er stellt Horn und
Eisen in Parallele, zugleich aber eigentümlicherweise Horn und Elfenbein in
einen Gegensatz.

Der klagenden Penelope Gram sieht der von ihr unerkannte Odysseus
mit erbarmenden Herzen, so daß seine Augen der Penelope gegenüberstehen
„wie Horn oder wie Eisen", und Penelope schildert die Pforten luftiger Traum¬
gebilde als die eine aus Elfenbein, die andere aus Horn gefertigt; erstere
täusche den Geist derer, die aus ihr hinausgehen, letztere, deute ihnen Wirk¬
lichkeit an""). Einen Grund für diese Unterscheidung zwischen Horn und zwischen
Elfenbein, das doch in seiner Qualität sich von Horn nicht allzusehr unterscheidet,
gibt Homer nicht an. Bacon in seinen Augmentis legt sich den Unterschied




") Vgl. Vilmar, Vorlesungen über die deutsche Nationalliteratur, 1847, S. 116,
**) Odyssee 19, 211. 663.
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[0451] Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie eingegangenen Verpflichtungen in einer der wölfischen Sache abträglichen Weise fest, und darin liegt ein Ausgleich, der noch durch andere Momente verstärkt wird. Man muß sich doch auch fragen, was dabei herausgekommen wäre, wenn man sich auch jetzt noch auf den Standpunkt von 1907 berufen hätte. Was 1907 durch die Haltung des Welfenhauses selbst gerechtfertigt wurde, hätte nach den jjetzt vorliegenden Erklärungen den Charakter eines Vorwandes erhalten, und eine bessere Unterstützung hätte man der welfischen Agitation nicht geben können. Jetzt liegen Bedingungen vor, unter denen das fortgesetzte Treiben der hannoverschen Welfenpartei weit eher imstande sein wird, manchen bisher gut¬ gläubigen Patrioten über das Wesen dieser Partei die Augen zu öffnen, und das kann nur von Nutzen sein. Ein ^treifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie von Adolf Stölzel i 3. Nur in entfernten? Zusammenhang mit der Bedeutung des Wortes Horn als Ausdruck der Kraft steht die vom Hornstoffe hergenommene Bedeutung. Der Drache, den Siegfried tötet, ist laut des „aus weit älterer Zeit als aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden" Siegfriedsliedes") nicht durch ein Horn geschützt, sondern durch die Hornmasse, die seinen Körper überzieht. Sieg¬ fried wirft Bäume auf ihn und zündet sie an; dann badet er in „den: durch Feuer geschmolzenen Horne" des Drachen und wird so zum „dürren Siegfried". Von dem Horne als Hornmasse redet auch Homer. Er stellt Horn und Eisen in Parallele, zugleich aber eigentümlicherweise Horn und Elfenbein in einen Gegensatz. Der klagenden Penelope Gram sieht der von ihr unerkannte Odysseus mit erbarmenden Herzen, so daß seine Augen der Penelope gegenüberstehen „wie Horn oder wie Eisen", und Penelope schildert die Pforten luftiger Traum¬ gebilde als die eine aus Elfenbein, die andere aus Horn gefertigt; erstere täusche den Geist derer, die aus ihr hinausgehen, letztere, deute ihnen Wirk¬ lichkeit an""). Einen Grund für diese Unterscheidung zwischen Horn und zwischen Elfenbein, das doch in seiner Qualität sich von Horn nicht allzusehr unterscheidet, gibt Homer nicht an. Bacon in seinen Augmentis legt sich den Unterschied ") Vgl. Vilmar, Vorlesungen über die deutsche Nationalliteratur, 1847, S. 116, **) Odyssee 19, 211. 663.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/451>, abgerufen am 27.04.2024.