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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe

meinem Freunde vom Dampfer tanzte, wird nach zwanzig Jahren genau so
aussehen. ...

Dann wird wieder getanzt. Und dieses bunten Bildes freue ich mich, dieser
ehrlich-dummen Seeleute, denen man hier das bißchen Geld abnimmt, und
dieser jungen Mädels, die wie das liebe Leben aussehen. Und um die man sich
nach Mitternacht mit Messer und Coltrevolver rauft.

Lieber Himmel, nach zehn Tagen fahren sie fünf lange Wochen von
Southampton bis Punta Arenas und haben nichts von dem, was euch selbst¬
verständliche Tagesgabe ist. Also hinein in den Strudel. . . .

Erst als man mir sehr, sehr nahe legte, eine Flasche Rüdesheimer zu trinken,
der entschieden nach nicht ungetragenen Strümpfen duftete, habe ich sehr schnell
die Flucht ergriffen. Und bin in die obere Stadt gegangen. Und habe den
lustigen Tag als melancholischer Rotweintrinker ernst beschlossen.

"Herr Kapitän hat frische Austern bekommen und läßt den Herrn bitten,
um elf Uhr mit ihm. ..."

Da ist der Kerl schon wieder I

Rcraus! . . . Raus I




Glaubt nicht, lieben Freunde, daß dieser Art alle Eindrücke waren, die
mir die silbrige Scheldestadt mitgab. Sie hat mir allerlei geschenkt, als ich
durch ihre siebenschiffige Kathedrale schritt, und mir ein wundersames Geheimnis
aufging vor Marias goldumkleideten Frauenbilde. Als mir von Rubens Altar¬
bildern gellende Kreuzigungschreie kamen. Als ich vor des jüngeren Breughel
Kindermord stand... .

Lassen wir es heute lieber. Wer immer seine Feuilletonseele aushaucht,
wird am Ende ein leerer Schlauch.

Gönnt mir ein wenig dieses sorglose Aufnehmen, das man nicht gleich in
wohlgeformten Kritiken bezahlen muß.

Denkt, daß ich auszog wie ein Kaufmann, neue Ware einzuhandeln. Ich
will sie getreulich ausbreiten, zur rechten Stunde und am rechten Ort.


3. Londoner Herbsttage'

Grans, Eastham, Upton Park. In rasendem Laufe fliegt es vorbei. Der
Höhenzug drüben, hier die bunten Wiesen, vom lieben Gott hingeworfen für
eine frische, fröhliche Jagd hinter der Meute im Septemberfrühlicht. Zwischen
Ebene und Bergen die fröhliche Themse mit den ehrwürdigen Nelsonfregatten.
Die Häuser des Ostens jagen vorüber, tausende in gleicher Form, zu langen
Bataillonsfronten aufmarschiert.

Und dann nimmt dich das Ungeheuer auf und verschlingt dich doch nicht.
Du bist nicht ohne weiteres zur Zahl geworden, wie in den Millionenstädten
Amerikas oder des Kontinents. Dir bleibt in London immer ein Stück Jndi-


Reisebriefe

meinem Freunde vom Dampfer tanzte, wird nach zwanzig Jahren genau so
aussehen. ...

Dann wird wieder getanzt. Und dieses bunten Bildes freue ich mich, dieser
ehrlich-dummen Seeleute, denen man hier das bißchen Geld abnimmt, und
dieser jungen Mädels, die wie das liebe Leben aussehen. Und um die man sich
nach Mitternacht mit Messer und Coltrevolver rauft.

Lieber Himmel, nach zehn Tagen fahren sie fünf lange Wochen von
Southampton bis Punta Arenas und haben nichts von dem, was euch selbst¬
verständliche Tagesgabe ist. Also hinein in den Strudel. . . .

Erst als man mir sehr, sehr nahe legte, eine Flasche Rüdesheimer zu trinken,
der entschieden nach nicht ungetragenen Strümpfen duftete, habe ich sehr schnell
die Flucht ergriffen. Und bin in die obere Stadt gegangen. Und habe den
lustigen Tag als melancholischer Rotweintrinker ernst beschlossen.

„Herr Kapitän hat frische Austern bekommen und läßt den Herrn bitten,
um elf Uhr mit ihm. ..."

Da ist der Kerl schon wieder I

Rcraus! . . . Raus I




Glaubt nicht, lieben Freunde, daß dieser Art alle Eindrücke waren, die
mir die silbrige Scheldestadt mitgab. Sie hat mir allerlei geschenkt, als ich
durch ihre siebenschiffige Kathedrale schritt, und mir ein wundersames Geheimnis
aufging vor Marias goldumkleideten Frauenbilde. Als mir von Rubens Altar¬
bildern gellende Kreuzigungschreie kamen. Als ich vor des jüngeren Breughel
Kindermord stand... .

Lassen wir es heute lieber. Wer immer seine Feuilletonseele aushaucht,
wird am Ende ein leerer Schlauch.

Gönnt mir ein wenig dieses sorglose Aufnehmen, das man nicht gleich in
wohlgeformten Kritiken bezahlen muß.

Denkt, daß ich auszog wie ein Kaufmann, neue Ware einzuhandeln. Ich
will sie getreulich ausbreiten, zur rechten Stunde und am rechten Ort.


3. Londoner Herbsttage'

Grans, Eastham, Upton Park. In rasendem Laufe fliegt es vorbei. Der
Höhenzug drüben, hier die bunten Wiesen, vom lieben Gott hingeworfen für
eine frische, fröhliche Jagd hinter der Meute im Septemberfrühlicht. Zwischen
Ebene und Bergen die fröhliche Themse mit den ehrwürdigen Nelsonfregatten.
Die Häuser des Ostens jagen vorüber, tausende in gleicher Form, zu langen
Bataillonsfronten aufmarschiert.

Und dann nimmt dich das Ungeheuer auf und verschlingt dich doch nicht.
Du bist nicht ohne weiteres zur Zahl geworden, wie in den Millionenstädten
Amerikas oder des Kontinents. Dir bleibt in London immer ein Stück Jndi-


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[0048] Reisebriefe meinem Freunde vom Dampfer tanzte, wird nach zwanzig Jahren genau so aussehen. ... Dann wird wieder getanzt. Und dieses bunten Bildes freue ich mich, dieser ehrlich-dummen Seeleute, denen man hier das bißchen Geld abnimmt, und dieser jungen Mädels, die wie das liebe Leben aussehen. Und um die man sich nach Mitternacht mit Messer und Coltrevolver rauft. Lieber Himmel, nach zehn Tagen fahren sie fünf lange Wochen von Southampton bis Punta Arenas und haben nichts von dem, was euch selbst¬ verständliche Tagesgabe ist. Also hinein in den Strudel. . . . Erst als man mir sehr, sehr nahe legte, eine Flasche Rüdesheimer zu trinken, der entschieden nach nicht ungetragenen Strümpfen duftete, habe ich sehr schnell die Flucht ergriffen. Und bin in die obere Stadt gegangen. Und habe den lustigen Tag als melancholischer Rotweintrinker ernst beschlossen. „Herr Kapitän hat frische Austern bekommen und läßt den Herrn bitten, um elf Uhr mit ihm. ..." Da ist der Kerl schon wieder I Rcraus! . . . Raus I Glaubt nicht, lieben Freunde, daß dieser Art alle Eindrücke waren, die mir die silbrige Scheldestadt mitgab. Sie hat mir allerlei geschenkt, als ich durch ihre siebenschiffige Kathedrale schritt, und mir ein wundersames Geheimnis aufging vor Marias goldumkleideten Frauenbilde. Als mir von Rubens Altar¬ bildern gellende Kreuzigungschreie kamen. Als ich vor des jüngeren Breughel Kindermord stand... . Lassen wir es heute lieber. Wer immer seine Feuilletonseele aushaucht, wird am Ende ein leerer Schlauch. Gönnt mir ein wenig dieses sorglose Aufnehmen, das man nicht gleich in wohlgeformten Kritiken bezahlen muß. Denkt, daß ich auszog wie ein Kaufmann, neue Ware einzuhandeln. Ich will sie getreulich ausbreiten, zur rechten Stunde und am rechten Ort. 3. Londoner Herbsttage' Grans, Eastham, Upton Park. In rasendem Laufe fliegt es vorbei. Der Höhenzug drüben, hier die bunten Wiesen, vom lieben Gott hingeworfen für eine frische, fröhliche Jagd hinter der Meute im Septemberfrühlicht. Zwischen Ebene und Bergen die fröhliche Themse mit den ehrwürdigen Nelsonfregatten. Die Häuser des Ostens jagen vorüber, tausende in gleicher Form, zu langen Bataillonsfronten aufmarschiert. Und dann nimmt dich das Ungeheuer auf und verschlingt dich doch nicht. Du bist nicht ohne weiteres zur Zahl geworden, wie in den Millionenstädten Amerikas oder des Kontinents. Dir bleibt in London immer ein Stück Jndi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/48>, abgerufen am 28.04.2024.