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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Politik

Der japanisch-chinesische Konflikt und die
Großmächte. Den Freunden einer deutsch¬
britischen Annäherung bietet die chinesische
Revolution mit der recht bedenklichen Begleit¬
erscheinung des japanisch-chinesischen Kon¬
fliktes Gelegenheit, ihren Bestrebungen weitere
tatsächliche Unterlagen zu verschaffen. Um
"Mißverständnissen" in der Deutschland viel¬
fach feindlich gesinnten Presse Japans vor¬
zubeugen, sei vorausgeschickt, daß ein gemein¬
sames Arbeiten Deutschlands und Englands
auf dem Gebiete der ostasiatischen Politik
durchaus nicht eine unfreundliche Handlung
Deutschlands gegen Japan bedeuten würde.
In? Gegenteil! Auch der dem britisch-japa¬
nischen Bündnis nach wie vor sympathisch
gegenüberstehende Teil der Londoner Presse,
so vor allem die Times, hat bei seinen in
diesen Tagen an die Tokioer Adresse gerich¬
teten Mahnungen zur Mäßigung betont, daß
das chinesische Problem Japan im großen
und ganzen vor dieselben Aufgaben stelle,
wie die übrigen Großmächte; jede Gro߬
macht aber, die bedeutende wirtschaftliche
und finanzielle Interessen in China be¬
sitze, stehe vor der unabweisbaren Aufgabe,
zur möglichst beschleunigten Wiederherstellung
einer starken und beständigen Regierung der
ostasiatischen Republik beizutragen. Die Be¬
strebungen der Londoner Politik bewegen sich
hiernach allem Anscheine nach auf derselben

[Spaltenumbruch]

Bahn wie die Deutschlands. Japan hingegen
hat seit Jahren und vor allem in jüngster
Zeit mit zweifelsfreier Deutlichkeit gezeigt,
daß eS durchaus nicht den Wunsch hat, zur
Aufrichtung oder richtiger Neugründung eines
einigen und starken China beizutragen. Tritt
demnach ein deutsch-britisches Einvernehmen
in bezug auf Ostasien in Kraft, so geschieht
dies nur in Wahrung berechtigter wirtschafts¬
politischer Interessen beider Länder. Niemand
wird Japan, wenn es seine gegenwärtige
chinesische Desperadopolitik aufgibt, verwehren,
sich Deutschland und England in ihren zum
Heile Chinas unternommenen Bestrebungen
anzuschließen.

Die gegenwärtige Stellung Japans zu
China hat ihre eigentliche Begründung zweifel¬
los in dem Wunsch nach wirtschaftlicher Aus¬
dehnung, deren Erfolg die Tokioer Regierung
-- meines Erachtens irrtümlicherweise -- auf
dein Boden eines Politisch zerrissenen chine¬
sischen Reiches sucht. Sie ist ferner
auf die in neuerer Zeit entstandenen Be¬
ziehungen des ostasiatischen Jnselrciches zu
Rußland zurückzuführen. Die schwierige
Stellung Japans gegenüber den Vereinigten
Staaten ließ bald nach dem Frieden von
Portsmouth in Tokio den Wunsch laut werden,
mit dem Zarenreich zu einem gewissen Ein¬
vernehmen zu gelangen. Das konnte nur aus
Grund einer Abmachung über die nordchine¬
sischen Grenzländer, d. h. die Mongolei und
Mandschurei, geschehen. Daß diese vor Jahres-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Politik

Der japanisch-chinesische Konflikt und die
Großmächte. Den Freunden einer deutsch¬
britischen Annäherung bietet die chinesische
Revolution mit der recht bedenklichen Begleit¬
erscheinung des japanisch-chinesischen Kon¬
fliktes Gelegenheit, ihren Bestrebungen weitere
tatsächliche Unterlagen zu verschaffen. Um
„Mißverständnissen" in der Deutschland viel¬
fach feindlich gesinnten Presse Japans vor¬
zubeugen, sei vorausgeschickt, daß ein gemein¬
sames Arbeiten Deutschlands und Englands
auf dem Gebiete der ostasiatischen Politik
durchaus nicht eine unfreundliche Handlung
Deutschlands gegen Japan bedeuten würde.
In? Gegenteil! Auch der dem britisch-japa¬
nischen Bündnis nach wie vor sympathisch
gegenüberstehende Teil der Londoner Presse,
so vor allem die Times, hat bei seinen in
diesen Tagen an die Tokioer Adresse gerich¬
teten Mahnungen zur Mäßigung betont, daß
das chinesische Problem Japan im großen
und ganzen vor dieselben Aufgaben stelle,
wie die übrigen Großmächte; jede Gro߬
macht aber, die bedeutende wirtschaftliche
und finanzielle Interessen in China be¬
sitze, stehe vor der unabweisbaren Aufgabe,
zur möglichst beschleunigten Wiederherstellung
einer starken und beständigen Regierung der
ostasiatischen Republik beizutragen. Die Be¬
strebungen der Londoner Politik bewegen sich
hiernach allem Anscheine nach auf derselben

[Spaltenumbruch]

Bahn wie die Deutschlands. Japan hingegen
hat seit Jahren und vor allem in jüngster
Zeit mit zweifelsfreier Deutlichkeit gezeigt,
daß eS durchaus nicht den Wunsch hat, zur
Aufrichtung oder richtiger Neugründung eines
einigen und starken China beizutragen. Tritt
demnach ein deutsch-britisches Einvernehmen
in bezug auf Ostasien in Kraft, so geschieht
dies nur in Wahrung berechtigter wirtschafts¬
politischer Interessen beider Länder. Niemand
wird Japan, wenn es seine gegenwärtige
chinesische Desperadopolitik aufgibt, verwehren,
sich Deutschland und England in ihren zum
Heile Chinas unternommenen Bestrebungen
anzuschließen.

Die gegenwärtige Stellung Japans zu
China hat ihre eigentliche Begründung zweifel¬
los in dem Wunsch nach wirtschaftlicher Aus¬
dehnung, deren Erfolg die Tokioer Regierung
— meines Erachtens irrtümlicherweise — auf
dein Boden eines Politisch zerrissenen chine¬
sischen Reiches sucht. Sie ist ferner
auf die in neuerer Zeit entstandenen Be¬
ziehungen des ostasiatischen Jnselrciches zu
Rußland zurückzuführen. Die schwierige
Stellung Japans gegenüber den Vereinigten
Staaten ließ bald nach dem Frieden von
Portsmouth in Tokio den Wunsch laut werden,
mit dem Zarenreich zu einem gewissen Ein¬
vernehmen zu gelangen. Das konnte nur aus
Grund einer Abmachung über die nordchine¬
sischen Grenzländer, d. h. die Mongolei und
Mandschurei, geschehen. Daß diese vor Jahres-

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[0056] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Politik Der japanisch-chinesische Konflikt und die Großmächte. Den Freunden einer deutsch¬ britischen Annäherung bietet die chinesische Revolution mit der recht bedenklichen Begleit¬ erscheinung des japanisch-chinesischen Kon¬ fliktes Gelegenheit, ihren Bestrebungen weitere tatsächliche Unterlagen zu verschaffen. Um „Mißverständnissen" in der Deutschland viel¬ fach feindlich gesinnten Presse Japans vor¬ zubeugen, sei vorausgeschickt, daß ein gemein¬ sames Arbeiten Deutschlands und Englands auf dem Gebiete der ostasiatischen Politik durchaus nicht eine unfreundliche Handlung Deutschlands gegen Japan bedeuten würde. In? Gegenteil! Auch der dem britisch-japa¬ nischen Bündnis nach wie vor sympathisch gegenüberstehende Teil der Londoner Presse, so vor allem die Times, hat bei seinen in diesen Tagen an die Tokioer Adresse gerich¬ teten Mahnungen zur Mäßigung betont, daß das chinesische Problem Japan im großen und ganzen vor dieselben Aufgaben stelle, wie die übrigen Großmächte; jede Gro߬ macht aber, die bedeutende wirtschaftliche und finanzielle Interessen in China be¬ sitze, stehe vor der unabweisbaren Aufgabe, zur möglichst beschleunigten Wiederherstellung einer starken und beständigen Regierung der ostasiatischen Republik beizutragen. Die Be¬ strebungen der Londoner Politik bewegen sich hiernach allem Anscheine nach auf derselben Bahn wie die Deutschlands. Japan hingegen hat seit Jahren und vor allem in jüngster Zeit mit zweifelsfreier Deutlichkeit gezeigt, daß eS durchaus nicht den Wunsch hat, zur Aufrichtung oder richtiger Neugründung eines einigen und starken China beizutragen. Tritt demnach ein deutsch-britisches Einvernehmen in bezug auf Ostasien in Kraft, so geschieht dies nur in Wahrung berechtigter wirtschafts¬ politischer Interessen beider Länder. Niemand wird Japan, wenn es seine gegenwärtige chinesische Desperadopolitik aufgibt, verwehren, sich Deutschland und England in ihren zum Heile Chinas unternommenen Bestrebungen anzuschließen. Die gegenwärtige Stellung Japans zu China hat ihre eigentliche Begründung zweifel¬ los in dem Wunsch nach wirtschaftlicher Aus¬ dehnung, deren Erfolg die Tokioer Regierung — meines Erachtens irrtümlicherweise — auf dein Boden eines Politisch zerrissenen chine¬ sischen Reiches sucht. Sie ist ferner auf die in neuerer Zeit entstandenen Be¬ ziehungen des ostasiatischen Jnselrciches zu Rußland zurückzuführen. Die schwierige Stellung Japans gegenüber den Vereinigten Staaten ließ bald nach dem Frieden von Portsmouth in Tokio den Wunsch laut werden, mit dem Zarenreich zu einem gewissen Ein¬ vernehmen zu gelangen. Das konnte nur aus Grund einer Abmachung über die nordchine¬ sischen Grenzländer, d. h. die Mongolei und Mandschurei, geschehen. Daß diese vor Jahres-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/56>, abgerufen am 27.04.2024.