Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

frist in erweiterter Einigung nur mit der
Rückendeckung eines dauernden Schwäche¬
zustandes des chinesischen Reiches Daseins¬
berechtigung behalten konnte, ist selbstver¬
ständlich. Daher die Unterstützung der chine¬
sischen Revolution und der anschließenden
Aufstandsbewegung durch Japan, das gleich¬
zeitig für Rußland Kohlen aus dein Feuer
holt, dabei aber -- bewußt oder unbewußt
-- in Gegensatz zu seinen britischen Verbün¬
deten geraten ist, dessen Handel durch die von
Japan geschürten Unruhen in China empfind¬
lich leidet. Es soll nicht bestritten werden,
daß das geheimnisvolle britisch-japanische
"Jangtseabkommen" als ein Ausgleich für
den wirtschaftlichen Schaden gedacht ist,
den der kleine Unruhestifter seinein großen
Verbündeten zugefügt hat und in noch
viel höherem Matze zufügen kann. Die
Dauer der Heilkraft dieses Balsams darf
jedoch billig bezweifelt werden, denn über
ein Jangtseabkommen von größerer Tragweite
haben heutzutage doch nicht mehr zwei Mächte
allein zu entscheiden. Man kann demnach
nicht in Abrede stellen, daß der Verlauf der
chinesischen Revolution eine weitere Schwächung
des britisch-japanischen Bündnisses, das bereits
im Sommer vorigen Jahres von der japa¬
nischen Presse als "toter Buchstabe" bezeichnet
wurde, gebracht hat. Diese Tatsache wird in
London angesichts der eigenen Beziehungen
zu Petersburg und mit Rücksicht nuf die Mög¬
lichkeit unangenehmer Folgen der dauernden
Reibungen zwischen Japan und den Vereinigten
Staaten nicht allzu schmerzlich empfunden wer¬
den. Ziehen wir fernerm Betracht, daß England
von seinen GenossenimDreiverbandHandlungS-
freiheit im Bereich des fernen Ostens bean¬
sprucht, außerdem in seiner Tibetpolitik neuer¬
dings große Zurückhaltung übt, so scheint der
Weg für ein ehrliches freundschaftliches Zu¬
sammengehen Deutschlands und Englands in
der ostasiatischen Frage frei. Ihn: dürften
sich weder die Bundesgenossen Deutschlands
noch die Vereinigten Staaten in den Weg
stellen. Trifft daher die Voraussetzung, daß
ein Einvernehmen Deutschlands mit England
"von Fall zu Fall" möglich ist, überhaupt
zu, so ist ein solcher Fall in der chinesischen
H. v. A. Frage heute gegeben.

[Spaltenumbruch]
Schöne Literatur
Die französische Revolution im deutschen
Drama und Epos nach 1815 von Hans
Hirschstein. Stuttgart. I. B. Metzlersche
Buchhandlung. M. 9.--.

"Die Stoffe aus der französischen Re¬
volution widerstreben dadurch der Poesie, daß
die Leidenschaft in ihnen etwas Krampfhaftes
hat, und daß der Dichter in Versuchung ist,
zur Versöhnung mit dem für den nächsten
Blick fruchtlosen und trostlosen Ende dieses
großen Kampfes mit zu bemerkbarer Absicht
auf eine Zukunft hinzuweisen, die auch uns
noch in weiter Ferne steht" schrieb Friedrich
Theodor Bischer und dies Wort könnte das
Motto des vorliegenden Werkes sein. Mit
bewundernSwertem Fleiß hat der Verfasser
eine große Zahl von Revolutionsdichtungen,
die zum Teil nur handschriftlich vorlagen,
durchgearbeitet und auf ihren künstlerischen
Wert geprüft. Der größte Teil dieser Werke
ist innerlich und äußerlich von den be¬
kannten Historikern der Revolution, Thiers,
Mignet, Carlyle, Lamartine, Louis Blanc,
Sybel und Taine abhängig und macht in
der künstlerischen Behandlung große Anleihen
bei den eigenen Vorgängern, nur ganz wenige
Dichtungen zeigen originelle Ausfassung und
Darstellung dieses gewaltigen Ereignisses,
während die meisten Dramatiker der Re¬
volution ihr auch nicht im entferntesten ge¬
wachsen sind.

Die ganze Richtung der führenden Deut¬
schen war beim Ausbruch der großen Re¬
volution zu unpolitisch, um zu einer klaren,
objektiven Beurteilung zu führen. DaS
starke historische Verständnis der Romantik
wurde ihr eher gerecht, war aber durch den
Druck der reaktionären Zensur an Ausdruck
gehindert. Erst die Julirevolution und ihr
Widerhall in Deutschland bereitete den Boden
für das geniale Jugendwerk Georg Büchners,
"Dantons Tod" (erschienen 1838), mit dem sich
kein früheres oder späteres Revolutionsdrama
messen kann. Büchners Nachahmer, -- denen
aber seine historische Auffassung fehlt, -- und
die Schillerepigonen haben sich dann des
Stoffes bemächtigt und ihn mit starker Po¬
lnischer Tendenz bearbeitet, ohne doch bis
zur Zeit der Reichsgründung irgend ein Werk

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

frist in erweiterter Einigung nur mit der
Rückendeckung eines dauernden Schwäche¬
zustandes des chinesischen Reiches Daseins¬
berechtigung behalten konnte, ist selbstver¬
ständlich. Daher die Unterstützung der chine¬
sischen Revolution und der anschließenden
Aufstandsbewegung durch Japan, das gleich¬
zeitig für Rußland Kohlen aus dein Feuer
holt, dabei aber — bewußt oder unbewußt
— in Gegensatz zu seinen britischen Verbün¬
deten geraten ist, dessen Handel durch die von
Japan geschürten Unruhen in China empfind¬
lich leidet. Es soll nicht bestritten werden,
daß das geheimnisvolle britisch-japanische
„Jangtseabkommen" als ein Ausgleich für
den wirtschaftlichen Schaden gedacht ist,
den der kleine Unruhestifter seinein großen
Verbündeten zugefügt hat und in noch
viel höherem Matze zufügen kann. Die
Dauer der Heilkraft dieses Balsams darf
jedoch billig bezweifelt werden, denn über
ein Jangtseabkommen von größerer Tragweite
haben heutzutage doch nicht mehr zwei Mächte
allein zu entscheiden. Man kann demnach
nicht in Abrede stellen, daß der Verlauf der
chinesischen Revolution eine weitere Schwächung
des britisch-japanischen Bündnisses, das bereits
im Sommer vorigen Jahres von der japa¬
nischen Presse als „toter Buchstabe" bezeichnet
wurde, gebracht hat. Diese Tatsache wird in
London angesichts der eigenen Beziehungen
zu Petersburg und mit Rücksicht nuf die Mög¬
lichkeit unangenehmer Folgen der dauernden
Reibungen zwischen Japan und den Vereinigten
Staaten nicht allzu schmerzlich empfunden wer¬
den. Ziehen wir fernerm Betracht, daß England
von seinen GenossenimDreiverbandHandlungS-
freiheit im Bereich des fernen Ostens bean¬
sprucht, außerdem in seiner Tibetpolitik neuer¬
dings große Zurückhaltung übt, so scheint der
Weg für ein ehrliches freundschaftliches Zu¬
sammengehen Deutschlands und Englands in
der ostasiatischen Frage frei. Ihn: dürften
sich weder die Bundesgenossen Deutschlands
noch die Vereinigten Staaten in den Weg
stellen. Trifft daher die Voraussetzung, daß
ein Einvernehmen Deutschlands mit England
„von Fall zu Fall" möglich ist, überhaupt
zu, so ist ein solcher Fall in der chinesischen
H. v. A. Frage heute gegeben.

[Spaltenumbruch]
Schöne Literatur
Die französische Revolution im deutschen
Drama und Epos nach 1815 von Hans
Hirschstein. Stuttgart. I. B. Metzlersche
Buchhandlung. M. 9.—.

„Die Stoffe aus der französischen Re¬
volution widerstreben dadurch der Poesie, daß
die Leidenschaft in ihnen etwas Krampfhaftes
hat, und daß der Dichter in Versuchung ist,
zur Versöhnung mit dem für den nächsten
Blick fruchtlosen und trostlosen Ende dieses
großen Kampfes mit zu bemerkbarer Absicht
auf eine Zukunft hinzuweisen, die auch uns
noch in weiter Ferne steht" schrieb Friedrich
Theodor Bischer und dies Wort könnte das
Motto des vorliegenden Werkes sein. Mit
bewundernSwertem Fleiß hat der Verfasser
eine große Zahl von Revolutionsdichtungen,
die zum Teil nur handschriftlich vorlagen,
durchgearbeitet und auf ihren künstlerischen
Wert geprüft. Der größte Teil dieser Werke
ist innerlich und äußerlich von den be¬
kannten Historikern der Revolution, Thiers,
Mignet, Carlyle, Lamartine, Louis Blanc,
Sybel und Taine abhängig und macht in
der künstlerischen Behandlung große Anleihen
bei den eigenen Vorgängern, nur ganz wenige
Dichtungen zeigen originelle Ausfassung und
Darstellung dieses gewaltigen Ereignisses,
während die meisten Dramatiker der Re¬
volution ihr auch nicht im entferntesten ge¬
wachsen sind.

Die ganze Richtung der führenden Deut¬
schen war beim Ausbruch der großen Re¬
volution zu unpolitisch, um zu einer klaren,
objektiven Beurteilung zu führen. DaS
starke historische Verständnis der Romantik
wurde ihr eher gerecht, war aber durch den
Druck der reaktionären Zensur an Ausdruck
gehindert. Erst die Julirevolution und ihr
Widerhall in Deutschland bereitete den Boden
für das geniale Jugendwerk Georg Büchners,
„Dantons Tod" (erschienen 1838), mit dem sich
kein früheres oder späteres Revolutionsdrama
messen kann. Büchners Nachahmer, — denen
aber seine historische Auffassung fehlt, — und
die Schillerepigonen haben sich dann des
Stoffes bemächtigt und ihn mit starker Po¬
lnischer Tendenz bearbeitet, ohne doch bis
zur Zeit der Reichsgründung irgend ein Werk

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326869"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_201" prev="#ID_200"> frist in erweiterter Einigung nur mit der<lb/>
Rückendeckung eines dauernden Schwäche¬<lb/>
zustandes des chinesischen Reiches Daseins¬<lb/>
berechtigung behalten konnte, ist selbstver¬<lb/>
ständlich. Daher die Unterstützung der chine¬<lb/>
sischen Revolution und der anschließenden<lb/>
Aufstandsbewegung durch Japan, das gleich¬<lb/>
zeitig für Rußland Kohlen aus dein Feuer<lb/>
holt, dabei aber &#x2014; bewußt oder unbewußt<lb/>
&#x2014; in Gegensatz zu seinen britischen Verbün¬<lb/>
deten geraten ist, dessen Handel durch die von<lb/>
Japan geschürten Unruhen in China empfind¬<lb/>
lich leidet. Es soll nicht bestritten werden,<lb/>
daß das geheimnisvolle britisch-japanische<lb/>
&#x201E;Jangtseabkommen" als ein Ausgleich für<lb/>
den wirtschaftlichen Schaden gedacht ist,<lb/>
den der kleine Unruhestifter seinein großen<lb/>
Verbündeten zugefügt hat und in noch<lb/>
viel höherem Matze zufügen kann. Die<lb/>
Dauer der Heilkraft dieses Balsams darf<lb/>
jedoch billig bezweifelt werden, denn über<lb/>
ein Jangtseabkommen von größerer Tragweite<lb/>
haben heutzutage doch nicht mehr zwei Mächte<lb/>
allein zu entscheiden. Man kann demnach<lb/>
nicht in Abrede stellen, daß der Verlauf der<lb/>
chinesischen Revolution eine weitere Schwächung<lb/>
des britisch-japanischen Bündnisses, das bereits<lb/>
im Sommer vorigen Jahres von der japa¬<lb/>
nischen Presse als &#x201E;toter Buchstabe" bezeichnet<lb/>
wurde, gebracht hat. Diese Tatsache wird in<lb/>
London angesichts der eigenen Beziehungen<lb/>
zu Petersburg und mit Rücksicht nuf die Mög¬<lb/>
lichkeit unangenehmer Folgen der dauernden<lb/>
Reibungen zwischen Japan und den Vereinigten<lb/>
Staaten nicht allzu schmerzlich empfunden wer¬<lb/>
den. Ziehen wir fernerm Betracht, daß England<lb/>
von seinen GenossenimDreiverbandHandlungS-<lb/>
freiheit im Bereich des fernen Ostens bean¬<lb/>
sprucht, außerdem in seiner Tibetpolitik neuer¬<lb/>
dings große Zurückhaltung übt, so scheint der<lb/>
Weg für ein ehrliches freundschaftliches Zu¬<lb/>
sammengehen Deutschlands und Englands in<lb/>
der ostasiatischen Frage frei. Ihn: dürften<lb/>
sich weder die Bundesgenossen Deutschlands<lb/>
noch die Vereinigten Staaten in den Weg<lb/>
stellen. Trifft daher die Voraussetzung, daß<lb/>
ein Einvernehmen Deutschlands mit England<lb/>
&#x201E;von Fall zu Fall" möglich ist, überhaupt<lb/>
zu, so ist ein solcher Fall in der chinesischen<lb/><note type="byline"> H. v. A.</note> Frage heute gegeben. </p>
            <cb/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Schöne Literatur</head>
            <div n="3">
              <head> Die französische Revolution im deutschen<lb/>
Drama und Epos nach 1815 von Hans<lb/>
Hirschstein. Stuttgart. I. B. Metzlersche<lb/>
Buchhandlung. M. 9.&#x2014;.</head>
              <p xml:id="ID_202"> &#x201E;Die Stoffe aus der französischen Re¬<lb/>
volution widerstreben dadurch der Poesie, daß<lb/>
die Leidenschaft in ihnen etwas Krampfhaftes<lb/>
hat, und daß der Dichter in Versuchung ist,<lb/>
zur Versöhnung mit dem für den nächsten<lb/>
Blick fruchtlosen und trostlosen Ende dieses<lb/>
großen Kampfes mit zu bemerkbarer Absicht<lb/>
auf eine Zukunft hinzuweisen, die auch uns<lb/>
noch in weiter Ferne steht" schrieb Friedrich<lb/>
Theodor Bischer und dies Wort könnte das<lb/>
Motto des vorliegenden Werkes sein. Mit<lb/>
bewundernSwertem Fleiß hat der Verfasser<lb/>
eine große Zahl von Revolutionsdichtungen,<lb/>
die zum Teil nur handschriftlich vorlagen,<lb/>
durchgearbeitet und auf ihren künstlerischen<lb/>
Wert geprüft. Der größte Teil dieser Werke<lb/>
ist innerlich und äußerlich von den be¬<lb/>
kannten Historikern der Revolution, Thiers,<lb/>
Mignet, Carlyle, Lamartine, Louis Blanc,<lb/>
Sybel und Taine abhängig und macht in<lb/>
der künstlerischen Behandlung große Anleihen<lb/>
bei den eigenen Vorgängern, nur ganz wenige<lb/>
Dichtungen zeigen originelle Ausfassung und<lb/>
Darstellung dieses gewaltigen Ereignisses,<lb/>
während die meisten Dramatiker der Re¬<lb/>
volution ihr auch nicht im entferntesten ge¬<lb/>
wachsen sind.</p>
              <p xml:id="ID_203" next="#ID_204"> Die ganze Richtung der führenden Deut¬<lb/>
schen war beim Ausbruch der großen Re¬<lb/>
volution zu unpolitisch, um zu einer klaren,<lb/>
objektiven Beurteilung zu führen. DaS<lb/>
starke historische Verständnis der Romantik<lb/>
wurde ihr eher gerecht, war aber durch den<lb/>
Druck der reaktionären Zensur an Ausdruck<lb/>
gehindert. Erst die Julirevolution und ihr<lb/>
Widerhall in Deutschland bereitete den Boden<lb/>
für das geniale Jugendwerk Georg Büchners,<lb/>
&#x201E;Dantons Tod" (erschienen 1838), mit dem sich<lb/>
kein früheres oder späteres Revolutionsdrama<lb/>
messen kann. Büchners Nachahmer, &#x2014; denen<lb/>
aber seine historische Auffassung fehlt, &#x2014; und<lb/>
die Schillerepigonen haben sich dann des<lb/>
Stoffes bemächtigt und ihn mit starker Po¬<lb/>
lnischer Tendenz bearbeitet, ohne doch bis<lb/>
zur Zeit der Reichsgründung irgend ein Werk</p>
              <cb type="end"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] Maßgebliches und Unmaßgebliches frist in erweiterter Einigung nur mit der Rückendeckung eines dauernden Schwäche¬ zustandes des chinesischen Reiches Daseins¬ berechtigung behalten konnte, ist selbstver¬ ständlich. Daher die Unterstützung der chine¬ sischen Revolution und der anschließenden Aufstandsbewegung durch Japan, das gleich¬ zeitig für Rußland Kohlen aus dein Feuer holt, dabei aber — bewußt oder unbewußt — in Gegensatz zu seinen britischen Verbün¬ deten geraten ist, dessen Handel durch die von Japan geschürten Unruhen in China empfind¬ lich leidet. Es soll nicht bestritten werden, daß das geheimnisvolle britisch-japanische „Jangtseabkommen" als ein Ausgleich für den wirtschaftlichen Schaden gedacht ist, den der kleine Unruhestifter seinein großen Verbündeten zugefügt hat und in noch viel höherem Matze zufügen kann. Die Dauer der Heilkraft dieses Balsams darf jedoch billig bezweifelt werden, denn über ein Jangtseabkommen von größerer Tragweite haben heutzutage doch nicht mehr zwei Mächte allein zu entscheiden. Man kann demnach nicht in Abrede stellen, daß der Verlauf der chinesischen Revolution eine weitere Schwächung des britisch-japanischen Bündnisses, das bereits im Sommer vorigen Jahres von der japa¬ nischen Presse als „toter Buchstabe" bezeichnet wurde, gebracht hat. Diese Tatsache wird in London angesichts der eigenen Beziehungen zu Petersburg und mit Rücksicht nuf die Mög¬ lichkeit unangenehmer Folgen der dauernden Reibungen zwischen Japan und den Vereinigten Staaten nicht allzu schmerzlich empfunden wer¬ den. Ziehen wir fernerm Betracht, daß England von seinen GenossenimDreiverbandHandlungS- freiheit im Bereich des fernen Ostens bean¬ sprucht, außerdem in seiner Tibetpolitik neuer¬ dings große Zurückhaltung übt, so scheint der Weg für ein ehrliches freundschaftliches Zu¬ sammengehen Deutschlands und Englands in der ostasiatischen Frage frei. Ihn: dürften sich weder die Bundesgenossen Deutschlands noch die Vereinigten Staaten in den Weg stellen. Trifft daher die Voraussetzung, daß ein Einvernehmen Deutschlands mit England „von Fall zu Fall" möglich ist, überhaupt zu, so ist ein solcher Fall in der chinesischen H. v. A. Frage heute gegeben. Schöne Literatur Die französische Revolution im deutschen Drama und Epos nach 1815 von Hans Hirschstein. Stuttgart. I. B. Metzlersche Buchhandlung. M. 9.—. „Die Stoffe aus der französischen Re¬ volution widerstreben dadurch der Poesie, daß die Leidenschaft in ihnen etwas Krampfhaftes hat, und daß der Dichter in Versuchung ist, zur Versöhnung mit dem für den nächsten Blick fruchtlosen und trostlosen Ende dieses großen Kampfes mit zu bemerkbarer Absicht auf eine Zukunft hinzuweisen, die auch uns noch in weiter Ferne steht" schrieb Friedrich Theodor Bischer und dies Wort könnte das Motto des vorliegenden Werkes sein. Mit bewundernSwertem Fleiß hat der Verfasser eine große Zahl von Revolutionsdichtungen, die zum Teil nur handschriftlich vorlagen, durchgearbeitet und auf ihren künstlerischen Wert geprüft. Der größte Teil dieser Werke ist innerlich und äußerlich von den be¬ kannten Historikern der Revolution, Thiers, Mignet, Carlyle, Lamartine, Louis Blanc, Sybel und Taine abhängig und macht in der künstlerischen Behandlung große Anleihen bei den eigenen Vorgängern, nur ganz wenige Dichtungen zeigen originelle Ausfassung und Darstellung dieses gewaltigen Ereignisses, während die meisten Dramatiker der Re¬ volution ihr auch nicht im entferntesten ge¬ wachsen sind. Die ganze Richtung der führenden Deut¬ schen war beim Ausbruch der großen Re¬ volution zu unpolitisch, um zu einer klaren, objektiven Beurteilung zu führen. DaS starke historische Verständnis der Romantik wurde ihr eher gerecht, war aber durch den Druck der reaktionären Zensur an Ausdruck gehindert. Erst die Julirevolution und ihr Widerhall in Deutschland bereitete den Boden für das geniale Jugendwerk Georg Büchners, „Dantons Tod" (erschienen 1838), mit dem sich kein früheres oder späteres Revolutionsdrama messen kann. Büchners Nachahmer, — denen aber seine historische Auffassung fehlt, — und die Schillerepigonen haben sich dann des Stoffes bemächtigt und ihn mit starker Po¬ lnischer Tendenz bearbeitet, ohne doch bis zur Zeit der Reichsgründung irgend ein Werk

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/57
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/57>, abgerufen am 28.04.2024.