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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Augustus
Lin Märchen
von Hermann Hesse (Schluß)

Nach manchen Jahren, als der junge Augustus ein Student geworden war
und rote Mützen und einen Schnurrbart trug, da kam er einmal wieder in seine
Heimat gefahren, weil der Pate ihm geschrieben hatte, seine Mutter sei so
krank, daß sie nicht mehr lange leben könne. Der Jüngling kam am Abend an
und die Leute sahen mit Bewunderung zu, wie er aus dem Wagen stieg und
wie der Kutscher ihm einen großen ledernen Koffer in das Häuschen nachtrug.
Die Mutter aber lag sterbend in dem alten niederen Zimmer, und als der
schöne Student in weißen Kissen ein weißes, welkes Gesicht liegen sah, das ihn
nur noch mit stillen Augen begrüßen konnte, da sank er weinend an der Bett¬
statt nieder und küßte seiner Mutter kühle Hände und kniete bei ihr die ganze
Nacht, bis die Hände kalt und die Augen erloschen waren.

Und als sie die Mutter begraben hatten, da nahm ihn der Pate Binß-
wcmger am Arm und ging mit ihm in sein Häuschen, das schien dem jungen
Menschen noch niedriger und dunkler geworden, und als sie lange beisammen
gesessen waren und nur die kleinen Fenster noch schwach in der Dunkelheit
schimmerten, da strich der kleine alte Mann mit hageren Fingern über
seinen grauen Bart und sagte zu Augustus: "Ich will ein Feuer im Kamin
anmachen, dann brauchen wir die Lampe nicht. Ich weiß, du mußt morgen
wieder davonreisen, und jetzt, wo deine Mutter tot ist, wird man dich ja so
bald nicht wiedersehen."

Indem er das sagte, zündete er ein kleines Feuer im Kamine an und rückte
seinen Sessel näher hinzu, und der Student den seinen, und dann saßen sie
wieder eine lange Weile und blickten auf die verglühenden Scheiter, bis die
Funken spärlicher flogen, und da sagte der Alte sanft: "Lebwohl, Augustus.
ich wünsche dir Gutes. Du hast eine brave Mutter gehabt und sie hat mehr
an dir getan als du weißt. Gern hätte ich dir noch einmal Musik gemacht
und die kleinen Seligen gezeigt, aber du weißt, das geht nicht mehr. Indessen
sollst du sie nicht vergessen und sollst wissen, daß sie noch immer singen und
daß auch du sie vielleicht einmal wieder hören kannst, wenn du einst mit einem




Augustus
Lin Märchen
von Hermann Hesse (Schluß)

Nach manchen Jahren, als der junge Augustus ein Student geworden war
und rote Mützen und einen Schnurrbart trug, da kam er einmal wieder in seine
Heimat gefahren, weil der Pate ihm geschrieben hatte, seine Mutter sei so
krank, daß sie nicht mehr lange leben könne. Der Jüngling kam am Abend an
und die Leute sahen mit Bewunderung zu, wie er aus dem Wagen stieg und
wie der Kutscher ihm einen großen ledernen Koffer in das Häuschen nachtrug.
Die Mutter aber lag sterbend in dem alten niederen Zimmer, und als der
schöne Student in weißen Kissen ein weißes, welkes Gesicht liegen sah, das ihn
nur noch mit stillen Augen begrüßen konnte, da sank er weinend an der Bett¬
statt nieder und küßte seiner Mutter kühle Hände und kniete bei ihr die ganze
Nacht, bis die Hände kalt und die Augen erloschen waren.

Und als sie die Mutter begraben hatten, da nahm ihn der Pate Binß-
wcmger am Arm und ging mit ihm in sein Häuschen, das schien dem jungen
Menschen noch niedriger und dunkler geworden, und als sie lange beisammen
gesessen waren und nur die kleinen Fenster noch schwach in der Dunkelheit
schimmerten, da strich der kleine alte Mann mit hageren Fingern über
seinen grauen Bart und sagte zu Augustus: „Ich will ein Feuer im Kamin
anmachen, dann brauchen wir die Lampe nicht. Ich weiß, du mußt morgen
wieder davonreisen, und jetzt, wo deine Mutter tot ist, wird man dich ja so
bald nicht wiedersehen."

Indem er das sagte, zündete er ein kleines Feuer im Kamine an und rückte
seinen Sessel näher hinzu, und der Student den seinen, und dann saßen sie
wieder eine lange Weile und blickten auf die verglühenden Scheiter, bis die
Funken spärlicher flogen, und da sagte der Alte sanft: „Lebwohl, Augustus.
ich wünsche dir Gutes. Du hast eine brave Mutter gehabt und sie hat mehr
an dir getan als du weißt. Gern hätte ich dir noch einmal Musik gemacht
und die kleinen Seligen gezeigt, aber du weißt, das geht nicht mehr. Indessen
sollst du sie nicht vergessen und sollst wissen, daß sie noch immer singen und
daß auch du sie vielleicht einmal wieder hören kannst, wenn du einst mit einem


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[0575] [Abbildung] Augustus Lin Märchen von Hermann Hesse (Schluß) Nach manchen Jahren, als der junge Augustus ein Student geworden war und rote Mützen und einen Schnurrbart trug, da kam er einmal wieder in seine Heimat gefahren, weil der Pate ihm geschrieben hatte, seine Mutter sei so krank, daß sie nicht mehr lange leben könne. Der Jüngling kam am Abend an und die Leute sahen mit Bewunderung zu, wie er aus dem Wagen stieg und wie der Kutscher ihm einen großen ledernen Koffer in das Häuschen nachtrug. Die Mutter aber lag sterbend in dem alten niederen Zimmer, und als der schöne Student in weißen Kissen ein weißes, welkes Gesicht liegen sah, das ihn nur noch mit stillen Augen begrüßen konnte, da sank er weinend an der Bett¬ statt nieder und küßte seiner Mutter kühle Hände und kniete bei ihr die ganze Nacht, bis die Hände kalt und die Augen erloschen waren. Und als sie die Mutter begraben hatten, da nahm ihn der Pate Binß- wcmger am Arm und ging mit ihm in sein Häuschen, das schien dem jungen Menschen noch niedriger und dunkler geworden, und als sie lange beisammen gesessen waren und nur die kleinen Fenster noch schwach in der Dunkelheit schimmerten, da strich der kleine alte Mann mit hageren Fingern über seinen grauen Bart und sagte zu Augustus: „Ich will ein Feuer im Kamin anmachen, dann brauchen wir die Lampe nicht. Ich weiß, du mußt morgen wieder davonreisen, und jetzt, wo deine Mutter tot ist, wird man dich ja so bald nicht wiedersehen." Indem er das sagte, zündete er ein kleines Feuer im Kamine an und rückte seinen Sessel näher hinzu, und der Student den seinen, und dann saßen sie wieder eine lange Weile und blickten auf die verglühenden Scheiter, bis die Funken spärlicher flogen, und da sagte der Alte sanft: „Lebwohl, Augustus. ich wünsche dir Gutes. Du hast eine brave Mutter gehabt und sie hat mehr an dir getan als du weißt. Gern hätte ich dir noch einmal Musik gemacht und die kleinen Seligen gezeigt, aber du weißt, das geht nicht mehr. Indessen sollst du sie nicht vergessen und sollst wissen, daß sie noch immer singen und daß auch du sie vielleicht einmal wieder hören kannst, wenn du einst mit einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/575>, abgerufen am 28.04.2024.