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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Rückblick ^3

Ein lautes Jahr ist an uns vorübergezogen, laut durch übermäßig zahl¬
reiche Erinnerungsfeiern, aber auch laut durch die Vorgänge auf dem Gebiet
der inneren und äußeren Politik. Was ist der Nation aus allem für ein Ge¬
winn geblieben? Wer erkühnte sich, es ermessen zu wollen, wo noch eben die
Abschlüsse über die Regierung eines Vierteljahrhunderts gezeigt haben, wie
schwer es ist, sich als Zeitgenosse selbst über Gewinn und Verlust während eines
größeren Zeitraums Rechenschaft zu geben. Überdies war 1913 trotz des Ne-
gierungsjubiläums des dritten deutschen Kaisers kein rechtes Bilanzjahr. Weder in
den Dingen der äußeren, noch in denen der inneren Politik sind abschließende Er¬
eignisse von solcher Tragweite eingetreten, daß sich eine glatte Rechnung auf¬
stellen ließe. Der Bukarester Friede wird sowohl von den österreichischen, wie
von den deutschen Staatsmännern als eine Basis für weitere Verhandlungen
nicht aber als ein Abschluß hingestellt; in der inneren Politik Deutschlands und
Preußens gährt alles noch, wie am Anfang des Jahres. Das eine kann man
also feststellen: das Jahr ist seinen, Charakter bis zum Schluß treu geblieben.
Sowohl die äußere wie die innere Politik endet dies Jahr mit Unruhe.


Auswärtige Politik. Allgemeines

"Eine der größten Krisen, welche die Geschichte verzeichnet," so nannte der
italienische Minister Marchese ti San Giulio.no die Summe der Ereignisse auf
den Brettern der europäischen Politik, und er fügte hinzu, daß zahlreiche wichtige
Fragen noch schweben und "zahlreiche wichtige Interessen aller Länder auf dem
Spiel stehen". Der Italiener hat mit seinen Worten den rosagefärbten Bericht
des verantwortlichen Leiters der deutschen auswärtigen Politik, des Herrn Reichs¬
kanzlers, eine Nuance dunkler gemacht, was aber insofern nichts schadet, als er
zugleich die im Material recht mageren Mitteilungen des Herrn von Bethmann
ergänzte. Überhaupt haben diesmal die Minister des Auslandes, soweit sie sich
über die schwebenden Fragen der auswärtigen Politik geäußert haben, ein Bild
von der internationalen Stellung Deutschlands komponiert, wie es klarer eigentlich




Reichsspiegel
Rückblick ^3

Ein lautes Jahr ist an uns vorübergezogen, laut durch übermäßig zahl¬
reiche Erinnerungsfeiern, aber auch laut durch die Vorgänge auf dem Gebiet
der inneren und äußeren Politik. Was ist der Nation aus allem für ein Ge¬
winn geblieben? Wer erkühnte sich, es ermessen zu wollen, wo noch eben die
Abschlüsse über die Regierung eines Vierteljahrhunderts gezeigt haben, wie
schwer es ist, sich als Zeitgenosse selbst über Gewinn und Verlust während eines
größeren Zeitraums Rechenschaft zu geben. Überdies war 1913 trotz des Ne-
gierungsjubiläums des dritten deutschen Kaisers kein rechtes Bilanzjahr. Weder in
den Dingen der äußeren, noch in denen der inneren Politik sind abschließende Er¬
eignisse von solcher Tragweite eingetreten, daß sich eine glatte Rechnung auf¬
stellen ließe. Der Bukarester Friede wird sowohl von den österreichischen, wie
von den deutschen Staatsmännern als eine Basis für weitere Verhandlungen
nicht aber als ein Abschluß hingestellt; in der inneren Politik Deutschlands und
Preußens gährt alles noch, wie am Anfang des Jahres. Das eine kann man
also feststellen: das Jahr ist seinen, Charakter bis zum Schluß treu geblieben.
Sowohl die äußere wie die innere Politik endet dies Jahr mit Unruhe.


Auswärtige Politik. Allgemeines

„Eine der größten Krisen, welche die Geschichte verzeichnet," so nannte der
italienische Minister Marchese ti San Giulio.no die Summe der Ereignisse auf
den Brettern der europäischen Politik, und er fügte hinzu, daß zahlreiche wichtige
Fragen noch schweben und „zahlreiche wichtige Interessen aller Länder auf dem
Spiel stehen". Der Italiener hat mit seinen Worten den rosagefärbten Bericht
des verantwortlichen Leiters der deutschen auswärtigen Politik, des Herrn Reichs¬
kanzlers, eine Nuance dunkler gemacht, was aber insofern nichts schadet, als er
zugleich die im Material recht mageren Mitteilungen des Herrn von Bethmann
ergänzte. Überhaupt haben diesmal die Minister des Auslandes, soweit sie sich
über die schwebenden Fragen der auswärtigen Politik geäußert haben, ein Bild
von der internationalen Stellung Deutschlands komponiert, wie es klarer eigentlich


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[0634] [Abbildung] Reichsspiegel Rückblick ^3 Ein lautes Jahr ist an uns vorübergezogen, laut durch übermäßig zahl¬ reiche Erinnerungsfeiern, aber auch laut durch die Vorgänge auf dem Gebiet der inneren und äußeren Politik. Was ist der Nation aus allem für ein Ge¬ winn geblieben? Wer erkühnte sich, es ermessen zu wollen, wo noch eben die Abschlüsse über die Regierung eines Vierteljahrhunderts gezeigt haben, wie schwer es ist, sich als Zeitgenosse selbst über Gewinn und Verlust während eines größeren Zeitraums Rechenschaft zu geben. Überdies war 1913 trotz des Ne- gierungsjubiläums des dritten deutschen Kaisers kein rechtes Bilanzjahr. Weder in den Dingen der äußeren, noch in denen der inneren Politik sind abschließende Er¬ eignisse von solcher Tragweite eingetreten, daß sich eine glatte Rechnung auf¬ stellen ließe. Der Bukarester Friede wird sowohl von den österreichischen, wie von den deutschen Staatsmännern als eine Basis für weitere Verhandlungen nicht aber als ein Abschluß hingestellt; in der inneren Politik Deutschlands und Preußens gährt alles noch, wie am Anfang des Jahres. Das eine kann man also feststellen: das Jahr ist seinen, Charakter bis zum Schluß treu geblieben. Sowohl die äußere wie die innere Politik endet dies Jahr mit Unruhe. Auswärtige Politik. Allgemeines „Eine der größten Krisen, welche die Geschichte verzeichnet," so nannte der italienische Minister Marchese ti San Giulio.no die Summe der Ereignisse auf den Brettern der europäischen Politik, und er fügte hinzu, daß zahlreiche wichtige Fragen noch schweben und „zahlreiche wichtige Interessen aller Länder auf dem Spiel stehen". Der Italiener hat mit seinen Worten den rosagefärbten Bericht des verantwortlichen Leiters der deutschen auswärtigen Politik, des Herrn Reichs¬ kanzlers, eine Nuance dunkler gemacht, was aber insofern nichts schadet, als er zugleich die im Material recht mageren Mitteilungen des Herrn von Bethmann ergänzte. Überhaupt haben diesmal die Minister des Auslandes, soweit sie sich über die schwebenden Fragen der auswärtigen Politik geäußert haben, ein Bild von der internationalen Stellung Deutschlands komponiert, wie es klarer eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/634>, abgerufen am 27.04.2024.