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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe von Fritz Reck-Malleczewen
4. Seefahrt.

Seit drei Wochen nun hält uns Vater Atlantic in seinen Armen. Und
wenn ich von Punta Arenas diesen Brief auf die Heimreise schicke, werden es mehr
als fünf gewesen sein.

Was sind euch fünf Wochen? Ihr seid mitten im frohen Auftakt der
Saison, lauft zu den ersten Proben, schmiedet die ersten Winterintriguen, steile
euch am immer neuen Spiele eines frischen, frohen Flirtes . . . und scheltet
die dekadente Kultur Alt-Europas. Bitte sehr, für einige Tage bin ich zum
Tausch bereit; endloser Himmel, endloses Wasser in endlosen fünf Wochen, daK
find drei sehr einfache Elemente, in deren Mitte euch doch vielleicht das Ver-
langen nach der Kompliziertheit unserer Kultur überkäme.

Auch ich kann es nicht leugnen; es wäre mir lieb, wieder einmal eine Materie
um mich zu spüren, die kühler wäre, als dreißig Celsiusgrade.

Ich kann es nicht leugnen, daß mich manchmal in der schwülen Sinnlichkeit
dieser Tropennächte die Sehnsucht überkommt nach den brennenden Farben und
dem letzten leidenschaftlichen Aufbegehren eurer klaren Frühherbsttage. Ich
kann nicht leugnen, daß auch von diesem Schiff Schauer süßbegehrender Sehn¬
sucht hinüberzittern nach dem Lande, das wir hinter uns ließen. Wie von
jedem Schiff, das junge Fracht einsame Wege führt.

O nein, tot ist Alt-Europa nicht für mich. Ich bummelte so gerne einmal
die Linden entlang und werde gewiß manchmal in Ekuadors höllenheißen Fieber¬
sümpfen an verstaubte Flaschen und unverstaubte Menschen in Lutter und
Wegners verräucherten vier Wänden denken.

Aber ich will nicht undankbar sein. Es gibt Weine, die nur unter
besonderen Sonnenstrahlen reifen. Und es gibt Dinge, mit denen man nur
fern von seinen ausgetretenen Pfaden fertig wird. Und am Ende umgibt mich
nieine alte Geliebte, die See, mit ihrer ganzen pflegenden Zärtlichkeit. Am
frühen Morgen grüßt sie mich und küßt im Bade den tropennachtmatten Körper
ein wenig frisch. Ein wenig nur. Gerade soviel, daß man die Energie hat,
sich anzuziehen und aufs Achterdeck zu gehen. Denn dort ganz hinten ist




Reisebriefe von Fritz Reck-Malleczewen
4. Seefahrt.

Seit drei Wochen nun hält uns Vater Atlantic in seinen Armen. Und
wenn ich von Punta Arenas diesen Brief auf die Heimreise schicke, werden es mehr
als fünf gewesen sein.

Was sind euch fünf Wochen? Ihr seid mitten im frohen Auftakt der
Saison, lauft zu den ersten Proben, schmiedet die ersten Winterintriguen, steile
euch am immer neuen Spiele eines frischen, frohen Flirtes . . . und scheltet
die dekadente Kultur Alt-Europas. Bitte sehr, für einige Tage bin ich zum
Tausch bereit; endloser Himmel, endloses Wasser in endlosen fünf Wochen, daK
find drei sehr einfache Elemente, in deren Mitte euch doch vielleicht das Ver-
langen nach der Kompliziertheit unserer Kultur überkäme.

Auch ich kann es nicht leugnen; es wäre mir lieb, wieder einmal eine Materie
um mich zu spüren, die kühler wäre, als dreißig Celsiusgrade.

Ich kann es nicht leugnen, daß mich manchmal in der schwülen Sinnlichkeit
dieser Tropennächte die Sehnsucht überkommt nach den brennenden Farben und
dem letzten leidenschaftlichen Aufbegehren eurer klaren Frühherbsttage. Ich
kann nicht leugnen, daß auch von diesem Schiff Schauer süßbegehrender Sehn¬
sucht hinüberzittern nach dem Lande, das wir hinter uns ließen. Wie von
jedem Schiff, das junge Fracht einsame Wege führt.

O nein, tot ist Alt-Europa nicht für mich. Ich bummelte so gerne einmal
die Linden entlang und werde gewiß manchmal in Ekuadors höllenheißen Fieber¬
sümpfen an verstaubte Flaschen und unverstaubte Menschen in Lutter und
Wegners verräucherten vier Wänden denken.

Aber ich will nicht undankbar sein. Es gibt Weine, die nur unter
besonderen Sonnenstrahlen reifen. Und es gibt Dinge, mit denen man nur
fern von seinen ausgetretenen Pfaden fertig wird. Und am Ende umgibt mich
nieine alte Geliebte, die See, mit ihrer ganzen pflegenden Zärtlichkeit. Am
frühen Morgen grüßt sie mich und küßt im Bade den tropennachtmatten Körper
ein wenig frisch. Ein wenig nur. Gerade soviel, daß man die Energie hat,
sich anzuziehen und aufs Achterdeck zu gehen. Denn dort ganz hinten ist


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[0092] [Abbildung] Reisebriefe von Fritz Reck-Malleczewen 4. Seefahrt. Seit drei Wochen nun hält uns Vater Atlantic in seinen Armen. Und wenn ich von Punta Arenas diesen Brief auf die Heimreise schicke, werden es mehr als fünf gewesen sein. Was sind euch fünf Wochen? Ihr seid mitten im frohen Auftakt der Saison, lauft zu den ersten Proben, schmiedet die ersten Winterintriguen, steile euch am immer neuen Spiele eines frischen, frohen Flirtes . . . und scheltet die dekadente Kultur Alt-Europas. Bitte sehr, für einige Tage bin ich zum Tausch bereit; endloser Himmel, endloses Wasser in endlosen fünf Wochen, daK find drei sehr einfache Elemente, in deren Mitte euch doch vielleicht das Ver- langen nach der Kompliziertheit unserer Kultur überkäme. Auch ich kann es nicht leugnen; es wäre mir lieb, wieder einmal eine Materie um mich zu spüren, die kühler wäre, als dreißig Celsiusgrade. Ich kann es nicht leugnen, daß mich manchmal in der schwülen Sinnlichkeit dieser Tropennächte die Sehnsucht überkommt nach den brennenden Farben und dem letzten leidenschaftlichen Aufbegehren eurer klaren Frühherbsttage. Ich kann nicht leugnen, daß auch von diesem Schiff Schauer süßbegehrender Sehn¬ sucht hinüberzittern nach dem Lande, das wir hinter uns ließen. Wie von jedem Schiff, das junge Fracht einsame Wege führt. O nein, tot ist Alt-Europa nicht für mich. Ich bummelte so gerne einmal die Linden entlang und werde gewiß manchmal in Ekuadors höllenheißen Fieber¬ sümpfen an verstaubte Flaschen und unverstaubte Menschen in Lutter und Wegners verräucherten vier Wänden denken. Aber ich will nicht undankbar sein. Es gibt Weine, die nur unter besonderen Sonnenstrahlen reifen. Und es gibt Dinge, mit denen man nur fern von seinen ausgetretenen Pfaden fertig wird. Und am Ende umgibt mich nieine alte Geliebte, die See, mit ihrer ganzen pflegenden Zärtlichkeit. Am frühen Morgen grüßt sie mich und küßt im Bade den tropennachtmatten Körper ein wenig frisch. Ein wenig nur. Gerade soviel, daß man die Energie hat, sich anzuziehen und aufs Achterdeck zu gehen. Denn dort ganz hinten ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/92>, abgerufen am 27.04.2024.