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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe

5. Pumeta, Caballero . . .

In Corral hatte er mich sofort von Bord abgeholt, der deutsche Ober¬
förster, der hier die Wälder irgendeiner chilenischen Hüttenbesitzerin verwaltet.
Er war mit der Freudenbotschaft gekommen, zwei Pumas seien zwanzig Meilen
nach den Kordilleren zu gespürt worden. Im Augenblick war ich im Reitanzug.
Und als die ersten Abendnebel auf die vielverzweigte Bucht zwischen Valdivia
und Corral sanken, saßen wir im Sattel.

Steile Hänge erst hinauf, hinab. Die kleinen Patagonierpferde krallen
sich fast an den Steinrippen fest, klettern meisterlich, brauchen in diesem Gelände,
das einer Reitschule würdig wäre, nur ein Minimum an Reiterarbeit. steuert
man sie eigene Pfade, und machen sie dann Schwierigkeiten, so kann man sicher
sein, daß man auf falscher, gefährlicher Fährte war.

Dann weite, weite Ebene, auf deren Grunde nun ini Mondscheine silberner
Nebel wellt. Immer derselbe Takt im Knarren des neuen Reitzeuges, im
Klappern meines Büchsenschaftes, der unten im Bügelschuh steckt. Unsere beiden
chilenisch-indianischen Mischlinge, die hinter uns reiten, haben ihr halblautes
Gespräch eingestellt. Auch wir beide sind verstummt. Ich genieße diese un¬
geheure Ebene, ich genieße doppelt den Rhythmus unseres kurzen Trabes, diese
wohlige Bewegung in der kühlen Nachtluft, diesen jugendlichen Schwung, der
den letzten Rest Bordsaulheit aus dem Blute jagt. Zuerst füllt die auf See
zu kurz gekommene Phantasie dieses Nebelmeer mit allerlei holden und unholden
Gestalten. Dann aber tat der gleichförmige Trab das seine, und ich versank
für einige Zeit in eine Letargie, die ich vom Schlaf nicht mehr recht unter¬
scheiden konnte. Die Chilenen wußten ja den Weg . . .

Nun gehts wieder hinauf, mühsam, Schritt für Schritt. Wieder harte
Klippen mit spärlichen Zwergkakteen bestanden und scharfbewehrten Dornbüschen,
über die der eben eingezogene Frühling mit seiner verschwendenden Kavalier¬
hand Millionen gelber Wunderblüten streute.

Da taucht es auf: auf steiler Höhe ein zerfallenes Gemäuer, im Dreieck
gebaut. Ein längst von allerlei Gestrüpp überwucherter Graben ringsum. Eine
alte Kanone über die ich nach dem Absitzen pflichtschuldigst stolpere. Kurz das
ganze Requisit der Ruinenromantik. "Was ist das denn?" "Oh, eins von
den alten spanischen Forts, die hier seit hundert Jahren verfallen." So er¬
klärt mein Jagd- und Gastfreund. "Es liegen so viele im Walde, an Stellen,
die heute kein Mensch mehr betritt. Die Indianer mußten sie für die Spanier
um 1550 bauen. Das Wappen eines der Gouverneure brach ich neulich aus
der Mauer, es war ein N-u'Lkö8L ela ?s8LÄrA." Seltsam klingt mir hier der
Name von Konrad Ferdinand Meyers geliebten Meisterwerk ins Ohr. "Ich
habe hier auch mal graben lassen," fährt der Forstmann fort, "ein paar Helle¬
bardenblätter, Pfeilspitzen und Münzen habe ich auch wirklich gefunden. Und
fünfzig Schritt von hier ist ein indianisches Gräberfeld aus der Zeit vor


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Reisebriefe

5. Pumeta, Caballero . . .

In Corral hatte er mich sofort von Bord abgeholt, der deutsche Ober¬
förster, der hier die Wälder irgendeiner chilenischen Hüttenbesitzerin verwaltet.
Er war mit der Freudenbotschaft gekommen, zwei Pumas seien zwanzig Meilen
nach den Kordilleren zu gespürt worden. Im Augenblick war ich im Reitanzug.
Und als die ersten Abendnebel auf die vielverzweigte Bucht zwischen Valdivia
und Corral sanken, saßen wir im Sattel.

Steile Hänge erst hinauf, hinab. Die kleinen Patagonierpferde krallen
sich fast an den Steinrippen fest, klettern meisterlich, brauchen in diesem Gelände,
das einer Reitschule würdig wäre, nur ein Minimum an Reiterarbeit. steuert
man sie eigene Pfade, und machen sie dann Schwierigkeiten, so kann man sicher
sein, daß man auf falscher, gefährlicher Fährte war.

Dann weite, weite Ebene, auf deren Grunde nun ini Mondscheine silberner
Nebel wellt. Immer derselbe Takt im Knarren des neuen Reitzeuges, im
Klappern meines Büchsenschaftes, der unten im Bügelschuh steckt. Unsere beiden
chilenisch-indianischen Mischlinge, die hinter uns reiten, haben ihr halblautes
Gespräch eingestellt. Auch wir beide sind verstummt. Ich genieße diese un¬
geheure Ebene, ich genieße doppelt den Rhythmus unseres kurzen Trabes, diese
wohlige Bewegung in der kühlen Nachtluft, diesen jugendlichen Schwung, der
den letzten Rest Bordsaulheit aus dem Blute jagt. Zuerst füllt die auf See
zu kurz gekommene Phantasie dieses Nebelmeer mit allerlei holden und unholden
Gestalten. Dann aber tat der gleichförmige Trab das seine, und ich versank
für einige Zeit in eine Letargie, die ich vom Schlaf nicht mehr recht unter¬
scheiden konnte. Die Chilenen wußten ja den Weg . . .

Nun gehts wieder hinauf, mühsam, Schritt für Schritt. Wieder harte
Klippen mit spärlichen Zwergkakteen bestanden und scharfbewehrten Dornbüschen,
über die der eben eingezogene Frühling mit seiner verschwendenden Kavalier¬
hand Millionen gelber Wunderblüten streute.

Da taucht es auf: auf steiler Höhe ein zerfallenes Gemäuer, im Dreieck
gebaut. Ein längst von allerlei Gestrüpp überwucherter Graben ringsum. Eine
alte Kanone über die ich nach dem Absitzen pflichtschuldigst stolpere. Kurz das
ganze Requisit der Ruinenromantik. „Was ist das denn?" „Oh, eins von
den alten spanischen Forts, die hier seit hundert Jahren verfallen." So er¬
klärt mein Jagd- und Gastfreund. „Es liegen so viele im Walde, an Stellen,
die heute kein Mensch mehr betritt. Die Indianer mußten sie für die Spanier
um 1550 bauen. Das Wappen eines der Gouverneure brach ich neulich aus
der Mauer, es war ein N-u'Lkö8L ela ?s8LÄrA." Seltsam klingt mir hier der
Name von Konrad Ferdinand Meyers geliebten Meisterwerk ins Ohr. „Ich
habe hier auch mal graben lassen," fährt der Forstmann fort, „ein paar Helle¬
bardenblätter, Pfeilspitzen und Münzen habe ich auch wirklich gefunden. Und
fünfzig Schritt von hier ist ein indianisches Gräberfeld aus der Zeit vor


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[0095] Reisebriefe 5. Pumeta, Caballero . . . In Corral hatte er mich sofort von Bord abgeholt, der deutsche Ober¬ förster, der hier die Wälder irgendeiner chilenischen Hüttenbesitzerin verwaltet. Er war mit der Freudenbotschaft gekommen, zwei Pumas seien zwanzig Meilen nach den Kordilleren zu gespürt worden. Im Augenblick war ich im Reitanzug. Und als die ersten Abendnebel auf die vielverzweigte Bucht zwischen Valdivia und Corral sanken, saßen wir im Sattel. Steile Hänge erst hinauf, hinab. Die kleinen Patagonierpferde krallen sich fast an den Steinrippen fest, klettern meisterlich, brauchen in diesem Gelände, das einer Reitschule würdig wäre, nur ein Minimum an Reiterarbeit. steuert man sie eigene Pfade, und machen sie dann Schwierigkeiten, so kann man sicher sein, daß man auf falscher, gefährlicher Fährte war. Dann weite, weite Ebene, auf deren Grunde nun ini Mondscheine silberner Nebel wellt. Immer derselbe Takt im Knarren des neuen Reitzeuges, im Klappern meines Büchsenschaftes, der unten im Bügelschuh steckt. Unsere beiden chilenisch-indianischen Mischlinge, die hinter uns reiten, haben ihr halblautes Gespräch eingestellt. Auch wir beide sind verstummt. Ich genieße diese un¬ geheure Ebene, ich genieße doppelt den Rhythmus unseres kurzen Trabes, diese wohlige Bewegung in der kühlen Nachtluft, diesen jugendlichen Schwung, der den letzten Rest Bordsaulheit aus dem Blute jagt. Zuerst füllt die auf See zu kurz gekommene Phantasie dieses Nebelmeer mit allerlei holden und unholden Gestalten. Dann aber tat der gleichförmige Trab das seine, und ich versank für einige Zeit in eine Letargie, die ich vom Schlaf nicht mehr recht unter¬ scheiden konnte. Die Chilenen wußten ja den Weg . . . Nun gehts wieder hinauf, mühsam, Schritt für Schritt. Wieder harte Klippen mit spärlichen Zwergkakteen bestanden und scharfbewehrten Dornbüschen, über die der eben eingezogene Frühling mit seiner verschwendenden Kavalier¬ hand Millionen gelber Wunderblüten streute. Da taucht es auf: auf steiler Höhe ein zerfallenes Gemäuer, im Dreieck gebaut. Ein längst von allerlei Gestrüpp überwucherter Graben ringsum. Eine alte Kanone über die ich nach dem Absitzen pflichtschuldigst stolpere. Kurz das ganze Requisit der Ruinenromantik. „Was ist das denn?" „Oh, eins von den alten spanischen Forts, die hier seit hundert Jahren verfallen." So er¬ klärt mein Jagd- und Gastfreund. „Es liegen so viele im Walde, an Stellen, die heute kein Mensch mehr betritt. Die Indianer mußten sie für die Spanier um 1550 bauen. Das Wappen eines der Gouverneure brach ich neulich aus der Mauer, es war ein N-u'Lkö8L ela ?s8LÄrA." Seltsam klingt mir hier der Name von Konrad Ferdinand Meyers geliebten Meisterwerk ins Ohr. „Ich habe hier auch mal graben lassen," fährt der Forstmann fort, „ein paar Helle¬ bardenblätter, Pfeilspitzen und Münzen habe ich auch wirklich gefunden. Und fünfzig Schritt von hier ist ein indianisches Gräberfeld aus der Zeit vor 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/95>, abgerufen am 27.04.2024.