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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Die innere Urise

Unter den historisch-literarischen Ergebnissen, die anläßlich des Regiermigs-
jubilämns unseres Kaisers zutage gefördert wurden, findet sich eine Feststellung
Wilhelm von Massows, die, soweit ich sehe, keine rechte Beachtung gefunden
hat, obwohl sie zusammen mit anderen an dieser Stelle schon berührten
Erscheinungen zweifellos geeignet erscheint, ein klärendes Licht auf unsere
innerpolitischen Verhältnisse zu werfen. "Man irrt schwerlich weit von der
Wahrheit ab, wenn man annimmt, daß Kaiser Wilhelm der Zweite bald nach
seiner Thronbesteigung von dem starken Eindruck ergriffen wurde, daß wir mit
starken Schritten in ein Epigonenzeitalter hineingingen," heißt es in Massows
bedeutendem Werke "Die deutsche innere Politik unter Kaiser Wilhelm dem
Zweiten", und weiter: ". . . es ist. . . durchaus verständlich, wie ein junger,
hochgemuter Herrscher, der unter seinen Vorfahren so viele bedeutende und
große Persönlichkeiten zählt, sich gegen nichts so kraftvoll wehrte, als gegen die
Möglichkeit, der Führer eines Epigonenzcitalters zu werden" (S. 28).

Als Wilhelm der Zweite den Thron seiner Väter bestieg, fand er einen
Reichskanzler vor, der universal alle Zweige der Politik beherrschte und per¬
sönlich beeinflußte und leitete.

Durch diese Tatsache wurde aber dem jungen Kaiser auch rein persönlich
von vornherein die Rolle eines Epigonen aufgezwängt, für die er seinem
ganzen Charakter nach durchaus nicht paßte. Aus dieser Stellung als Epigone
herauszukommen, war daher das instinktive und natürliche Streben des jungen
Monarchen. In seinem Kampf um die Selbständigkeit, der, durch unverant¬
wortliche Kräfte zersplittert, so überaus traurige Nebenerscheinungen zeitigte,
stellte sich sehr bald die weitere Tatsache heraus, daß das geradezu autokratische
Regiment, das der große Bismarck auf Grund seiner außerordentlichen persönlichen
Erfahrung hatte führen können, es verhindert hatte, Politiker und Staats-




Reichsspiegel
Die innere Urise

Unter den historisch-literarischen Ergebnissen, die anläßlich des Regiermigs-
jubilämns unseres Kaisers zutage gefördert wurden, findet sich eine Feststellung
Wilhelm von Massows, die, soweit ich sehe, keine rechte Beachtung gefunden
hat, obwohl sie zusammen mit anderen an dieser Stelle schon berührten
Erscheinungen zweifellos geeignet erscheint, ein klärendes Licht auf unsere
innerpolitischen Verhältnisse zu werfen. „Man irrt schwerlich weit von der
Wahrheit ab, wenn man annimmt, daß Kaiser Wilhelm der Zweite bald nach
seiner Thronbesteigung von dem starken Eindruck ergriffen wurde, daß wir mit
starken Schritten in ein Epigonenzeitalter hineingingen," heißt es in Massows
bedeutendem Werke „Die deutsche innere Politik unter Kaiser Wilhelm dem
Zweiten", und weiter: „. . . es ist. . . durchaus verständlich, wie ein junger,
hochgemuter Herrscher, der unter seinen Vorfahren so viele bedeutende und
große Persönlichkeiten zählt, sich gegen nichts so kraftvoll wehrte, als gegen die
Möglichkeit, der Führer eines Epigonenzcitalters zu werden" (S. 28).

Als Wilhelm der Zweite den Thron seiner Väter bestieg, fand er einen
Reichskanzler vor, der universal alle Zweige der Politik beherrschte und per¬
sönlich beeinflußte und leitete.

Durch diese Tatsache wurde aber dem jungen Kaiser auch rein persönlich
von vornherein die Rolle eines Epigonen aufgezwängt, für die er seinem
ganzen Charakter nach durchaus nicht paßte. Aus dieser Stellung als Epigone
herauszukommen, war daher das instinktive und natürliche Streben des jungen
Monarchen. In seinem Kampf um die Selbständigkeit, der, durch unverant¬
wortliche Kräfte zersplittert, so überaus traurige Nebenerscheinungen zeitigte,
stellte sich sehr bald die weitere Tatsache heraus, daß das geradezu autokratische
Regiment, das der große Bismarck auf Grund seiner außerordentlichen persönlichen
Erfahrung hatte führen können, es verhindert hatte, Politiker und Staats-


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[0145] [Abbildung] Reichsspiegel Die innere Urise Unter den historisch-literarischen Ergebnissen, die anläßlich des Regiermigs- jubilämns unseres Kaisers zutage gefördert wurden, findet sich eine Feststellung Wilhelm von Massows, die, soweit ich sehe, keine rechte Beachtung gefunden hat, obwohl sie zusammen mit anderen an dieser Stelle schon berührten Erscheinungen zweifellos geeignet erscheint, ein klärendes Licht auf unsere innerpolitischen Verhältnisse zu werfen. „Man irrt schwerlich weit von der Wahrheit ab, wenn man annimmt, daß Kaiser Wilhelm der Zweite bald nach seiner Thronbesteigung von dem starken Eindruck ergriffen wurde, daß wir mit starken Schritten in ein Epigonenzeitalter hineingingen," heißt es in Massows bedeutendem Werke „Die deutsche innere Politik unter Kaiser Wilhelm dem Zweiten", und weiter: „. . . es ist. . . durchaus verständlich, wie ein junger, hochgemuter Herrscher, der unter seinen Vorfahren so viele bedeutende und große Persönlichkeiten zählt, sich gegen nichts so kraftvoll wehrte, als gegen die Möglichkeit, der Führer eines Epigonenzcitalters zu werden" (S. 28). Als Wilhelm der Zweite den Thron seiner Väter bestieg, fand er einen Reichskanzler vor, der universal alle Zweige der Politik beherrschte und per¬ sönlich beeinflußte und leitete. Durch diese Tatsache wurde aber dem jungen Kaiser auch rein persönlich von vornherein die Rolle eines Epigonen aufgezwängt, für die er seinem ganzen Charakter nach durchaus nicht paßte. Aus dieser Stellung als Epigone herauszukommen, war daher das instinktive und natürliche Streben des jungen Monarchen. In seinem Kampf um die Selbständigkeit, der, durch unverant¬ wortliche Kräfte zersplittert, so überaus traurige Nebenerscheinungen zeitigte, stellte sich sehr bald die weitere Tatsache heraus, daß das geradezu autokratische Regiment, das der große Bismarck auf Grund seiner außerordentlichen persönlichen Erfahrung hatte führen können, es verhindert hatte, Politiker und Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/145>, abgerufen am 09.05.2024.