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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Gin ^treifzug durch die neueste philosophische Literatur
Professor Dr, Richard Herbertz von

erufene Beurteiler versichern uns, daß das philosophische Interesse
in der Gegenwart in starkem Ansteigen begriffen sei. Die literarischen
Erfahrungen bestätigen dies. Die schriftstellerische Tätigkeit auf
philosophischem Gebiete ist reicher denn je -- die Aufklärungsepoche
des achtzehnten Jahrhunderts vielleicht allein ausgenommen. Es
ist schwer, den Weizen von der Spreu zu sondern; schwerer noch, Ordnung und
Übersichtlichkeit in die so verschiedenartigen Schöpfungen zu bringen.

Können wir von einer bestimmten "Richtung" der Philosophie der Gegen¬
wart sprechen? Gewiß nicht so, daß irgendeine bestimmte Schule oder ein
bestimmtes "System" gegenwärtig eine unumstrittene Führerrolle einnähme, so wie
das seinerzeit mit der Hegelschen Philosophie der Fall war; aber doch immerhin
so, daß für den tiefer Blickenden eine gewisse gemeinsame, allgemeine Tendenz --
bei aller Verschiedenheit im einzelnen -- deutlich erkennbar wird. Ein Überblick
über eine Anzahl von philosophischen Veröffentlichungen, die sich zufällig in letzter
Zeit auf dem Redaktionstisch der Grenzboten zusammengefunden haben, mag mit
dazu beitragen, zu zeigen, worin jene erwähnte "allgemeine Tendenz" zu suchen ist.

Nach einem treffenden Ausspruche Richard Falckenbergs hat für keine Wissen¬
schaft die gründliche Kenntnis ihrer Geschichte eine so große Bedeutung, wie für
die Philosophie. Diese Einsicht ist nicht in dem Maße in das philosophische Zeit¬
bewußtsein gedrungen, als dies notwendig, also wünschenswert ist. Von den vor
uns liegenden Büchern beschäftigt sich nur ein einziges ausschließlich mit der Geschichte
der Philosophie, die "Allgemeine Geschichte der Philosophie" in Hinne¬
bergs Kultur der Gegenwart. Dieses Werk liegt nunmehr in zweiter Auflage vor
(Leipzig 1913, Teubner), die gegen die erste durchweg Verbesserungen erfahren
hat. Insbesondere ist der Abriß der indischen Philosophie von H. Otterberg
inhaltlich erweitert, die Darstellung der Patristischen Philosophie von Clemens
Baeumker erweitert und vertieft worden. Ich konnte in meinem philosophischen
Studienführer (Stuttgart 1912, Spemann) schon über die erste Auflage des Buches
das Urteil fällen, daß es in klarer und leicht faßlicher Darstellung einen umfassenden
Gesamtüberblick gibt, wie er in dieser Kürze und Gediegenheit zugleich wohl kaum
aus einem anderen Werke gewonnen werden kann.




Gin ^treifzug durch die neueste philosophische Literatur
Professor Dr, Richard Herbertz von

erufene Beurteiler versichern uns, daß das philosophische Interesse
in der Gegenwart in starkem Ansteigen begriffen sei. Die literarischen
Erfahrungen bestätigen dies. Die schriftstellerische Tätigkeit auf
philosophischem Gebiete ist reicher denn je — die Aufklärungsepoche
des achtzehnten Jahrhunderts vielleicht allein ausgenommen. Es
ist schwer, den Weizen von der Spreu zu sondern; schwerer noch, Ordnung und
Übersichtlichkeit in die so verschiedenartigen Schöpfungen zu bringen.

Können wir von einer bestimmten „Richtung" der Philosophie der Gegen¬
wart sprechen? Gewiß nicht so, daß irgendeine bestimmte Schule oder ein
bestimmtes „System" gegenwärtig eine unumstrittene Führerrolle einnähme, so wie
das seinerzeit mit der Hegelschen Philosophie der Fall war; aber doch immerhin
so, daß für den tiefer Blickenden eine gewisse gemeinsame, allgemeine Tendenz —
bei aller Verschiedenheit im einzelnen — deutlich erkennbar wird. Ein Überblick
über eine Anzahl von philosophischen Veröffentlichungen, die sich zufällig in letzter
Zeit auf dem Redaktionstisch der Grenzboten zusammengefunden haben, mag mit
dazu beitragen, zu zeigen, worin jene erwähnte „allgemeine Tendenz" zu suchen ist.

Nach einem treffenden Ausspruche Richard Falckenbergs hat für keine Wissen¬
schaft die gründliche Kenntnis ihrer Geschichte eine so große Bedeutung, wie für
die Philosophie. Diese Einsicht ist nicht in dem Maße in das philosophische Zeit¬
bewußtsein gedrungen, als dies notwendig, also wünschenswert ist. Von den vor
uns liegenden Büchern beschäftigt sich nur ein einziges ausschließlich mit der Geschichte
der Philosophie, die „Allgemeine Geschichte der Philosophie" in Hinne¬
bergs Kultur der Gegenwart. Dieses Werk liegt nunmehr in zweiter Auflage vor
(Leipzig 1913, Teubner), die gegen die erste durchweg Verbesserungen erfahren
hat. Insbesondere ist der Abriß der indischen Philosophie von H. Otterberg
inhaltlich erweitert, die Darstellung der Patristischen Philosophie von Clemens
Baeumker erweitert und vertieft worden. Ich konnte in meinem philosophischen
Studienführer (Stuttgart 1912, Spemann) schon über die erste Auflage des Buches
das Urteil fällen, daß es in klarer und leicht faßlicher Darstellung einen umfassenden
Gesamtüberblick gibt, wie er in dieser Kürze und Gediegenheit zugleich wohl kaum
aus einem anderen Werke gewonnen werden kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/450>, abgerufen am 08.05.2024.