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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Affekt steigern. So ging alle Würde, Ein¬
fachheit und Klarheit . . . verloren/' -- Der
"Schwulst" konnte mir durch eine erneute
Rückkehr zum Altertum gebändigt und schlie߬
lich vernichtet werden: Lessings Sprache, in
der nach seinen eigenen Worten "die höchste
Klarheit die höchste Schönheit ne", hat das
Harte, Unerbittliche mit dem Zopfstil gemein,
und die Wiedergeburt der Schönheit am
Ende des achtzehnten Jahrhunderts, wie sie
in den Werken Schinkels und Thorwaldsens
in die Erscheinung tritt, könnte mit dem
klassischen Stile Goethes verglichen werden.
Die olympische Ruhe, das Unpersönliche, das
episch Objektive findet man dort wie hier;
der Goethische Stil zeigt etwas von der
kühlen Schönheit des klassischen Profils, da
er ziemlich stark von der Tätigkeit des kriti¬
schen Verstandesbeeinfluszt wird. -- Demgegen¬
über ist der Stil der Romantiker phantasie¬
reich und volkstümlich: das erste zeigt sich in
vielfachen Bildern und Vergleichen, besonders
aus dem Naturleben, das zweite in der
Schlichtheit der Wortwahl und der Einfach¬
heit des Satzbaus: man lese nur einige
Seiten aus Novalis' "Heinrich von Ofter-
dingen"! Auch Innigkeit im Ausdrucke ist
der Romantik nachzurühmen, während der
witzige Stil in ihren Satiren kaum den Weg
Ma Herzen findet; alles in allem: ihr Stil ist
echt deutsch. Genau dieselben Grundzuge be¬
gegnen uns in den Werken der romantischen
Maler und Bildhauer: Deutschtum, Innigkeit,
Phantasie und Schlichtheit sind auch für
Schwind und Rauch charakteristisch. -- Ganz
anders, ja entgegengesetzt ist der Stil des
Jungen Deutschlands, eines Börne und Heine
in ihrer witzigen und pointierter Prosa. In
gewissem Maße herrscht eine Anlehnung an
Lessing: der Ausdruck wird allein vom Ver¬
stände bestimmt, Antithesen und scharfe lo¬
gische Schlußfolgerungen bedingen einen rein
sachlichen Stil. Für die zünftige Wissenschaft,
besonders die wissenschaftliche Kontroverse,
wird in diesem Stile das Rüstzeug geschliffen;
die Ansicht des einzelnen kämpft um ihre
Existenz, Persönlichkeit ist Trumpf. Könnte
wan mit dieser Entwicklungsstufe des sprach¬
lichen Stils nicht die Realisten auf dem Ge¬
biete der Geschichts-, Genre- und Landschafts¬
malerei vergleichen, die sich bemühten, haar¬

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scharf das Charakteristische des Einzelwesens
aufzufassen und im Bilde wiederzugeben?
Auch der Stil des Jungen Deutschlands hat
realistische Züge, es herrscht Gegenwartskunst
dort wie hier. -- Und nun schließlich der Stil
von heute in beiden Künsten, der bildenden
und der redenden? In der Literatur herrscht
ein Suchen und Tasten des Stils, der höchste
Grad des Subjektivismus scheint erreicht.
Von der schlichten, volkstümlichen Schreib¬
weise eines Gustav Freytag bis zu dem Ge¬
dankenstrichstil moderner Dichter ist in der
Gegenwart beinahe jede Form vertreten: die
bewußt dunkle, die altertümelnde gewisser
historischer Romane, die der mündlichen
Redeweise aufs engste angenäherte der Humo¬
risten u. v. a. Dem entspricht nur zu genau
das Suchen und Tasten in der bildenden
Kunst: alle Stile der Erde dienen dem Archi¬
tekten als Vorbilder, der bunte Wechsel wirkt
ja belebend aus das Auge; die Plastik kommt
uns bald symbolisch, bald naturalistisch, auch
ihr Einheitsstil ist noch nicht gefunden. Und
gar die Malereil Daß es hier viele, viele
neue Theorien gibt, zeigen ja die Namen auf
-- ihter: Futuristen, Kubisten usw. Jeder sucht
ehrlich, aber das Finden ist schwer. Der neue
Stil soll erst noch geboren werden, gleichzeitig
für die redende wie sür die bildende Kunst.

Professor Dr. w. Mellin
Musik

Die Musik seit Richard Wagner von
Walter Nieman". (Berlin, Schuster u.Löffler.)
Dreißig Jahre sind seit dem Tode des großen
Meisters von Bayreuth, der die dionysische
Kunst zur weltbeherrschenden erhob, verflossen,
eine Zeitspanne, immerhin groß genug, um
dem rückschauenden Blick einen Standpunkt
zu gewähren, der ihm eine Übersicht über die
von der musischen Kunst in dieser Vergangen¬
heit zurückgelegte Entwicklung gestatten wird,
noch nicht groß genug, um für alle künst¬
lerischen Erscheinungen in ihr das Maß einer
unbedingt objektiven Beurteilung zu gewinnen.
Denn die Musik dieser Zeit ist in der Haupt¬
sache Gegenwartsmusik, wir stehen noch mitten
drin in ihrer Entwicklung -- über Richard
Strauß z. B., den großen Wandlungsfähigen,
Wird noch nicht das letzte Wort gesprochen

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Affekt steigern. So ging alle Würde, Ein¬
fachheit und Klarheit . . . verloren/' — Der
„Schwulst" konnte mir durch eine erneute
Rückkehr zum Altertum gebändigt und schlie߬
lich vernichtet werden: Lessings Sprache, in
der nach seinen eigenen Worten „die höchste
Klarheit die höchste Schönheit ne", hat das
Harte, Unerbittliche mit dem Zopfstil gemein,
und die Wiedergeburt der Schönheit am
Ende des achtzehnten Jahrhunderts, wie sie
in den Werken Schinkels und Thorwaldsens
in die Erscheinung tritt, könnte mit dem
klassischen Stile Goethes verglichen werden.
Die olympische Ruhe, das Unpersönliche, das
episch Objektive findet man dort wie hier;
der Goethische Stil zeigt etwas von der
kühlen Schönheit des klassischen Profils, da
er ziemlich stark von der Tätigkeit des kriti¬
schen Verstandesbeeinfluszt wird. — Demgegen¬
über ist der Stil der Romantiker phantasie¬
reich und volkstümlich: das erste zeigt sich in
vielfachen Bildern und Vergleichen, besonders
aus dem Naturleben, das zweite in der
Schlichtheit der Wortwahl und der Einfach¬
heit des Satzbaus: man lese nur einige
Seiten aus Novalis' „Heinrich von Ofter-
dingen"! Auch Innigkeit im Ausdrucke ist
der Romantik nachzurühmen, während der
witzige Stil in ihren Satiren kaum den Weg
Ma Herzen findet; alles in allem: ihr Stil ist
echt deutsch. Genau dieselben Grundzuge be¬
gegnen uns in den Werken der romantischen
Maler und Bildhauer: Deutschtum, Innigkeit,
Phantasie und Schlichtheit sind auch für
Schwind und Rauch charakteristisch. — Ganz
anders, ja entgegengesetzt ist der Stil des
Jungen Deutschlands, eines Börne und Heine
in ihrer witzigen und pointierter Prosa. In
gewissem Maße herrscht eine Anlehnung an
Lessing: der Ausdruck wird allein vom Ver¬
stände bestimmt, Antithesen und scharfe lo¬
gische Schlußfolgerungen bedingen einen rein
sachlichen Stil. Für die zünftige Wissenschaft,
besonders die wissenschaftliche Kontroverse,
wird in diesem Stile das Rüstzeug geschliffen;
die Ansicht des einzelnen kämpft um ihre
Existenz, Persönlichkeit ist Trumpf. Könnte
wan mit dieser Entwicklungsstufe des sprach¬
lichen Stils nicht die Realisten auf dem Ge¬
biete der Geschichts-, Genre- und Landschafts¬
malerei vergleichen, die sich bemühten, haar¬

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scharf das Charakteristische des Einzelwesens
aufzufassen und im Bilde wiederzugeben?
Auch der Stil des Jungen Deutschlands hat
realistische Züge, es herrscht Gegenwartskunst
dort wie hier. — Und nun schließlich der Stil
von heute in beiden Künsten, der bildenden
und der redenden? In der Literatur herrscht
ein Suchen und Tasten des Stils, der höchste
Grad des Subjektivismus scheint erreicht.
Von der schlichten, volkstümlichen Schreib¬
weise eines Gustav Freytag bis zu dem Ge¬
dankenstrichstil moderner Dichter ist in der
Gegenwart beinahe jede Form vertreten: die
bewußt dunkle, die altertümelnde gewisser
historischer Romane, die der mündlichen
Redeweise aufs engste angenäherte der Humo¬
risten u. v. a. Dem entspricht nur zu genau
das Suchen und Tasten in der bildenden
Kunst: alle Stile der Erde dienen dem Archi¬
tekten als Vorbilder, der bunte Wechsel wirkt
ja belebend aus das Auge; die Plastik kommt
uns bald symbolisch, bald naturalistisch, auch
ihr Einheitsstil ist noch nicht gefunden. Und
gar die Malereil Daß es hier viele, viele
neue Theorien gibt, zeigen ja die Namen auf
— ihter: Futuristen, Kubisten usw. Jeder sucht
ehrlich, aber das Finden ist schwer. Der neue
Stil soll erst noch geboren werden, gleichzeitig
für die redende wie sür die bildende Kunst.

Professor Dr. w. Mellin
Musik

Die Musik seit Richard Wagner von
Walter Nieman». (Berlin, Schuster u.Löffler.)
Dreißig Jahre sind seit dem Tode des großen
Meisters von Bayreuth, der die dionysische
Kunst zur weltbeherrschenden erhob, verflossen,
eine Zeitspanne, immerhin groß genug, um
dem rückschauenden Blick einen Standpunkt
zu gewähren, der ihm eine Übersicht über die
von der musischen Kunst in dieser Vergangen¬
heit zurückgelegte Entwicklung gestatten wird,
noch nicht groß genug, um für alle künst¬
lerischen Erscheinungen in ihr das Maß einer
unbedingt objektiven Beurteilung zu gewinnen.
Denn die Musik dieser Zeit ist in der Haupt¬
sache Gegenwartsmusik, wir stehen noch mitten
drin in ihrer Entwicklung — über Richard
Strauß z. B., den großen Wandlungsfähigen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/487>, abgerufen am 08.05.2024.