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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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(Lhina auf dem Wege zur Monarchie?
Franz Ullhn von

WZk">^"Zi>meer den Problemen, die das heutige China bewegen, verdient
zurzeit die Verfassungsfrage wieder erhöhte Beachtung. Hängt
doch von ihrer endgültigen Lösung, die Einkehr geordneter und
stabiler Zustände im Innern ab, die dem am chinesischen Markt
interessierten auswärtigen, insbesondere auch deutschen Handel
dringend erwünscht sein müssen. Nun scheint es ja, als ob jene Frage mit der
vor zwei Jahren erfolgten Gründung der Republik bereits eine glänzende Lösung
gefunden habe. Aber die Ereignisse der letzten Zeit beweisen doch, daß man
sich in dieser Hinsicht keiner Täuschung hingeben darf, daß die Dinge vielmehr
noch recht im Flusse sind, und die Zukunft noch manche Überraschung bringen
dürfte. Freilich, einzelne Kenner des Landes haben die Errichtung der Republik
von Anfang an mit Skepsis betrachtet und letzten Endes einen Bluff amerikanischer
Geschäftspolitik dahinter vermutet, der wie alle Bluffs auf die Dauer nicht be¬
stehen kann und schließlich an dem gesunden Empfinden des chinesischen Volks
gleich einer Seifenblase in nichts zergehen muß. Diese wenigen Kenner haben
allerdings nicht erwartet, daß die vorhergesehene Reaktion so prompt und
mächtig einsetzen würde, wie es jetzt tatsächlich geschieht. Die Sprengung der
republikanischen Kwo Ming Tang-Partei, Auflösung des Parlaments und der
Provinziallandtage, Kaltstellung der wichtigsten republikanischen Führer, Rückkehr
hervorragender Monarchisten ans Ruder, ferner vor allem die feierliche Be¬
stätigung des gewohnten Konfuziuskultes und Wiedereinführung althergebrachter
Staatsopfer -- all diese Geschehnisse, welche die letzte Zeit in rascher Auf¬
einanderfolge brachte, bedeuten einschneidende Veränderungen des Verfassungs¬
systems und vernichtende Schläge gegen den republikanischen Gedanken. Kein
Zweifel, so wie die Dinge jetzt liegen, ist China nur noch dem Namen nach
Republik, in Wahrheit wird es von einem Diktator, Juan Sadi Kai, regiert, in
dessen Person sich heute Staatskredit und Staatsautorität ausschließlich
konzentrieren, und dessen Machtvollkommenheit tatsächlich einer kaiserlichen gleich¬
kommt. Es fehlt nur noch die äußere Bestätigung des vorhandenen Zustandes
durch eine entsprechende Form.

Diese Entwicklung zeigt, wie sehr man sich hüten muß, den Einfluß der
sogenannten westlichen Kultur auf China zu überschätzen. Man begegnet in
dieser Hinsicht häufig den überschwänglichsten Vorstellungen, als ob infolge




(Lhina auf dem Wege zur Monarchie?
Franz Ullhn von

WZk»>^»Zi>meer den Problemen, die das heutige China bewegen, verdient
zurzeit die Verfassungsfrage wieder erhöhte Beachtung. Hängt
doch von ihrer endgültigen Lösung, die Einkehr geordneter und
stabiler Zustände im Innern ab, die dem am chinesischen Markt
interessierten auswärtigen, insbesondere auch deutschen Handel
dringend erwünscht sein müssen. Nun scheint es ja, als ob jene Frage mit der
vor zwei Jahren erfolgten Gründung der Republik bereits eine glänzende Lösung
gefunden habe. Aber die Ereignisse der letzten Zeit beweisen doch, daß man
sich in dieser Hinsicht keiner Täuschung hingeben darf, daß die Dinge vielmehr
noch recht im Flusse sind, und die Zukunft noch manche Überraschung bringen
dürfte. Freilich, einzelne Kenner des Landes haben die Errichtung der Republik
von Anfang an mit Skepsis betrachtet und letzten Endes einen Bluff amerikanischer
Geschäftspolitik dahinter vermutet, der wie alle Bluffs auf die Dauer nicht be¬
stehen kann und schließlich an dem gesunden Empfinden des chinesischen Volks
gleich einer Seifenblase in nichts zergehen muß. Diese wenigen Kenner haben
allerdings nicht erwartet, daß die vorhergesehene Reaktion so prompt und
mächtig einsetzen würde, wie es jetzt tatsächlich geschieht. Die Sprengung der
republikanischen Kwo Ming Tang-Partei, Auflösung des Parlaments und der
Provinziallandtage, Kaltstellung der wichtigsten republikanischen Führer, Rückkehr
hervorragender Monarchisten ans Ruder, ferner vor allem die feierliche Be¬
stätigung des gewohnten Konfuziuskultes und Wiedereinführung althergebrachter
Staatsopfer — all diese Geschehnisse, welche die letzte Zeit in rascher Auf¬
einanderfolge brachte, bedeuten einschneidende Veränderungen des Verfassungs¬
systems und vernichtende Schläge gegen den republikanischen Gedanken. Kein
Zweifel, so wie die Dinge jetzt liegen, ist China nur noch dem Namen nach
Republik, in Wahrheit wird es von einem Diktator, Juan Sadi Kai, regiert, in
dessen Person sich heute Staatskredit und Staatsautorität ausschließlich
konzentrieren, und dessen Machtvollkommenheit tatsächlich einer kaiserlichen gleich¬
kommt. Es fehlt nur noch die äußere Bestätigung des vorhandenen Zustandes
durch eine entsprechende Form.

Diese Entwicklung zeigt, wie sehr man sich hüten muß, den Einfluß der
sogenannten westlichen Kultur auf China zu überschätzen. Man begegnet in
dieser Hinsicht häufig den überschwänglichsten Vorstellungen, als ob infolge


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[0594] [Abbildung] (Lhina auf dem Wege zur Monarchie? Franz Ullhn von WZk»>^»Zi>meer den Problemen, die das heutige China bewegen, verdient zurzeit die Verfassungsfrage wieder erhöhte Beachtung. Hängt doch von ihrer endgültigen Lösung, die Einkehr geordneter und stabiler Zustände im Innern ab, die dem am chinesischen Markt interessierten auswärtigen, insbesondere auch deutschen Handel dringend erwünscht sein müssen. Nun scheint es ja, als ob jene Frage mit der vor zwei Jahren erfolgten Gründung der Republik bereits eine glänzende Lösung gefunden habe. Aber die Ereignisse der letzten Zeit beweisen doch, daß man sich in dieser Hinsicht keiner Täuschung hingeben darf, daß die Dinge vielmehr noch recht im Flusse sind, und die Zukunft noch manche Überraschung bringen dürfte. Freilich, einzelne Kenner des Landes haben die Errichtung der Republik von Anfang an mit Skepsis betrachtet und letzten Endes einen Bluff amerikanischer Geschäftspolitik dahinter vermutet, der wie alle Bluffs auf die Dauer nicht be¬ stehen kann und schließlich an dem gesunden Empfinden des chinesischen Volks gleich einer Seifenblase in nichts zergehen muß. Diese wenigen Kenner haben allerdings nicht erwartet, daß die vorhergesehene Reaktion so prompt und mächtig einsetzen würde, wie es jetzt tatsächlich geschieht. Die Sprengung der republikanischen Kwo Ming Tang-Partei, Auflösung des Parlaments und der Provinziallandtage, Kaltstellung der wichtigsten republikanischen Führer, Rückkehr hervorragender Monarchisten ans Ruder, ferner vor allem die feierliche Be¬ stätigung des gewohnten Konfuziuskultes und Wiedereinführung althergebrachter Staatsopfer — all diese Geschehnisse, welche die letzte Zeit in rascher Auf¬ einanderfolge brachte, bedeuten einschneidende Veränderungen des Verfassungs¬ systems und vernichtende Schläge gegen den republikanischen Gedanken. Kein Zweifel, so wie die Dinge jetzt liegen, ist China nur noch dem Namen nach Republik, in Wahrheit wird es von einem Diktator, Juan Sadi Kai, regiert, in dessen Person sich heute Staatskredit und Staatsautorität ausschließlich konzentrieren, und dessen Machtvollkommenheit tatsächlich einer kaiserlichen gleich¬ kommt. Es fehlt nur noch die äußere Bestätigung des vorhandenen Zustandes durch eine entsprechende Form. Diese Entwicklung zeigt, wie sehr man sich hüten muß, den Einfluß der sogenannten westlichen Kultur auf China zu überschätzen. Man begegnet in dieser Hinsicht häufig den überschwänglichsten Vorstellungen, als ob infolge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/594>, abgerufen am 08.05.2024.