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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Lin Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologie

scheibenzwickel hat einen ganz anderen Ursprung, und gerade dieser spricht wesent¬
lich für die Identität zwischen Hornaffen und Hornoffen.

Der Hornstoff schmilzt durch Erwärmung. Das scheint schon Siegfried
gewußt zu haben, als er sich im geschmolzenen Drachenhorn badete. Durch
Erwärmung kann man das Horn auch zu durchsichtigen dünnen Scheiben ver¬
arbeiten, indem man einen Klumpen erwärmtes Horn durch Drehungen verflacht;
die in der Mitte bleibende Erhöhung bildet den Nabel oder die "Butze" der
entstehenden Scheibe, die vor Erfindung des Glases die Glasscheibe vertrat.
Der letzteren Auftauchen läßt sich höchstens bis zu Ende des vierzehnten Jahr¬
hunderts verfolgen*); vorher gab es nur Hornscheiden.

Statt Scheiben aus Walzen oder Zylindern herzustellen (Walzenglas), kannte
man anfänglich nur Mondglas, nämlich kreisrunde aus Glasklumpen hergestellte
Scheiben. Solche runde Scheiben ließen, wo sie aneinander oder an den
Fensterrahmen stoßen, Öffnungen in vierspitziger (am Fensterrahmen in drei¬
spitziger) Gestalt. Die dadurch zwischen dem Horne der Butzen sich bildenden
offenen Stellen wurden mit Hornstückchen geschlossen, denen man den Namen
ganze oder halbe Hornaffen (d. h. Hornoffen) gab; sie verwandelten die horn¬
offenen Stellen in horngeschlossene Stellen. Hornscheiden waren in Nußland noch
vor hundert oder hundertundzwanzig Jahren in Gebrauch; so versichert auf brief¬
liche Anfrage der vielgereiste englische Romanschreiber John Oxenham und er¬
zählt deshalb in seinem neuesten zu jener Zeit spielenden Romane ,,^lie
melts88 >va^" (1912), daß ein nach Sibirien Verbannter, dem verboten ist, in
irgendeinem Orte Sibiriens länger als zehn Tage zu verweilen, sich in die
Rückwand seines Wagens eine Scheibe von Horn eingesetzt habe. Da der Ge¬
brauch solcher Scheiben in Deutschland mit dem Ende des vierzehnten Jahr¬
hunderts zu verschwinden begann, so muß der Name"Hornaff" für dieZwischenstücke
der Butzen bereits während des vierzehnten Jahrhunderts üblich gewesen sein.


6.

Auf den richtigen Weg, den vermeintlich sonderbaren oder gar unförm¬
lichen Hornaffen zu erklären, kommt man nur, wenn man in seiner Schlußsilbc
etwas anderes sucht als das Hauptwort "Affe", nämlich statt eines Haupt¬
wortes ein Eigenschaftswort, und wenn man zugleich berücksichtigt, daß unsere
frühere deutsche Sprache in Zusammensetzungen eines Hauptwortes mit einem
Eigenschaftswort das letztere nicht, wie bei späteren zusammengesetzten Wörtern,
dem Hauptworte stets vorhergehen, sondern achtfach ihm nachfolgen läßt.
Dabei besteht das Streben, möglichst nur einsilbige Eigenschaftswörter zur Zu¬
sammensetzung zu verwenden; "zweisilbige Eigenschaftswörter lassen sich nur
selten auf eine Verbindung ein." und es zeigt sich, wenn sie eine Verbindung
eingehen, das Streben, die Endsilbe des Eigenschaftswortes abzustoßen. Handelt
es sich also um eine etwaige Zusammensetzung mit den, Eigenschaftswort "offen",
so kürzt sich offen in "vff". Eine ähnliche Abkürzung des Wortes "offen"



*) Oidtincnm, Rheinische Glasmalerei (1912) S, S,
Lin Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologie

scheibenzwickel hat einen ganz anderen Ursprung, und gerade dieser spricht wesent¬
lich für die Identität zwischen Hornaffen und Hornoffen.

Der Hornstoff schmilzt durch Erwärmung. Das scheint schon Siegfried
gewußt zu haben, als er sich im geschmolzenen Drachenhorn badete. Durch
Erwärmung kann man das Horn auch zu durchsichtigen dünnen Scheiben ver¬
arbeiten, indem man einen Klumpen erwärmtes Horn durch Drehungen verflacht;
die in der Mitte bleibende Erhöhung bildet den Nabel oder die „Butze" der
entstehenden Scheibe, die vor Erfindung des Glases die Glasscheibe vertrat.
Der letzteren Auftauchen läßt sich höchstens bis zu Ende des vierzehnten Jahr¬
hunderts verfolgen*); vorher gab es nur Hornscheiden.

Statt Scheiben aus Walzen oder Zylindern herzustellen (Walzenglas), kannte
man anfänglich nur Mondglas, nämlich kreisrunde aus Glasklumpen hergestellte
Scheiben. Solche runde Scheiben ließen, wo sie aneinander oder an den
Fensterrahmen stoßen, Öffnungen in vierspitziger (am Fensterrahmen in drei¬
spitziger) Gestalt. Die dadurch zwischen dem Horne der Butzen sich bildenden
offenen Stellen wurden mit Hornstückchen geschlossen, denen man den Namen
ganze oder halbe Hornaffen (d. h. Hornoffen) gab; sie verwandelten die horn¬
offenen Stellen in horngeschlossene Stellen. Hornscheiden waren in Nußland noch
vor hundert oder hundertundzwanzig Jahren in Gebrauch; so versichert auf brief¬
liche Anfrage der vielgereiste englische Romanschreiber John Oxenham und er¬
zählt deshalb in seinem neuesten zu jener Zeit spielenden Romane ,,^lie
melts88 >va^" (1912), daß ein nach Sibirien Verbannter, dem verboten ist, in
irgendeinem Orte Sibiriens länger als zehn Tage zu verweilen, sich in die
Rückwand seines Wagens eine Scheibe von Horn eingesetzt habe. Da der Ge¬
brauch solcher Scheiben in Deutschland mit dem Ende des vierzehnten Jahr¬
hunderts zu verschwinden begann, so muß der Name„Hornaff" für dieZwischenstücke
der Butzen bereits während des vierzehnten Jahrhunderts üblich gewesen sein.


6.

Auf den richtigen Weg, den vermeintlich sonderbaren oder gar unförm¬
lichen Hornaffen zu erklären, kommt man nur, wenn man in seiner Schlußsilbc
etwas anderes sucht als das Hauptwort „Affe", nämlich statt eines Haupt¬
wortes ein Eigenschaftswort, und wenn man zugleich berücksichtigt, daß unsere
frühere deutsche Sprache in Zusammensetzungen eines Hauptwortes mit einem
Eigenschaftswort das letztere nicht, wie bei späteren zusammengesetzten Wörtern,
dem Hauptworte stets vorhergehen, sondern achtfach ihm nachfolgen läßt.
Dabei besteht das Streben, möglichst nur einsilbige Eigenschaftswörter zur Zu¬
sammensetzung zu verwenden; „zweisilbige Eigenschaftswörter lassen sich nur
selten auf eine Verbindung ein." und es zeigt sich, wenn sie eine Verbindung
eingehen, das Streben, die Endsilbe des Eigenschaftswortes abzustoßen. Handelt
es sich also um eine etwaige Zusammensetzung mit den, Eigenschaftswort „offen",
so kürzt sich offen in „vff". Eine ähnliche Abkürzung des Wortes „offen"



*) Oidtincnm, Rheinische Glasmalerei (1912) S, S,
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[0073] Lin Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologie scheibenzwickel hat einen ganz anderen Ursprung, und gerade dieser spricht wesent¬ lich für die Identität zwischen Hornaffen und Hornoffen. Der Hornstoff schmilzt durch Erwärmung. Das scheint schon Siegfried gewußt zu haben, als er sich im geschmolzenen Drachenhorn badete. Durch Erwärmung kann man das Horn auch zu durchsichtigen dünnen Scheiben ver¬ arbeiten, indem man einen Klumpen erwärmtes Horn durch Drehungen verflacht; die in der Mitte bleibende Erhöhung bildet den Nabel oder die „Butze" der entstehenden Scheibe, die vor Erfindung des Glases die Glasscheibe vertrat. Der letzteren Auftauchen läßt sich höchstens bis zu Ende des vierzehnten Jahr¬ hunderts verfolgen*); vorher gab es nur Hornscheiden. Statt Scheiben aus Walzen oder Zylindern herzustellen (Walzenglas), kannte man anfänglich nur Mondglas, nämlich kreisrunde aus Glasklumpen hergestellte Scheiben. Solche runde Scheiben ließen, wo sie aneinander oder an den Fensterrahmen stoßen, Öffnungen in vierspitziger (am Fensterrahmen in drei¬ spitziger) Gestalt. Die dadurch zwischen dem Horne der Butzen sich bildenden offenen Stellen wurden mit Hornstückchen geschlossen, denen man den Namen ganze oder halbe Hornaffen (d. h. Hornoffen) gab; sie verwandelten die horn¬ offenen Stellen in horngeschlossene Stellen. Hornscheiden waren in Nußland noch vor hundert oder hundertundzwanzig Jahren in Gebrauch; so versichert auf brief¬ liche Anfrage der vielgereiste englische Romanschreiber John Oxenham und er¬ zählt deshalb in seinem neuesten zu jener Zeit spielenden Romane ,,^lie melts88 >va^" (1912), daß ein nach Sibirien Verbannter, dem verboten ist, in irgendeinem Orte Sibiriens länger als zehn Tage zu verweilen, sich in die Rückwand seines Wagens eine Scheibe von Horn eingesetzt habe. Da der Ge¬ brauch solcher Scheiben in Deutschland mit dem Ende des vierzehnten Jahr¬ hunderts zu verschwinden begann, so muß der Name„Hornaff" für dieZwischenstücke der Butzen bereits während des vierzehnten Jahrhunderts üblich gewesen sein. 6. Auf den richtigen Weg, den vermeintlich sonderbaren oder gar unförm¬ lichen Hornaffen zu erklären, kommt man nur, wenn man in seiner Schlußsilbc etwas anderes sucht als das Hauptwort „Affe", nämlich statt eines Haupt¬ wortes ein Eigenschaftswort, und wenn man zugleich berücksichtigt, daß unsere frühere deutsche Sprache in Zusammensetzungen eines Hauptwortes mit einem Eigenschaftswort das letztere nicht, wie bei späteren zusammengesetzten Wörtern, dem Hauptworte stets vorhergehen, sondern achtfach ihm nachfolgen läßt. Dabei besteht das Streben, möglichst nur einsilbige Eigenschaftswörter zur Zu¬ sammensetzung zu verwenden; „zweisilbige Eigenschaftswörter lassen sich nur selten auf eine Verbindung ein." und es zeigt sich, wenn sie eine Verbindung eingehen, das Streben, die Endsilbe des Eigenschaftswortes abzustoßen. Handelt es sich also um eine etwaige Zusammensetzung mit den, Eigenschaftswort „offen", so kürzt sich offen in „vff". Eine ähnliche Abkürzung des Wortes „offen" *) Oidtincnm, Rheinische Glasmalerei (1912) S, S,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/73>, abgerufen am 08.05.2024.