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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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alle mögliche und unmögliche Weise mühten
sich "patriotische" Eiferer ab, hinter daS Ge¬
heimnis des Pseudonyms "Sepp Schluiferer"
zu kommen; selbst den Verleger Lothar
Joachim in München suchten sie mit verlogenen
Mitteln zur Preisgabe des wahren Autor¬
namens zu bewegen -- umsonst. Als aber
in Kufstein die Hetze einen kaum mehr zu
überbietendem Gipfel erklommen hatte, da
erfaßte den Verfasser Karl Tcchet ein mensch¬
liches Rühren: er lüftete das Visier und be¬
antragte beim Ministerium in Wien gegen
sich selbst eine Disziplinaruntersuchung. Und
siehe da! Der Referent im k. k. Ministerium
hatte Sinn für Humor, berichtete dement¬
sprechend, und nach dreiviertel Jahren eines
"Ferienaufenthaltes fern von Madrid" (in
München) wurde das "Scheusal" als Professor
an die deutsche Oberrealschule nack Proßnitz
in Mähren berufen. Das Vertrauen, das
seine Behörde damit in ihn setzte, hat er nicht
getäuscht. Während sich das schwergekränkte
Tirol allmählich beruhigte, so daß die neuen,
famos illustrierten Auflagen der "Kurzen
Geschichten aus finsteren Breiten" über den
Namen ihres Urhebers keinen Schleier mehr
zu breiten brauchten, sagte Karl Techet dein
boshaften Dichten und Trachten Valet. Nach
wenigen Jahren emsigen Studiums tritt er,
jetzt erst sechsunddreißig Jahre alt, vor ein
größeres Publikum mit einem ernsten Werke
ganz besonderer Art: Völker, Baterländer
und Fürsten. El" Beitrag zur Entwicklung
Europas. (Mit neunzehn Textfiguren, sechs
Kartenskizzen und einer Tafel. München,
Lothar Joachim. 480 S. Geb. 12 M)

Mit ungeheuchelter Achtung begrüße ich
die vorliegende Arbeit. DaS ist etwas Ganzes,
etwas Großes. Welch ein Wurf! Lebhaft
Wird man an die überraschende Entwicklung
A. Moellers v. d. Brück erinnert oder an die
noch ungehobener Schätze der Woltmannschen
Hinterlassenschaft gemahnt. Dabei tritt der
Verfasser mit einer Bescheidenheit auf, die
uns von vornherein zu seinen Gunsten stimmt
und uns menschlich gefangen nimmt. Mit
Recht stellt Techet sein Werk' als eine Weiter¬
führung Ratzelscher Gedanken hin, obwohl
gerade Friedrich Ratzel, lebte er noch, manche
Behauptungen Techets sicher ablehnen würde.
Genügsam spricht letzterer in Zweifelsfällen

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immer nur von Andeutungen, Anregungen;
niemals von Beweisen. Ein gegen sich selbst
ehrlicher Wahrheitssucher, hat er sich eine klare
Vorstellung von der -- nicht anthropologisch
zu verstehenden -- Einheit der westeuropäischen
Volksgruppe verschafft und schildert nun in
Form loser Essays, die schließlich doch ein
geschlossenes Bild liefern, wie jene Einheit
sich herangebildet hat, wie sie sich trotz Kampf
und Haß, trotz Nationalismus und Kosmo¬
politismus weiter erhält, zunimmt und --
hoffentlich in steigendem Grade -- Kultur¬
taten vollbringt, was für Kräfte ihr auch
entgegenwirken und sie gelegentlich nieder¬
halten mögen. Er bemüht sich, den Dingen
auf den Grund zugehen; auch so vielgebrauchten
und gedankenlos nachgebeteten Modewörtern
wie "Kultur" und "Europäer" sieht er, jeder
Phrase abhold, bis auf die Nieren. Über
Rassen und Rassenfragen ist schon ein solcher
Wust törichten Zeuges geschrieben worden,
daß man nur mit Ängsten und Vorurteilen
an die Lektüre eines neuen Buches heran¬
tritt, das ähnliche Themen behandelt. Ich
bin aber überzeugt, daß, wer sich ernstlich
hineinliest, diesen "Techet" nicht gleich weg¬
legen wird. Nur eins verstehe ich nicht recht:
die Aufnahme der "Fürsten" in den Titel;
ist von ihnen doch bloß in einem der letzten
Sechzehntel des ganzen Buches die Rede.
Anscheinend war dafür die angenehm klin¬
gende Alliteration maßgebend. Der "aktuelle"
Politiker wird mit zahlreichen Aufstellungen
des antirussisch orientierten Verfassers nicht
viel anfangen können oder wollen. Dennoch
empfehle ich auch ihm daS Studium dieser
geistreichen Beobachtungen und meist zwin¬
genden Schlüsse, weil sie für die Beurteilung
gewisser völkischen Vorgänge einen brauchbaren
Schlüssel zu liefern scheinen. Eins hat jeden¬
falls der Verfasser vor manch anderem Rassen-
theoretiker, namentlich vor Houston Se. Cham-
borlain, den er gar nicht liebt, voraus: eine
verblüffende Vorurteilslosigkeit. Und wer es
wagt, ausgetretene Gleise zu verlassen, um
eigene Wege zu wandeln, der nötigt von
vornherein tiefe Achtung ab. Dr. H.Helmolt

Achöne Literatur
Meisterwerke orientalischer Literaturen.

Der Verlag von Georg Müller, der in

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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alle mögliche und unmögliche Weise mühten
sich „patriotische" Eiferer ab, hinter daS Ge¬
heimnis des Pseudonyms „Sepp Schluiferer"
zu kommen; selbst den Verleger Lothar
Joachim in München suchten sie mit verlogenen
Mitteln zur Preisgabe des wahren Autor¬
namens zu bewegen — umsonst. Als aber
in Kufstein die Hetze einen kaum mehr zu
überbietendem Gipfel erklommen hatte, da
erfaßte den Verfasser Karl Tcchet ein mensch¬
liches Rühren: er lüftete das Visier und be¬
antragte beim Ministerium in Wien gegen
sich selbst eine Disziplinaruntersuchung. Und
siehe da! Der Referent im k. k. Ministerium
hatte Sinn für Humor, berichtete dement¬
sprechend, und nach dreiviertel Jahren eines
„Ferienaufenthaltes fern von Madrid" (in
München) wurde das „Scheusal" als Professor
an die deutsche Oberrealschule nack Proßnitz
in Mähren berufen. Das Vertrauen, das
seine Behörde damit in ihn setzte, hat er nicht
getäuscht. Während sich das schwergekränkte
Tirol allmählich beruhigte, so daß die neuen,
famos illustrierten Auflagen der „Kurzen
Geschichten aus finsteren Breiten" über den
Namen ihres Urhebers keinen Schleier mehr
zu breiten brauchten, sagte Karl Techet dein
boshaften Dichten und Trachten Valet. Nach
wenigen Jahren emsigen Studiums tritt er,
jetzt erst sechsunddreißig Jahre alt, vor ein
größeres Publikum mit einem ernsten Werke
ganz besonderer Art: Völker, Baterländer
und Fürsten. El» Beitrag zur Entwicklung
Europas. (Mit neunzehn Textfiguren, sechs
Kartenskizzen und einer Tafel. München,
Lothar Joachim. 480 S. Geb. 12 M)

Mit ungeheuchelter Achtung begrüße ich
die vorliegende Arbeit. DaS ist etwas Ganzes,
etwas Großes. Welch ein Wurf! Lebhaft
Wird man an die überraschende Entwicklung
A. Moellers v. d. Brück erinnert oder an die
noch ungehobener Schätze der Woltmannschen
Hinterlassenschaft gemahnt. Dabei tritt der
Verfasser mit einer Bescheidenheit auf, die
uns von vornherein zu seinen Gunsten stimmt
und uns menschlich gefangen nimmt. Mit
Recht stellt Techet sein Werk' als eine Weiter¬
führung Ratzelscher Gedanken hin, obwohl
gerade Friedrich Ratzel, lebte er noch, manche
Behauptungen Techets sicher ablehnen würde.
Genügsam spricht letzterer in Zweifelsfällen

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immer nur von Andeutungen, Anregungen;
niemals von Beweisen. Ein gegen sich selbst
ehrlicher Wahrheitssucher, hat er sich eine klare
Vorstellung von der — nicht anthropologisch
zu verstehenden — Einheit der westeuropäischen
Volksgruppe verschafft und schildert nun in
Form loser Essays, die schließlich doch ein
geschlossenes Bild liefern, wie jene Einheit
sich herangebildet hat, wie sie sich trotz Kampf
und Haß, trotz Nationalismus und Kosmo¬
politismus weiter erhält, zunimmt und —
hoffentlich in steigendem Grade — Kultur¬
taten vollbringt, was für Kräfte ihr auch
entgegenwirken und sie gelegentlich nieder¬
halten mögen. Er bemüht sich, den Dingen
auf den Grund zugehen; auch so vielgebrauchten
und gedankenlos nachgebeteten Modewörtern
wie „Kultur" und „Europäer" sieht er, jeder
Phrase abhold, bis auf die Nieren. Über
Rassen und Rassenfragen ist schon ein solcher
Wust törichten Zeuges geschrieben worden,
daß man nur mit Ängsten und Vorurteilen
an die Lektüre eines neuen Buches heran¬
tritt, das ähnliche Themen behandelt. Ich
bin aber überzeugt, daß, wer sich ernstlich
hineinliest, diesen „Techet" nicht gleich weg¬
legen wird. Nur eins verstehe ich nicht recht:
die Aufnahme der „Fürsten" in den Titel;
ist von ihnen doch bloß in einem der letzten
Sechzehntel des ganzen Buches die Rede.
Anscheinend war dafür die angenehm klin¬
gende Alliteration maßgebend. Der „aktuelle"
Politiker wird mit zahlreichen Aufstellungen
des antirussisch orientierten Verfassers nicht
viel anfangen können oder wollen. Dennoch
empfehle ich auch ihm daS Studium dieser
geistreichen Beobachtungen und meist zwin¬
genden Schlüsse, weil sie für die Beurteilung
gewisser völkischen Vorgänge einen brauchbaren
Schlüssel zu liefern scheinen. Eins hat jeden¬
falls der Verfasser vor manch anderem Rassen-
theoretiker, namentlich vor Houston Se. Cham-
borlain, den er gar nicht liebt, voraus: eine
verblüffende Vorurteilslosigkeit. Und wer es
wagt, ausgetretene Gleise zu verlassen, um
eigene Wege zu wandeln, der nötigt von
vornherein tiefe Achtung ab. Dr. H.Helmolt

Achöne Literatur
Meisterwerke orientalischer Literaturen.

Der Verlag von Georg Müller, der in

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[0624] Maßgebliches und Unmaßgebliches alle mögliche und unmögliche Weise mühten sich „patriotische" Eiferer ab, hinter daS Ge¬ heimnis des Pseudonyms „Sepp Schluiferer" zu kommen; selbst den Verleger Lothar Joachim in München suchten sie mit verlogenen Mitteln zur Preisgabe des wahren Autor¬ namens zu bewegen — umsonst. Als aber in Kufstein die Hetze einen kaum mehr zu überbietendem Gipfel erklommen hatte, da erfaßte den Verfasser Karl Tcchet ein mensch¬ liches Rühren: er lüftete das Visier und be¬ antragte beim Ministerium in Wien gegen sich selbst eine Disziplinaruntersuchung. Und siehe da! Der Referent im k. k. Ministerium hatte Sinn für Humor, berichtete dement¬ sprechend, und nach dreiviertel Jahren eines „Ferienaufenthaltes fern von Madrid" (in München) wurde das „Scheusal" als Professor an die deutsche Oberrealschule nack Proßnitz in Mähren berufen. Das Vertrauen, das seine Behörde damit in ihn setzte, hat er nicht getäuscht. Während sich das schwergekränkte Tirol allmählich beruhigte, so daß die neuen, famos illustrierten Auflagen der „Kurzen Geschichten aus finsteren Breiten" über den Namen ihres Urhebers keinen Schleier mehr zu breiten brauchten, sagte Karl Techet dein boshaften Dichten und Trachten Valet. Nach wenigen Jahren emsigen Studiums tritt er, jetzt erst sechsunddreißig Jahre alt, vor ein größeres Publikum mit einem ernsten Werke ganz besonderer Art: Völker, Baterländer und Fürsten. El» Beitrag zur Entwicklung Europas. (Mit neunzehn Textfiguren, sechs Kartenskizzen und einer Tafel. München, Lothar Joachim. 480 S. Geb. 12 M) Mit ungeheuchelter Achtung begrüße ich die vorliegende Arbeit. DaS ist etwas Ganzes, etwas Großes. Welch ein Wurf! Lebhaft Wird man an die überraschende Entwicklung A. Moellers v. d. Brück erinnert oder an die noch ungehobener Schätze der Woltmannschen Hinterlassenschaft gemahnt. Dabei tritt der Verfasser mit einer Bescheidenheit auf, die uns von vornherein zu seinen Gunsten stimmt und uns menschlich gefangen nimmt. Mit Recht stellt Techet sein Werk' als eine Weiter¬ führung Ratzelscher Gedanken hin, obwohl gerade Friedrich Ratzel, lebte er noch, manche Behauptungen Techets sicher ablehnen würde. Genügsam spricht letzterer in Zweifelsfällen immer nur von Andeutungen, Anregungen; niemals von Beweisen. Ein gegen sich selbst ehrlicher Wahrheitssucher, hat er sich eine klare Vorstellung von der — nicht anthropologisch zu verstehenden — Einheit der westeuropäischen Volksgruppe verschafft und schildert nun in Form loser Essays, die schließlich doch ein geschlossenes Bild liefern, wie jene Einheit sich herangebildet hat, wie sie sich trotz Kampf und Haß, trotz Nationalismus und Kosmo¬ politismus weiter erhält, zunimmt und — hoffentlich in steigendem Grade — Kultur¬ taten vollbringt, was für Kräfte ihr auch entgegenwirken und sie gelegentlich nieder¬ halten mögen. Er bemüht sich, den Dingen auf den Grund zugehen; auch so vielgebrauchten und gedankenlos nachgebeteten Modewörtern wie „Kultur" und „Europäer" sieht er, jeder Phrase abhold, bis auf die Nieren. Über Rassen und Rassenfragen ist schon ein solcher Wust törichten Zeuges geschrieben worden, daß man nur mit Ängsten und Vorurteilen an die Lektüre eines neuen Buches heran¬ tritt, das ähnliche Themen behandelt. Ich bin aber überzeugt, daß, wer sich ernstlich hineinliest, diesen „Techet" nicht gleich weg¬ legen wird. Nur eins verstehe ich nicht recht: die Aufnahme der „Fürsten" in den Titel; ist von ihnen doch bloß in einem der letzten Sechzehntel des ganzen Buches die Rede. Anscheinend war dafür die angenehm klin¬ gende Alliteration maßgebend. Der „aktuelle" Politiker wird mit zahlreichen Aufstellungen des antirussisch orientierten Verfassers nicht viel anfangen können oder wollen. Dennoch empfehle ich auch ihm daS Studium dieser geistreichen Beobachtungen und meist zwin¬ genden Schlüsse, weil sie für die Beurteilung gewisser völkischen Vorgänge einen brauchbaren Schlüssel zu liefern scheinen. Eins hat jeden¬ falls der Verfasser vor manch anderem Rassen- theoretiker, namentlich vor Houston Se. Cham- borlain, den er gar nicht liebt, voraus: eine verblüffende Vorurteilslosigkeit. Und wer es wagt, ausgetretene Gleise zu verlassen, um eigene Wege zu wandeln, der nötigt von vornherein tiefe Achtung ab. Dr. H.Helmolt Achöne Literatur Meisterwerke orientalischer Literaturen. Der Verlag von Georg Müller, der in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/624>, abgerufen am 04.05.2024.