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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

anders sein, denn mit Recht sagt Lerov-Beaulieu: "Eine der Eigenschaften, die
das Klima, der Kampf gegen eine unerbittliche Natur beim Großrussen am
meisten ausgebildet hat, ist der passive Mut, die negative Energie, das Träg¬
heitsmoment. . . . Das Leben im Verein mit der Geschichte hat in ihm einen
Stoizismus entwickelt, dessen Heldenhaftigkeit ihm selbst kaum bewußt ist.
Freilich entspringt dieser Stoizismus der Schwäche und nicht natürlichem Stolze.
Er ist gelegentlich gar zu einfältig, zu naiv, um -- nicht gegen die Würde zu
verstoßen. Niemand vermag zu leiden wie ein Russe, niemand weiß gleich
ihm zu sterben. In seinem stillen Duldermut in Leid und Tod ist etwas von
der Ergebung des verwundeten Tieres, aber sie wird verklärt durch eine innige
religiöse Überzeugung."

Diese Überzeugung ist freilich beim gemeinen Mann weniger eine solche im
eigentlichen Sinne, als eine halb unbewußte Unterordnung unter die göttliche
Allmacht, die nicht frei ist von Schwärmerei. In diesem Sinne sagt Theodor
Schiemann treffend: "Man darf nie vergessen, daß, was in Rußland nicht in
den Kreis der .Gebildeten' gehört, orientalisch denkt und empfindet und allem
Wunderbaren und Extremen leicht zugänglich ist." In der Tat haben ein
unerbittliches Klima, die Tatarenherrschaft, die Willkür eines Iwan des Schreck¬
lichen und die Leibeigenschaft ihre tiefen Spuren im russischen Volkstum hinter¬
lassen. Sie erklären zur Genüge jenes "orientalische Denken", den Hang zum
Mystischen. Mit Recht ist von Kuropatkins Rechenschaftsbericht gesagt worden:
"Er sei insofern reizvoll, als er nicht nur die mehr oder weniger zufällige
Subjektivität des Verfassers widerspiegele, sondern auch einen tiefen Blick in
die Seele des russischen Volkes eröffne. Auch auf Kuropatkin laste der Schatten
der Melancholie." Ein solcher Mann aber konnte niemals ein wirklicher und
erfolgreicher Feldherr sein, denn ein solcher ist ohne freudigen Optimismus
nicht denkbar.




Nachwort der Schriftleitung.

Am Schlüsse dieser interessanten Dar¬
legungen möchten wir noch darauf hinweisen, daß Seine Exzellenz Generalleutnant
Freiherr Frevtag'Loringhoven in seinem Werk "Die Grundbedingungen kriegerischen
Erfolges", erschienen bei E. S. Mittler u. Sohn, Berlin 1914, außer den
Russen die Türken, Japaner, Preußen-Deutschen, Franzosen und Nordamerikaner
als kriegführende Völker in gleich hervorragender Weise gekennzeichnet hat.




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Die russische Armee als Gegner

anders sein, denn mit Recht sagt Lerov-Beaulieu: „Eine der Eigenschaften, die
das Klima, der Kampf gegen eine unerbittliche Natur beim Großrussen am
meisten ausgebildet hat, ist der passive Mut, die negative Energie, das Träg¬
heitsmoment. . . . Das Leben im Verein mit der Geschichte hat in ihm einen
Stoizismus entwickelt, dessen Heldenhaftigkeit ihm selbst kaum bewußt ist.
Freilich entspringt dieser Stoizismus der Schwäche und nicht natürlichem Stolze.
Er ist gelegentlich gar zu einfältig, zu naiv, um — nicht gegen die Würde zu
verstoßen. Niemand vermag zu leiden wie ein Russe, niemand weiß gleich
ihm zu sterben. In seinem stillen Duldermut in Leid und Tod ist etwas von
der Ergebung des verwundeten Tieres, aber sie wird verklärt durch eine innige
religiöse Überzeugung."

Diese Überzeugung ist freilich beim gemeinen Mann weniger eine solche im
eigentlichen Sinne, als eine halb unbewußte Unterordnung unter die göttliche
Allmacht, die nicht frei ist von Schwärmerei. In diesem Sinne sagt Theodor
Schiemann treffend: „Man darf nie vergessen, daß, was in Rußland nicht in
den Kreis der .Gebildeten' gehört, orientalisch denkt und empfindet und allem
Wunderbaren und Extremen leicht zugänglich ist." In der Tat haben ein
unerbittliches Klima, die Tatarenherrschaft, die Willkür eines Iwan des Schreck¬
lichen und die Leibeigenschaft ihre tiefen Spuren im russischen Volkstum hinter¬
lassen. Sie erklären zur Genüge jenes „orientalische Denken", den Hang zum
Mystischen. Mit Recht ist von Kuropatkins Rechenschaftsbericht gesagt worden:
„Er sei insofern reizvoll, als er nicht nur die mehr oder weniger zufällige
Subjektivität des Verfassers widerspiegele, sondern auch einen tiefen Blick in
die Seele des russischen Volkes eröffne. Auch auf Kuropatkin laste der Schatten
der Melancholie." Ein solcher Mann aber konnte niemals ein wirklicher und
erfolgreicher Feldherr sein, denn ein solcher ist ohne freudigen Optimismus
nicht denkbar.




Nachwort der Schriftleitung.

Am Schlüsse dieser interessanten Dar¬
legungen möchten wir noch darauf hinweisen, daß Seine Exzellenz Generalleutnant
Freiherr Frevtag'Loringhoven in seinem Werk „Die Grundbedingungen kriegerischen
Erfolges", erschienen bei E. S. Mittler u. Sohn, Berlin 1914, außer den
Russen die Türken, Japaner, Preußen-Deutschen, Franzosen und Nordamerikaner
als kriegführende Völker in gleich hervorragender Weise gekennzeichnet hat.




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[0319] Die russische Armee als Gegner anders sein, denn mit Recht sagt Lerov-Beaulieu: „Eine der Eigenschaften, die das Klima, der Kampf gegen eine unerbittliche Natur beim Großrussen am meisten ausgebildet hat, ist der passive Mut, die negative Energie, das Träg¬ heitsmoment. . . . Das Leben im Verein mit der Geschichte hat in ihm einen Stoizismus entwickelt, dessen Heldenhaftigkeit ihm selbst kaum bewußt ist. Freilich entspringt dieser Stoizismus der Schwäche und nicht natürlichem Stolze. Er ist gelegentlich gar zu einfältig, zu naiv, um — nicht gegen die Würde zu verstoßen. Niemand vermag zu leiden wie ein Russe, niemand weiß gleich ihm zu sterben. In seinem stillen Duldermut in Leid und Tod ist etwas von der Ergebung des verwundeten Tieres, aber sie wird verklärt durch eine innige religiöse Überzeugung." Diese Überzeugung ist freilich beim gemeinen Mann weniger eine solche im eigentlichen Sinne, als eine halb unbewußte Unterordnung unter die göttliche Allmacht, die nicht frei ist von Schwärmerei. In diesem Sinne sagt Theodor Schiemann treffend: „Man darf nie vergessen, daß, was in Rußland nicht in den Kreis der .Gebildeten' gehört, orientalisch denkt und empfindet und allem Wunderbaren und Extremen leicht zugänglich ist." In der Tat haben ein unerbittliches Klima, die Tatarenherrschaft, die Willkür eines Iwan des Schreck¬ lichen und die Leibeigenschaft ihre tiefen Spuren im russischen Volkstum hinter¬ lassen. Sie erklären zur Genüge jenes „orientalische Denken", den Hang zum Mystischen. Mit Recht ist von Kuropatkins Rechenschaftsbericht gesagt worden: „Er sei insofern reizvoll, als er nicht nur die mehr oder weniger zufällige Subjektivität des Verfassers widerspiegele, sondern auch einen tiefen Blick in die Seele des russischen Volkes eröffne. Auch auf Kuropatkin laste der Schatten der Melancholie." Ein solcher Mann aber konnte niemals ein wirklicher und erfolgreicher Feldherr sein, denn ein solcher ist ohne freudigen Optimismus nicht denkbar. Nachwort der Schriftleitung. Am Schlüsse dieser interessanten Dar¬ legungen möchten wir noch darauf hinweisen, daß Seine Exzellenz Generalleutnant Freiherr Frevtag'Loringhoven in seinem Werk „Die Grundbedingungen kriegerischen Erfolges", erschienen bei E. S. Mittler u. Sohn, Berlin 1914, außer den Russen die Türken, Japaner, Preußen-Deutschen, Franzosen und Nordamerikaner als kriegführende Völker in gleich hervorragender Weise gekennzeichnet hat. 21»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/319>, abgerufen am 02.05.2024.