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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Zeitgemäße Bücher

Holze. Solch einen Stamm vermag kein Sturm zu fällen; nur ein Erdbeben
kann ihn zu Boden strecken, und auch dann noch wird aus seinen Wurzeln
neues Leben über den Ruinen erblühen.

Im Morgengrauen schwingt sich die erste Lerche empor, unbekümmert um
das mörderische Walten der Menschen. -- Zwei Uhr nachts. --
'"

"Jetzt müssen sie ran sein, flüstert mein Nebenman. "soll ich mal mit
der Pistole schießen?"

"Eigentlich geht das doch wohl besser mit den Gewehren, aber sonst,
wenn es Ihnen Spaß macht, tun Sie sich keinen Zwang an."

"Ich meine doch mit der Leuchtpistole, damit wir den Feind zu sehen
bekommen." Und schon pfeift zischend eine weiße Rakete neben mir in die
Luft, die ganze Stellung des Gegners taghell beleuchtend. Jans erschreckt
fahre ich zurück: "Wann werde ich alle die "Jahresringe" kennen?"

In der Rakete Beleuchtung erkenne ich ihn. den Nebenmann: Mein kleiner,
lebensdurstiger Leutnant Koch ist es. spähend starrt er zum Feinde, der sich
just zum Sturme anschickt. -- Weit in der Ferne ertönt Hurrageschrei, und
im Osten glüht's Morgenrot. In allen Halmen und Gräsern perlt blinkend
der nächtliche Tau. Sind das Tränen? Tränen, die meinem Leutnant gelten?
'

Daß sich Gott erbarm, Tränen im Morgenrot, und gelten ihm, meinem
Leutnant; heute schläft auch er schon den Todesschlaf draußen in Feindesland.--

Schreckliche ZeitI Wohin auch die Gedanken sich flüchten, sie stoßen auf
liebe Tote; die jüngst noch vor Lebenslust sprühten, nun liegen sie hingestreckt
auf blutiger Heide. Sehe sie, will sie nicht sehen und erblicke sie dennoch im
Geiste, die stillen Schläfer. Peer Gvntisch nutzloser Kampf der Gedanken, wann
wirst du ein Ende haben I




Zeitgemäße Bücher
v Dr. in, Relchner on

u den erfreulichsten Zeichen der letzten Kriegsmonate gehört der
Deutschen unveränderte und aufs neue geoffenbarte Liebe zum Buch.
In unzähligen Bänden strömt Lesestoff ins Feld, in die Lazarette
und Krankenhäuser, wird freudig begrüßt und immer wieder erbeten.
Und auch die Daheimgebliebenen greifen nach den ersten Wochen
ruheloser Erregung wieder zum Buch. Freilich ist das allgemeine Interesse ein
wenig verschoben. Die großen Ereignisse des Tages bestimmen die Auswahl des
Zulesenden, indem sie den Blick, der in der allernächsten Zukunft Schranken findet,
zwingen, rückwärts zu schweifen in Zeiten ähnlicher Kämpfe, wie sie heute aus¬
gefochten werden. In West und Ost ist ja der weitaus größte Teil des


Zeitgemäße Bücher

Holze. Solch einen Stamm vermag kein Sturm zu fällen; nur ein Erdbeben
kann ihn zu Boden strecken, und auch dann noch wird aus seinen Wurzeln
neues Leben über den Ruinen erblühen.

Im Morgengrauen schwingt sich die erste Lerche empor, unbekümmert um
das mörderische Walten der Menschen. — Zwei Uhr nachts. —
'"

„Jetzt müssen sie ran sein, flüstert mein Nebenman. „soll ich mal mit
der Pistole schießen?"

„Eigentlich geht das doch wohl besser mit den Gewehren, aber sonst,
wenn es Ihnen Spaß macht, tun Sie sich keinen Zwang an."

„Ich meine doch mit der Leuchtpistole, damit wir den Feind zu sehen
bekommen." Und schon pfeift zischend eine weiße Rakete neben mir in die
Luft, die ganze Stellung des Gegners taghell beleuchtend. Jans erschreckt
fahre ich zurück: „Wann werde ich alle die „Jahresringe" kennen?"

In der Rakete Beleuchtung erkenne ich ihn. den Nebenmann: Mein kleiner,
lebensdurstiger Leutnant Koch ist es. spähend starrt er zum Feinde, der sich
just zum Sturme anschickt. — Weit in der Ferne ertönt Hurrageschrei, und
im Osten glüht's Morgenrot. In allen Halmen und Gräsern perlt blinkend
der nächtliche Tau. Sind das Tränen? Tränen, die meinem Leutnant gelten?
'

Daß sich Gott erbarm, Tränen im Morgenrot, und gelten ihm, meinem
Leutnant; heute schläft auch er schon den Todesschlaf draußen in Feindesland.--

Schreckliche ZeitI Wohin auch die Gedanken sich flüchten, sie stoßen auf
liebe Tote; die jüngst noch vor Lebenslust sprühten, nun liegen sie hingestreckt
auf blutiger Heide. Sehe sie, will sie nicht sehen und erblicke sie dennoch im
Geiste, die stillen Schläfer. Peer Gvntisch nutzloser Kampf der Gedanken, wann
wirst du ein Ende haben I




Zeitgemäße Bücher
v Dr. in, Relchner on

u den erfreulichsten Zeichen der letzten Kriegsmonate gehört der
Deutschen unveränderte und aufs neue geoffenbarte Liebe zum Buch.
In unzähligen Bänden strömt Lesestoff ins Feld, in die Lazarette
und Krankenhäuser, wird freudig begrüßt und immer wieder erbeten.
Und auch die Daheimgebliebenen greifen nach den ersten Wochen
ruheloser Erregung wieder zum Buch. Freilich ist das allgemeine Interesse ein
wenig verschoben. Die großen Ereignisse des Tages bestimmen die Auswahl des
Zulesenden, indem sie den Blick, der in der allernächsten Zukunft Schranken findet,
zwingen, rückwärts zu schweifen in Zeiten ähnlicher Kämpfe, wie sie heute aus¬
gefochten werden. In West und Ost ist ja der weitaus größte Teil des


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[0226] Zeitgemäße Bücher Holze. Solch einen Stamm vermag kein Sturm zu fällen; nur ein Erdbeben kann ihn zu Boden strecken, und auch dann noch wird aus seinen Wurzeln neues Leben über den Ruinen erblühen. Im Morgengrauen schwingt sich die erste Lerche empor, unbekümmert um das mörderische Walten der Menschen. — Zwei Uhr nachts. — '" „Jetzt müssen sie ran sein, flüstert mein Nebenman. „soll ich mal mit der Pistole schießen?" „Eigentlich geht das doch wohl besser mit den Gewehren, aber sonst, wenn es Ihnen Spaß macht, tun Sie sich keinen Zwang an." „Ich meine doch mit der Leuchtpistole, damit wir den Feind zu sehen bekommen." Und schon pfeift zischend eine weiße Rakete neben mir in die Luft, die ganze Stellung des Gegners taghell beleuchtend. Jans erschreckt fahre ich zurück: „Wann werde ich alle die „Jahresringe" kennen?" In der Rakete Beleuchtung erkenne ich ihn. den Nebenmann: Mein kleiner, lebensdurstiger Leutnant Koch ist es. spähend starrt er zum Feinde, der sich just zum Sturme anschickt. — Weit in der Ferne ertönt Hurrageschrei, und im Osten glüht's Morgenrot. In allen Halmen und Gräsern perlt blinkend der nächtliche Tau. Sind das Tränen? Tränen, die meinem Leutnant gelten? ' Daß sich Gott erbarm, Tränen im Morgenrot, und gelten ihm, meinem Leutnant; heute schläft auch er schon den Todesschlaf draußen in Feindesland.-- Schreckliche ZeitI Wohin auch die Gedanken sich flüchten, sie stoßen auf liebe Tote; die jüngst noch vor Lebenslust sprühten, nun liegen sie hingestreckt auf blutiger Heide. Sehe sie, will sie nicht sehen und erblicke sie dennoch im Geiste, die stillen Schläfer. Peer Gvntisch nutzloser Kampf der Gedanken, wann wirst du ein Ende haben I Zeitgemäße Bücher v Dr. in, Relchner on u den erfreulichsten Zeichen der letzten Kriegsmonate gehört der Deutschen unveränderte und aufs neue geoffenbarte Liebe zum Buch. In unzähligen Bänden strömt Lesestoff ins Feld, in die Lazarette und Krankenhäuser, wird freudig begrüßt und immer wieder erbeten. Und auch die Daheimgebliebenen greifen nach den ersten Wochen ruheloser Erregung wieder zum Buch. Freilich ist das allgemeine Interesse ein wenig verschoben. Die großen Ereignisse des Tages bestimmen die Auswahl des Zulesenden, indem sie den Blick, der in der allernächsten Zukunft Schranken findet, zwingen, rückwärts zu schweifen in Zeiten ähnlicher Kämpfe, wie sie heute aus¬ gefochten werden. In West und Ost ist ja der weitaus größte Teil des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/226>, abgerufen am 02.05.2024.