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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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England und die Neutralen in den napoleonischen
Ariegen
V Dr. Stern on

on allen Großmächten Europas, die gegen die junge französische
Republik und Napoleon als eifrige Patrone der Legitimität zu
Felde zogen, hat keine zäher und unermüdlicher die gefährlichen
Heilslehren der Revolution bekämpft, als England. Die Hin¬
richtung Ludwig des Sechzehnten hatte es sofort mit einer Kriegs¬
erklärung an die Männer des Konvents beantwortet: "Um den ruchlosen
Frevel wider die Gesetze der Religion, des Rechts und der Menschheit zu
rächen, um eine solche Ungeheuerlichkeit wie die französische Republik umzustoßen,"
wie Pitt voll Pathos im Parlament verkündigt hatte. In Wirklichkeit, um das
von Frankreich eben eroberte Belgien, dies wichtige Küsten- und Industrieland,
nicht in den Händen des verhaßten Nebenbuhlers zu lassen, hat England seinen
Kreuzzug wider den Jakobinismus unternommen.

"Um das Gleichgewicht des bedrohten Europa zu wahren, um den Kontinent
von dem Despotismus des Korsen zu befreien," in Wirklichkeit aber um die
Konkurrenzmacht in Frankreich zu bekämpfen, die Napoleon eben zu nie ge¬
wesener Größe führte, hat es dann zwanzig Jahre lang in erbitterter Leiden¬
schaft das Schwert nicht aus der Hand getan.

In diesem Krieg hat Britannien auf dem Lande Niederlagen auf Nieder¬
lagen erlitten. Es hat nicht verhindern können, daß Belgien, daß Holland an
Frankreich verloren gingen, daß Napoleon das ganze Festland unter seine
eiserne Faust zwang.

Aber für diese Verluste auf dem Kontinent hat England zur See sich
tausendmal wieder entschädigt. Unbezwingbar durch seine Flotte, unnahbar
auf seiner Insel, unangreifbar in seinen Kolonien, hat es sich für Bonapartes
Erfolge schwer und wuchtig zu rächen gewußt. Aber während Napoleons
Walten nie ohne den Zug ins Große und Geniale ist, während er überall
Neues aufbaut und Gewaltiges schafft, gleicht Englands Herrschaft zur See
dem alles zerstörenden Raub- und Piratenwesen des Mittelalters. Es kämpfte




England und die Neutralen in den napoleonischen
Ariegen
V Dr. Stern on

on allen Großmächten Europas, die gegen die junge französische
Republik und Napoleon als eifrige Patrone der Legitimität zu
Felde zogen, hat keine zäher und unermüdlicher die gefährlichen
Heilslehren der Revolution bekämpft, als England. Die Hin¬
richtung Ludwig des Sechzehnten hatte es sofort mit einer Kriegs¬
erklärung an die Männer des Konvents beantwortet: „Um den ruchlosen
Frevel wider die Gesetze der Religion, des Rechts und der Menschheit zu
rächen, um eine solche Ungeheuerlichkeit wie die französische Republik umzustoßen,"
wie Pitt voll Pathos im Parlament verkündigt hatte. In Wirklichkeit, um das
von Frankreich eben eroberte Belgien, dies wichtige Küsten- und Industrieland,
nicht in den Händen des verhaßten Nebenbuhlers zu lassen, hat England seinen
Kreuzzug wider den Jakobinismus unternommen.

„Um das Gleichgewicht des bedrohten Europa zu wahren, um den Kontinent
von dem Despotismus des Korsen zu befreien," in Wirklichkeit aber um die
Konkurrenzmacht in Frankreich zu bekämpfen, die Napoleon eben zu nie ge¬
wesener Größe führte, hat es dann zwanzig Jahre lang in erbitterter Leiden¬
schaft das Schwert nicht aus der Hand getan.

In diesem Krieg hat Britannien auf dem Lande Niederlagen auf Nieder¬
lagen erlitten. Es hat nicht verhindern können, daß Belgien, daß Holland an
Frankreich verloren gingen, daß Napoleon das ganze Festland unter seine
eiserne Faust zwang.

Aber für diese Verluste auf dem Kontinent hat England zur See sich
tausendmal wieder entschädigt. Unbezwingbar durch seine Flotte, unnahbar
auf seiner Insel, unangreifbar in seinen Kolonien, hat es sich für Bonapartes
Erfolge schwer und wuchtig zu rächen gewußt. Aber während Napoleons
Walten nie ohne den Zug ins Große und Geniale ist, während er überall
Neues aufbaut und Gewaltiges schafft, gleicht Englands Herrschaft zur See
dem alles zerstörenden Raub- und Piratenwesen des Mittelalters. Es kämpfte


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[0404] [Abbildung] England und die Neutralen in den napoleonischen Ariegen V Dr. Stern on on allen Großmächten Europas, die gegen die junge französische Republik und Napoleon als eifrige Patrone der Legitimität zu Felde zogen, hat keine zäher und unermüdlicher die gefährlichen Heilslehren der Revolution bekämpft, als England. Die Hin¬ richtung Ludwig des Sechzehnten hatte es sofort mit einer Kriegs¬ erklärung an die Männer des Konvents beantwortet: „Um den ruchlosen Frevel wider die Gesetze der Religion, des Rechts und der Menschheit zu rächen, um eine solche Ungeheuerlichkeit wie die französische Republik umzustoßen," wie Pitt voll Pathos im Parlament verkündigt hatte. In Wirklichkeit, um das von Frankreich eben eroberte Belgien, dies wichtige Küsten- und Industrieland, nicht in den Händen des verhaßten Nebenbuhlers zu lassen, hat England seinen Kreuzzug wider den Jakobinismus unternommen. „Um das Gleichgewicht des bedrohten Europa zu wahren, um den Kontinent von dem Despotismus des Korsen zu befreien," in Wirklichkeit aber um die Konkurrenzmacht in Frankreich zu bekämpfen, die Napoleon eben zu nie ge¬ wesener Größe führte, hat es dann zwanzig Jahre lang in erbitterter Leiden¬ schaft das Schwert nicht aus der Hand getan. In diesem Krieg hat Britannien auf dem Lande Niederlagen auf Nieder¬ lagen erlitten. Es hat nicht verhindern können, daß Belgien, daß Holland an Frankreich verloren gingen, daß Napoleon das ganze Festland unter seine eiserne Faust zwang. Aber für diese Verluste auf dem Kontinent hat England zur See sich tausendmal wieder entschädigt. Unbezwingbar durch seine Flotte, unnahbar auf seiner Insel, unangreifbar in seinen Kolonien, hat es sich für Bonapartes Erfolge schwer und wuchtig zu rächen gewußt. Aber während Napoleons Walten nie ohne den Zug ins Große und Geniale ist, während er überall Neues aufbaut und Gewaltiges schafft, gleicht Englands Herrschaft zur See dem alles zerstörenden Raub- und Piratenwesen des Mittelalters. Es kämpfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/404>, abgerufen am 02.05.2024.