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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

Der damalige Gesandte beim deutschen Bunde hatte den Kaiser ein Jahr vor¬
her gelegentlich der Pariser Weltausstellung zum ersten Male gesehen; und die
zwei klugen Männer -- ein Charmeur jeder in seiner Art -- unterhielten sich
vortrefflich. Mit seinen leisen Anerbietungen an das "etwas gar zu magere" Preußen
hatte Napoleon ja schon früher begonnen. Heimgekehrt fällte Bismarck dann
seinem Könige gegenüber das merkwürdige Urteil: Louis Napoleon sei ein
gescheiter und liebenswürdiger Mann, aber lange nicht so klug, als die Welt
ihn glaube, die, wenn es in Ostasien zur unrechten Zeit regnet, dies einer übel¬
wollenden Machination des Franzosenkaisers zuschreibe. Napoleon sei nicht das
Zsms cis mal, das immer nur daran denke, Unfug in der Welt zu stiften.
Er wäre froh, etwas Gutes in Ruhe genießen zu können. Sein Verstand
werde auf Kosten seines Herzens überschätzt. Aber dieser Mann mit dem guten
Herzen (möchten wir hinzusetzen) scheute sich nicht, am 2. Dezember 1851 in
die harmlosen Boulevardspaziergänger hineinschießen zu lassen, nur der Ab¬
schreckung halber; er zögerte nicht, die Gegner seiner leise8 raya>IeoniennL8
scharenweise auf die "trockene Guillotine" von Cayenne zu senden und für
diese Ideen Tausende und Abertausende auf den Schlachtfeldern bluten zu lassen.

Interessant ist auch die Unterredung Bismarcks mit Napoleon 1857, von
der wir erst durch die "Gedanken und Erinnerungen" (Band I Seite 192 ff.)
erfuhren. Damals versicherte der Kaiser, er denke nicht an die Eroberung des
linken Rheinufers; seine Pläne seien weit eher auf Italien gerichtet. Ob
Bismarck nicht bei seinem Könige Sortieren könne, wie sich Preußen im Falle
eines französisch-österreichischen Konfliktes stellen würde. Bismarck lehnte diese
Zumutung, als bei der österreichischfreundlichen Gesinnung Friedrich Wilhelms
des Vierten höchst gefährlich ab, versprach aber dem Kaiser Stillschweigen, das
er auch getreulich hielt.


II.

Es lag in der Natur der Dinge, im Ursprünge der neunapoleonischen
Macht, vielleicht schon allein in dem Namen Napoleon, daß der "Mittler
Europas" die stolze Befriedigung, die ihm der Pariser Kongreß von 1856
bieten mußte, nicht in Ruhe genießen konnte. Unablässig mit neuen Plänen
und weitgehenden Gedanken beschäftigt, die stets die Karte Europas betrafen,
wandte Napoleon der Dritte seinem Heere eine ständige Fürsorge zu. Nur
gewinnt man, selbst auf diese glänzendste Periode des Kaisertums zurückblickend,
nicht den Eindruck, als ob die Armee in ihrer Gesamtheit ein durchaus verlä߬
liches und willfähriges Werkzeug der kaiserlichen Pläne gewesen wäre. Die
Generäle -- schreibt ein auswärtiger militärischer Beobachter -- welche zum
Teil von den Soldaten gefürchtet werden, wie Castellane, Pelisster, Magnam
sind eifersüchtig untereinander, Die Stabsoffiziere sind gut gesinnt. Die
Leutnants verdummen in den Kaffeehäusern. Die Unteroffiziere neigen zur
Kritik, besonders die Genietruppen und die Artillerie sind dem Kaiser feindlich.


Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

Der damalige Gesandte beim deutschen Bunde hatte den Kaiser ein Jahr vor¬
her gelegentlich der Pariser Weltausstellung zum ersten Male gesehen; und die
zwei klugen Männer — ein Charmeur jeder in seiner Art — unterhielten sich
vortrefflich. Mit seinen leisen Anerbietungen an das „etwas gar zu magere" Preußen
hatte Napoleon ja schon früher begonnen. Heimgekehrt fällte Bismarck dann
seinem Könige gegenüber das merkwürdige Urteil: Louis Napoleon sei ein
gescheiter und liebenswürdiger Mann, aber lange nicht so klug, als die Welt
ihn glaube, die, wenn es in Ostasien zur unrechten Zeit regnet, dies einer übel¬
wollenden Machination des Franzosenkaisers zuschreibe. Napoleon sei nicht das
Zsms cis mal, das immer nur daran denke, Unfug in der Welt zu stiften.
Er wäre froh, etwas Gutes in Ruhe genießen zu können. Sein Verstand
werde auf Kosten seines Herzens überschätzt. Aber dieser Mann mit dem guten
Herzen (möchten wir hinzusetzen) scheute sich nicht, am 2. Dezember 1851 in
die harmlosen Boulevardspaziergänger hineinschießen zu lassen, nur der Ab¬
schreckung halber; er zögerte nicht, die Gegner seiner leise8 raya>IeoniennL8
scharenweise auf die „trockene Guillotine" von Cayenne zu senden und für
diese Ideen Tausende und Abertausende auf den Schlachtfeldern bluten zu lassen.

Interessant ist auch die Unterredung Bismarcks mit Napoleon 1857, von
der wir erst durch die „Gedanken und Erinnerungen" (Band I Seite 192 ff.)
erfuhren. Damals versicherte der Kaiser, er denke nicht an die Eroberung des
linken Rheinufers; seine Pläne seien weit eher auf Italien gerichtet. Ob
Bismarck nicht bei seinem Könige Sortieren könne, wie sich Preußen im Falle
eines französisch-österreichischen Konfliktes stellen würde. Bismarck lehnte diese
Zumutung, als bei der österreichischfreundlichen Gesinnung Friedrich Wilhelms
des Vierten höchst gefährlich ab, versprach aber dem Kaiser Stillschweigen, das
er auch getreulich hielt.


II.

Es lag in der Natur der Dinge, im Ursprünge der neunapoleonischen
Macht, vielleicht schon allein in dem Namen Napoleon, daß der „Mittler
Europas" die stolze Befriedigung, die ihm der Pariser Kongreß von 1856
bieten mußte, nicht in Ruhe genießen konnte. Unablässig mit neuen Plänen
und weitgehenden Gedanken beschäftigt, die stets die Karte Europas betrafen,
wandte Napoleon der Dritte seinem Heere eine ständige Fürsorge zu. Nur
gewinnt man, selbst auf diese glänzendste Periode des Kaisertums zurückblickend,
nicht den Eindruck, als ob die Armee in ihrer Gesamtheit ein durchaus verlä߬
liches und willfähriges Werkzeug der kaiserlichen Pläne gewesen wäre. Die
Generäle — schreibt ein auswärtiger militärischer Beobachter — welche zum
Teil von den Soldaten gefürchtet werden, wie Castellane, Pelisster, Magnam
sind eifersüchtig untereinander, Die Stabsoffiziere sind gut gesinnt. Die
Leutnants verdummen in den Kaffeehäusern. Die Unteroffiziere neigen zur
Kritik, besonders die Genietruppen und die Artillerie sind dem Kaiser feindlich.


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[0058] Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Kaiserreiches Der damalige Gesandte beim deutschen Bunde hatte den Kaiser ein Jahr vor¬ her gelegentlich der Pariser Weltausstellung zum ersten Male gesehen; und die zwei klugen Männer — ein Charmeur jeder in seiner Art — unterhielten sich vortrefflich. Mit seinen leisen Anerbietungen an das „etwas gar zu magere" Preußen hatte Napoleon ja schon früher begonnen. Heimgekehrt fällte Bismarck dann seinem Könige gegenüber das merkwürdige Urteil: Louis Napoleon sei ein gescheiter und liebenswürdiger Mann, aber lange nicht so klug, als die Welt ihn glaube, die, wenn es in Ostasien zur unrechten Zeit regnet, dies einer übel¬ wollenden Machination des Franzosenkaisers zuschreibe. Napoleon sei nicht das Zsms cis mal, das immer nur daran denke, Unfug in der Welt zu stiften. Er wäre froh, etwas Gutes in Ruhe genießen zu können. Sein Verstand werde auf Kosten seines Herzens überschätzt. Aber dieser Mann mit dem guten Herzen (möchten wir hinzusetzen) scheute sich nicht, am 2. Dezember 1851 in die harmlosen Boulevardspaziergänger hineinschießen zu lassen, nur der Ab¬ schreckung halber; er zögerte nicht, die Gegner seiner leise8 raya>IeoniennL8 scharenweise auf die „trockene Guillotine" von Cayenne zu senden und für diese Ideen Tausende und Abertausende auf den Schlachtfeldern bluten zu lassen. Interessant ist auch die Unterredung Bismarcks mit Napoleon 1857, von der wir erst durch die „Gedanken und Erinnerungen" (Band I Seite 192 ff.) erfuhren. Damals versicherte der Kaiser, er denke nicht an die Eroberung des linken Rheinufers; seine Pläne seien weit eher auf Italien gerichtet. Ob Bismarck nicht bei seinem Könige Sortieren könne, wie sich Preußen im Falle eines französisch-österreichischen Konfliktes stellen würde. Bismarck lehnte diese Zumutung, als bei der österreichischfreundlichen Gesinnung Friedrich Wilhelms des Vierten höchst gefährlich ab, versprach aber dem Kaiser Stillschweigen, das er auch getreulich hielt. II. Es lag in der Natur der Dinge, im Ursprünge der neunapoleonischen Macht, vielleicht schon allein in dem Namen Napoleon, daß der „Mittler Europas" die stolze Befriedigung, die ihm der Pariser Kongreß von 1856 bieten mußte, nicht in Ruhe genießen konnte. Unablässig mit neuen Plänen und weitgehenden Gedanken beschäftigt, die stets die Karte Europas betrafen, wandte Napoleon der Dritte seinem Heere eine ständige Fürsorge zu. Nur gewinnt man, selbst auf diese glänzendste Periode des Kaisertums zurückblickend, nicht den Eindruck, als ob die Armee in ihrer Gesamtheit ein durchaus verlä߬ liches und willfähriges Werkzeug der kaiserlichen Pläne gewesen wäre. Die Generäle — schreibt ein auswärtiger militärischer Beobachter — welche zum Teil von den Soldaten gefürchtet werden, wie Castellane, Pelisster, Magnam sind eifersüchtig untereinander, Die Stabsoffiziere sind gut gesinnt. Die Leutnants verdummen in den Kaffeehäusern. Die Unteroffiziere neigen zur Kritik, besonders die Genietruppen und die Artillerie sind dem Kaiser feindlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/58>, abgerufen am 02.05.2024.