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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Italien am Scheidewege
Alfred Rnhcmann von

in böser Zufall hat es gewollt, daß der bewährte bisherige
! deutsche Botschafter in Rom, Herr von Flotow, aus Gesundheits¬
rücksichten gerade in einem Augenblicke höchster politischer Spannung
die Führung der Geschäfte seiner Botschaft zeitweilig niederlegen
mußte. Es ist wohl anzunehmen, daß nur die Stunde der Not
den früheren Reichskanzler, Fürsten von Bülow. veranlassen konnte, den Frieden
seines römischen Tuskulums zu verlassen und Herrn von Flotow an jener Stelle
zu ersetzen, die ehedem der Ausgangspunkt seiner eigenen glänzenden diplo¬
matischen und politischen Laufbahn gewesen war. Es ist aber irrig zu glauben,
daß diese Stunde politischer Trübungen einer Spannung zwischen dem Deutschen
Reiche und Italien entsprungen sei. Es kann nicht genug betont werden, --
diese Zeilen sollen vor allem auf diese Wahrheit hinweisen --, daß das zwischen
diesen beiden Ländern seit vierzig Jahren bestehende Freundschaftsverhältnis,
das seit über dreißig Jahren überdies durch einen Bündnisvertrag vermietet ist,
bis zur Stunde keinerlei Störungen erfahren hat. Dagegen leidet und hat es
seit Beginn des Dreibundes darunter gelitten, daß es in Italien Elemente
gibt, die seit der Abtretung von Trient und Trieft an Österreich grollen, und
die sich hinreißen lassen könnten, unter Benutzung der augenblicklichen Wirrungen
und Stimmungen Vergeltung zu üben. Um diesen Ausbruch blinden irre-
dentistischen Hasses zu verhüten, um Italien von einem unüberlegten Schritte
zurückzuhalten, der unsere militärische Lage schwierig, und unsere Strategie vor
eine neue und verwickelte Aufgabe stellen würde, da wir auch diesmal ohne
Zögern Österreich-Ungarn unsere Bundestreue beweisen würden, um schließlich
Italien auf die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit von Kompensationen ohne
voraufgegangene blutige Verwicklungen aufmerksam zu machen -- ist Fürst von
Bülow aufgefordert worden, das Schwergewicht seiner diplomatischen Persön-


Grenzboten I 1S15 1


Italien am Scheidewege
Alfred Rnhcmann von

in böser Zufall hat es gewollt, daß der bewährte bisherige
! deutsche Botschafter in Rom, Herr von Flotow, aus Gesundheits¬
rücksichten gerade in einem Augenblicke höchster politischer Spannung
die Führung der Geschäfte seiner Botschaft zeitweilig niederlegen
mußte. Es ist wohl anzunehmen, daß nur die Stunde der Not
den früheren Reichskanzler, Fürsten von Bülow. veranlassen konnte, den Frieden
seines römischen Tuskulums zu verlassen und Herrn von Flotow an jener Stelle
zu ersetzen, die ehedem der Ausgangspunkt seiner eigenen glänzenden diplo¬
matischen und politischen Laufbahn gewesen war. Es ist aber irrig zu glauben,
daß diese Stunde politischer Trübungen einer Spannung zwischen dem Deutschen
Reiche und Italien entsprungen sei. Es kann nicht genug betont werden, —
diese Zeilen sollen vor allem auf diese Wahrheit hinweisen —, daß das zwischen
diesen beiden Ländern seit vierzig Jahren bestehende Freundschaftsverhältnis,
das seit über dreißig Jahren überdies durch einen Bündnisvertrag vermietet ist,
bis zur Stunde keinerlei Störungen erfahren hat. Dagegen leidet und hat es
seit Beginn des Dreibundes darunter gelitten, daß es in Italien Elemente
gibt, die seit der Abtretung von Trient und Trieft an Österreich grollen, und
die sich hinreißen lassen könnten, unter Benutzung der augenblicklichen Wirrungen
und Stimmungen Vergeltung zu üben. Um diesen Ausbruch blinden irre-
dentistischen Hasses zu verhüten, um Italien von einem unüberlegten Schritte
zurückzuhalten, der unsere militärische Lage schwierig, und unsere Strategie vor
eine neue und verwickelte Aufgabe stellen würde, da wir auch diesmal ohne
Zögern Österreich-Ungarn unsere Bundestreue beweisen würden, um schließlich
Italien auf die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit von Kompensationen ohne
voraufgegangene blutige Verwicklungen aufmerksam zu machen — ist Fürst von
Bülow aufgefordert worden, das Schwergewicht seiner diplomatischen Persön-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/13>, abgerufen am 28.04.2024.