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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die litauisch-baltische Frage

beste Schiedsgericht nicht gegen sie ankommen. Aber der angebliche Anlaß kann
und wird hierdurch beseitigt werden. An die Stelle des Vorwandes wird der
Zwang zur Wahrhaftigkeit treten. Und damit ist schon viel gewonnen. Man
denke an die Wirkung auf die eigene Volksstimmung, vor allem aber an die
Wirkung auf die Neutralen, deren jeder, auch der kleine, während des Krieges
der Großen zur Macht wird. Beweis: wiederum dieser Krieg, sein Beginn
(Schweden, Holland) und sein Verlauf (Vereinigte Staaten von Amerika).




Die litauisch-baltische Frage
Dr. Gaigalat, -vonMitglied des preußischen Hauses der Abgeordneten
(Schluß)

Das eigentliche ethnographische Litauen in Rußland umfaßt das ganze
Gouvernement Kowno mit den Kreisen Kowno, Wilkomierz, Rooo-Alexan-
drowsk, Ponewiez, schauten, Rosheimer und Telfes, ferner den westlichen Teil
des Gouvernements Wilna mit den Kreisen Wilna, Szwencziany, Troky, dem
südwestlichen Teil von Oszmiany und der nördlichen Hälfte von Lyda, schließlich
das Gouvernement Suwalki mit den Kreisen Wladislawowo, Wilkowiszki,
Mariampol, Seyni und Kalwaria. Die beiden südlichsten Kreise dieses Gou¬
vernements haben masurische -- ehemals jadwingische -- Bevölkerung. Zerstreut
wohnen Litauer noch in der Umgegend von Grodno, Storia, Nowogrodek und
nördlich im Kreise Näzica. Das Gouvernement Kowno hat einen Flächeninhalt
von 40640 Quadratkilometer mit 1549444 Bewohnern (laut der letzten Volks¬
zählung). Dem Glaubensbekenntnis nach gibt es 1249800 Katholiken (fast
alle Litauer und nur wenige Polen), 56000 Protestanten (Deutsche und Litauer),
40000 orthodoxe Russen, der Rest sind Juden und andere. Von der Landstände
ist mehr als ein Drittel Ackerland, fast ein Drittel Wiese und Weide, der Rest
Wald. Etwa 34 Prozent der Bewohner sind ohne Landbesitz. Der Boden
ist fruchtbar. Die Bewirtschaftung und Kultur ist in den einzelnen Gegenden des Gou¬
vernements verschieden. Hügelketten nebst den tiefen Flußtälern der Wilija, Newieza
und Dubisa durchziehen das Land und gestalten es stellenweise recht malerisch.

Das Gouvernement Wilna umfaßt eine Fläche von 42530 Quadratkilometern
mit 1592000 Einwohnern, die aus Litauern, Polen, Weißrussen, Russen und
Juden sich zusammensetzen. Der Boden besteht zumeist aus lehmigem magern Lande.

Suwalki besitzt einen Flächeninhalt von 12551 (24860) Quadratkilometern
mit 604945 (706678)*) Einwohnern, von denen 525000 katholisch, 50000



*') Es ist sehr schwierig, eine genauere Statistik aufzustellen, da die mir zugänglich ge¬
wesenen Quellen nicht unbeträchtlich voneinander abweichen.
Die litauisch-baltische Frage

beste Schiedsgericht nicht gegen sie ankommen. Aber der angebliche Anlaß kann
und wird hierdurch beseitigt werden. An die Stelle des Vorwandes wird der
Zwang zur Wahrhaftigkeit treten. Und damit ist schon viel gewonnen. Man
denke an die Wirkung auf die eigene Volksstimmung, vor allem aber an die
Wirkung auf die Neutralen, deren jeder, auch der kleine, während des Krieges
der Großen zur Macht wird. Beweis: wiederum dieser Krieg, sein Beginn
(Schweden, Holland) und sein Verlauf (Vereinigte Staaten von Amerika).




Die litauisch-baltische Frage
Dr. Gaigalat, -vonMitglied des preußischen Hauses der Abgeordneten
(Schluß)

Das eigentliche ethnographische Litauen in Rußland umfaßt das ganze
Gouvernement Kowno mit den Kreisen Kowno, Wilkomierz, Rooo-Alexan-
drowsk, Ponewiez, schauten, Rosheimer und Telfes, ferner den westlichen Teil
des Gouvernements Wilna mit den Kreisen Wilna, Szwencziany, Troky, dem
südwestlichen Teil von Oszmiany und der nördlichen Hälfte von Lyda, schließlich
das Gouvernement Suwalki mit den Kreisen Wladislawowo, Wilkowiszki,
Mariampol, Seyni und Kalwaria. Die beiden südlichsten Kreise dieses Gou¬
vernements haben masurische — ehemals jadwingische — Bevölkerung. Zerstreut
wohnen Litauer noch in der Umgegend von Grodno, Storia, Nowogrodek und
nördlich im Kreise Näzica. Das Gouvernement Kowno hat einen Flächeninhalt
von 40640 Quadratkilometer mit 1549444 Bewohnern (laut der letzten Volks¬
zählung). Dem Glaubensbekenntnis nach gibt es 1249800 Katholiken (fast
alle Litauer und nur wenige Polen), 56000 Protestanten (Deutsche und Litauer),
40000 orthodoxe Russen, der Rest sind Juden und andere. Von der Landstände
ist mehr als ein Drittel Ackerland, fast ein Drittel Wiese und Weide, der Rest
Wald. Etwa 34 Prozent der Bewohner sind ohne Landbesitz. Der Boden
ist fruchtbar. Die Bewirtschaftung und Kultur ist in den einzelnen Gegenden des Gou¬
vernements verschieden. Hügelketten nebst den tiefen Flußtälern der Wilija, Newieza
und Dubisa durchziehen das Land und gestalten es stellenweise recht malerisch.

Das Gouvernement Wilna umfaßt eine Fläche von 42530 Quadratkilometern
mit 1592000 Einwohnern, die aus Litauern, Polen, Weißrussen, Russen und
Juden sich zusammensetzen. Der Boden besteht zumeist aus lehmigem magern Lande.

Suwalki besitzt einen Flächeninhalt von 12551 (24860) Quadratkilometern
mit 604945 (706678)*) Einwohnern, von denen 525000 katholisch, 50000



*') Es ist sehr schwierig, eine genauere Statistik aufzustellen, da die mir zugänglich ge¬
wesenen Quellen nicht unbeträchtlich voneinander abweichen.
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[0242] Die litauisch-baltische Frage beste Schiedsgericht nicht gegen sie ankommen. Aber der angebliche Anlaß kann und wird hierdurch beseitigt werden. An die Stelle des Vorwandes wird der Zwang zur Wahrhaftigkeit treten. Und damit ist schon viel gewonnen. Man denke an die Wirkung auf die eigene Volksstimmung, vor allem aber an die Wirkung auf die Neutralen, deren jeder, auch der kleine, während des Krieges der Großen zur Macht wird. Beweis: wiederum dieser Krieg, sein Beginn (Schweden, Holland) und sein Verlauf (Vereinigte Staaten von Amerika). Die litauisch-baltische Frage Dr. Gaigalat, -vonMitglied des preußischen Hauses der Abgeordneten (Schluß) Das eigentliche ethnographische Litauen in Rußland umfaßt das ganze Gouvernement Kowno mit den Kreisen Kowno, Wilkomierz, Rooo-Alexan- drowsk, Ponewiez, schauten, Rosheimer und Telfes, ferner den westlichen Teil des Gouvernements Wilna mit den Kreisen Wilna, Szwencziany, Troky, dem südwestlichen Teil von Oszmiany und der nördlichen Hälfte von Lyda, schließlich das Gouvernement Suwalki mit den Kreisen Wladislawowo, Wilkowiszki, Mariampol, Seyni und Kalwaria. Die beiden südlichsten Kreise dieses Gou¬ vernements haben masurische — ehemals jadwingische — Bevölkerung. Zerstreut wohnen Litauer noch in der Umgegend von Grodno, Storia, Nowogrodek und nördlich im Kreise Näzica. Das Gouvernement Kowno hat einen Flächeninhalt von 40640 Quadratkilometer mit 1549444 Bewohnern (laut der letzten Volks¬ zählung). Dem Glaubensbekenntnis nach gibt es 1249800 Katholiken (fast alle Litauer und nur wenige Polen), 56000 Protestanten (Deutsche und Litauer), 40000 orthodoxe Russen, der Rest sind Juden und andere. Von der Landstände ist mehr als ein Drittel Ackerland, fast ein Drittel Wiese und Weide, der Rest Wald. Etwa 34 Prozent der Bewohner sind ohne Landbesitz. Der Boden ist fruchtbar. Die Bewirtschaftung und Kultur ist in den einzelnen Gegenden des Gou¬ vernements verschieden. Hügelketten nebst den tiefen Flußtälern der Wilija, Newieza und Dubisa durchziehen das Land und gestalten es stellenweise recht malerisch. Das Gouvernement Wilna umfaßt eine Fläche von 42530 Quadratkilometern mit 1592000 Einwohnern, die aus Litauern, Polen, Weißrussen, Russen und Juden sich zusammensetzen. Der Boden besteht zumeist aus lehmigem magern Lande. Suwalki besitzt einen Flächeninhalt von 12551 (24860) Quadratkilometern mit 604945 (706678)*) Einwohnern, von denen 525000 katholisch, 50000 *') Es ist sehr schwierig, eine genauere Statistik aufzustellen, da die mir zugänglich ge¬ wesenen Quellen nicht unbeträchtlich voneinander abweichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/242>, abgerufen am 29.04.2024.