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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Wehrkraft und Siedlung
rvaltlzer Llassen von

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Min recht falsches Bild machen sich die meisten von den Zuständen
in Berlin Ost, indem sie sich einbilden, daß ein guter Teil der
Männer im Kriege ist. Leider trifft das für Berlin durchaus
nicht zu. Nicht einmal ein Drittel der jungen Männer wird bei
der Musterung militärtauglich befunden. Natürlich ist hier ein
ziemlich hoher Prozentsatz von Gebildeten und Kaufleuten zu zählen. Aber
gerade auch bei den ungelernten Arbeitern ist der Prozentsatz der Untauglichen
sehr groß. Die Statistik ergibt, daß eine in die Großstadt verpflanzte Arbeiter¬
familie durchschnittlich in der vierten Generation ausstirbt. Diejenigen, die der
Arbeitslosigkeit oder der Vergnügungssucht zum Opfer fallen, sind bald zukunstslos.
Unter diesen Umständen fällt im Osten Berlins beinahe noch mehr als im
Westen und im Zentrum die Zahl der Männer auf. Tatsächlich ist da kaum
ein Unterschied gegenüber Friedenszeiten festzustellen, ganz anders als auf dem
Lande und in den kleinen Städten, wo zuweilen 70, ja 80 Prozent der jungen
Männer im Felde stehen."

Diesen Sätzen aus einem Bericht der Sozialen Arbeitsgemeinschaft in
Ost-Berlin muß man gegenüberstellen, daß in Hamburg, auch in einem so un¬
gesunden Stadtteil wie in Hammerbrook, die Militärtauglichkeit eine viel größere
ist. Schon im August machte sich das Fehlen der Männer bemerkbar, und
soweit meine Beobachtungen reichen, waren die Rekrutenjahrgänge der letzten
Jahre weit besser als vor etwa zwölf Jahren.

Was mag der Grund so abweichender Erscheinungen sein? Zunächst ist
Berlin noch viel größer. Daher sind eben noch viel größere Massen schon an¬
gekränkelter Menschen vorhanden, und schieben sich in gewissen Stadtteilen
zusammen. Hamburg aber hat gewisse Vorzüge. Im ganzen aber bin ich
auch der Meinung, daß der jetzige Zustand des großstädtischen Lebens rettungslos
zum Untergange führt. Was sind die Gründe, daß im Augenblick trotzdem
Hamburg außerordentlich viel militärfähige Männer gestellt hat? Erstlich: die
Hafenarbeit und der Handel überhaupt mit seinen vielen Kutschern und dem
bewegten Leben auf der Straße hält viele Männer gesund. Zweitens: Hamburg
hat einen größeren Kern homogener Bevölkerung als Berlin. Die Niedersachsen
aus Holstein. Mecklenburg und Hannover herrschen vor, und aus den breiten,




Wehrkraft und Siedlung
rvaltlzer Llassen von

/v^HM^'S
Min recht falsches Bild machen sich die meisten von den Zuständen
in Berlin Ost, indem sie sich einbilden, daß ein guter Teil der
Männer im Kriege ist. Leider trifft das für Berlin durchaus
nicht zu. Nicht einmal ein Drittel der jungen Männer wird bei
der Musterung militärtauglich befunden. Natürlich ist hier ein
ziemlich hoher Prozentsatz von Gebildeten und Kaufleuten zu zählen. Aber
gerade auch bei den ungelernten Arbeitern ist der Prozentsatz der Untauglichen
sehr groß. Die Statistik ergibt, daß eine in die Großstadt verpflanzte Arbeiter¬
familie durchschnittlich in der vierten Generation ausstirbt. Diejenigen, die der
Arbeitslosigkeit oder der Vergnügungssucht zum Opfer fallen, sind bald zukunstslos.
Unter diesen Umständen fällt im Osten Berlins beinahe noch mehr als im
Westen und im Zentrum die Zahl der Männer auf. Tatsächlich ist da kaum
ein Unterschied gegenüber Friedenszeiten festzustellen, ganz anders als auf dem
Lande und in den kleinen Städten, wo zuweilen 70, ja 80 Prozent der jungen
Männer im Felde stehen."

Diesen Sätzen aus einem Bericht der Sozialen Arbeitsgemeinschaft in
Ost-Berlin muß man gegenüberstellen, daß in Hamburg, auch in einem so un¬
gesunden Stadtteil wie in Hammerbrook, die Militärtauglichkeit eine viel größere
ist. Schon im August machte sich das Fehlen der Männer bemerkbar, und
soweit meine Beobachtungen reichen, waren die Rekrutenjahrgänge der letzten
Jahre weit besser als vor etwa zwölf Jahren.

Was mag der Grund so abweichender Erscheinungen sein? Zunächst ist
Berlin noch viel größer. Daher sind eben noch viel größere Massen schon an¬
gekränkelter Menschen vorhanden, und schieben sich in gewissen Stadtteilen
zusammen. Hamburg aber hat gewisse Vorzüge. Im ganzen aber bin ich
auch der Meinung, daß der jetzige Zustand des großstädtischen Lebens rettungslos
zum Untergange führt. Was sind die Gründe, daß im Augenblick trotzdem
Hamburg außerordentlich viel militärfähige Männer gestellt hat? Erstlich: die
Hafenarbeit und der Handel überhaupt mit seinen vielen Kutschern und dem
bewegten Leben auf der Straße hält viele Männer gesund. Zweitens: Hamburg
hat einen größeren Kern homogener Bevölkerung als Berlin. Die Niedersachsen
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[0161] [Abbildung] Wehrkraft und Siedlung rvaltlzer Llassen von /v^HM^'S Min recht falsches Bild machen sich die meisten von den Zuständen in Berlin Ost, indem sie sich einbilden, daß ein guter Teil der Männer im Kriege ist. Leider trifft das für Berlin durchaus nicht zu. Nicht einmal ein Drittel der jungen Männer wird bei der Musterung militärtauglich befunden. Natürlich ist hier ein ziemlich hoher Prozentsatz von Gebildeten und Kaufleuten zu zählen. Aber gerade auch bei den ungelernten Arbeitern ist der Prozentsatz der Untauglichen sehr groß. Die Statistik ergibt, daß eine in die Großstadt verpflanzte Arbeiter¬ familie durchschnittlich in der vierten Generation ausstirbt. Diejenigen, die der Arbeitslosigkeit oder der Vergnügungssucht zum Opfer fallen, sind bald zukunstslos. Unter diesen Umständen fällt im Osten Berlins beinahe noch mehr als im Westen und im Zentrum die Zahl der Männer auf. Tatsächlich ist da kaum ein Unterschied gegenüber Friedenszeiten festzustellen, ganz anders als auf dem Lande und in den kleinen Städten, wo zuweilen 70, ja 80 Prozent der jungen Männer im Felde stehen." Diesen Sätzen aus einem Bericht der Sozialen Arbeitsgemeinschaft in Ost-Berlin muß man gegenüberstellen, daß in Hamburg, auch in einem so un¬ gesunden Stadtteil wie in Hammerbrook, die Militärtauglichkeit eine viel größere ist. Schon im August machte sich das Fehlen der Männer bemerkbar, und soweit meine Beobachtungen reichen, waren die Rekrutenjahrgänge der letzten Jahre weit besser als vor etwa zwölf Jahren. Was mag der Grund so abweichender Erscheinungen sein? Zunächst ist Berlin noch viel größer. Daher sind eben noch viel größere Massen schon an¬ gekränkelter Menschen vorhanden, und schieben sich in gewissen Stadtteilen zusammen. Hamburg aber hat gewisse Vorzüge. Im ganzen aber bin ich auch der Meinung, daß der jetzige Zustand des großstädtischen Lebens rettungslos zum Untergange führt. Was sind die Gründe, daß im Augenblick trotzdem Hamburg außerordentlich viel militärfähige Männer gestellt hat? Erstlich: die Hafenarbeit und der Handel überhaupt mit seinen vielen Kutschern und dem bewegten Leben auf der Straße hält viele Männer gesund. Zweitens: Hamburg hat einen größeren Kern homogener Bevölkerung als Berlin. Die Niedersachsen aus Holstein. Mecklenburg und Hannover herrschen vor, und aus den breiten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/161>, abgerufen am 24.04.2024.