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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Rückgang der englischen Aohlenausfuhr
und ihre folgen
Dr. Richard Hennig von

^^er große Weltkrieg hat nach und nach schon soviel Unwahr¬
scheinlichstes wahr gemacht, daß alte Anschauungen, die stets wie
Selbstverständlichkeiten, wie Dogmen betrachtet wurden, in immer
größerer Zahl ins Wanken geraten und zusammenbrechen. Zu den
größten Überraschungen gehört sicherlich die von weitesten Kreisen
freilich unbeachtet gebliebene und nicht annähernd genug gewürdigte Tatsache,
daß England, das Kohlenland par excellence, das alle Welt mit Kohlen zu
versorgen pflegte und insbesondere die Weltseeschiffahrt mit dem kostbaren
Brennmaterial versah, jetzt aus Nordamerika Kohlen einzuführen und ein von
vielen Zeitungen schon dringend gefordertes Kohlenausfuhrverbot demnächst
wahrscheinlich zu erlassen gezwungen ist.

Nichts kann einwandfreier als dieser Umstand beweisen, wie gründlich irrig
Englands sorgfältige Berechnungen waren, als sich die Asquith - Greysche
Regierung auf den Krieg gegen Deutschland einließ und zuversichtlich wähnte,
damit ein gutes Geschäft, Churchills "bu8me88 a8 U8nat", zu machen. Nichts
kann aber auch klarer veranschaulichen, wie außerordentlich die Wirkungen
der deutschen Unterseeboot-Kriegführung sind, deren ganzer Erfolg sicher erst in
späterer Zeit bekannt werden wird. Denn die Unsicherheit der Schiffahrt hat
einen Hauptanteil an diesen nie für möglich gehaltenen wirtschaftlichen Tatsachen;
daneben wirken freilich noch einige andere Einflüsse ausschlaggebend mit, so
insbesondere die mangelhafte Organisation des meist in privatem Besitz befind¬
lichen Eisenbahnwesens und die sehr große Schwierigkeit, den englischen Kohlen¬
bergwerken das nötige Grubenholz zu beschaffen, das man ehedem fast vollständig
aus Deutschland bezog. Alle sonst dabei in Betracht kommenden Umstände, die
Lohnbewegungen und Streikdrohungen der Kohlen-, Eisenbahn- und Hafenarbeiter,
die Schwierigkeiten der Reedereien, der Mangel an Schiffsraum, die hohen Ver¬
sicherungsgebühren, die samt und sonders die englische Kohlenausfuhr empfindlich
erschweren, sind erst von sekundärer Bedeutung und ihrerseits erst Folgen jener
erstgenannten primären Faktoren.

Wie stark die englische Ausfuhr zurückgegangen ist, erhellt aus dem
Umstand, daß schon im Januar 1915. also noch vor Beginn des deutschen
Unterseeboot-Handelskrieges, die Kohlenausfuhr um nahezu zwei Fünftel, nämlich




Der Rückgang der englischen Aohlenausfuhr
und ihre folgen
Dr. Richard Hennig von

^^er große Weltkrieg hat nach und nach schon soviel Unwahr¬
scheinlichstes wahr gemacht, daß alte Anschauungen, die stets wie
Selbstverständlichkeiten, wie Dogmen betrachtet wurden, in immer
größerer Zahl ins Wanken geraten und zusammenbrechen. Zu den
größten Überraschungen gehört sicherlich die von weitesten Kreisen
freilich unbeachtet gebliebene und nicht annähernd genug gewürdigte Tatsache,
daß England, das Kohlenland par excellence, das alle Welt mit Kohlen zu
versorgen pflegte und insbesondere die Weltseeschiffahrt mit dem kostbaren
Brennmaterial versah, jetzt aus Nordamerika Kohlen einzuführen und ein von
vielen Zeitungen schon dringend gefordertes Kohlenausfuhrverbot demnächst
wahrscheinlich zu erlassen gezwungen ist.

Nichts kann einwandfreier als dieser Umstand beweisen, wie gründlich irrig
Englands sorgfältige Berechnungen waren, als sich die Asquith - Greysche
Regierung auf den Krieg gegen Deutschland einließ und zuversichtlich wähnte,
damit ein gutes Geschäft, Churchills „bu8me88 a8 U8nat", zu machen. Nichts
kann aber auch klarer veranschaulichen, wie außerordentlich die Wirkungen
der deutschen Unterseeboot-Kriegführung sind, deren ganzer Erfolg sicher erst in
späterer Zeit bekannt werden wird. Denn die Unsicherheit der Schiffahrt hat
einen Hauptanteil an diesen nie für möglich gehaltenen wirtschaftlichen Tatsachen;
daneben wirken freilich noch einige andere Einflüsse ausschlaggebend mit, so
insbesondere die mangelhafte Organisation des meist in privatem Besitz befind¬
lichen Eisenbahnwesens und die sehr große Schwierigkeit, den englischen Kohlen¬
bergwerken das nötige Grubenholz zu beschaffen, das man ehedem fast vollständig
aus Deutschland bezog. Alle sonst dabei in Betracht kommenden Umstände, die
Lohnbewegungen und Streikdrohungen der Kohlen-, Eisenbahn- und Hafenarbeiter,
die Schwierigkeiten der Reedereien, der Mangel an Schiffsraum, die hohen Ver¬
sicherungsgebühren, die samt und sonders die englische Kohlenausfuhr empfindlich
erschweren, sind erst von sekundärer Bedeutung und ihrerseits erst Folgen jener
erstgenannten primären Faktoren.

Wie stark die englische Ausfuhr zurückgegangen ist, erhellt aus dem
Umstand, daß schon im Januar 1915. also noch vor Beginn des deutschen
Unterseeboot-Handelskrieges, die Kohlenausfuhr um nahezu zwei Fünftel, nämlich


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[0183] [Abbildung] Der Rückgang der englischen Aohlenausfuhr und ihre folgen Dr. Richard Hennig von ^^er große Weltkrieg hat nach und nach schon soviel Unwahr¬ scheinlichstes wahr gemacht, daß alte Anschauungen, die stets wie Selbstverständlichkeiten, wie Dogmen betrachtet wurden, in immer größerer Zahl ins Wanken geraten und zusammenbrechen. Zu den größten Überraschungen gehört sicherlich die von weitesten Kreisen freilich unbeachtet gebliebene und nicht annähernd genug gewürdigte Tatsache, daß England, das Kohlenland par excellence, das alle Welt mit Kohlen zu versorgen pflegte und insbesondere die Weltseeschiffahrt mit dem kostbaren Brennmaterial versah, jetzt aus Nordamerika Kohlen einzuführen und ein von vielen Zeitungen schon dringend gefordertes Kohlenausfuhrverbot demnächst wahrscheinlich zu erlassen gezwungen ist. Nichts kann einwandfreier als dieser Umstand beweisen, wie gründlich irrig Englands sorgfältige Berechnungen waren, als sich die Asquith - Greysche Regierung auf den Krieg gegen Deutschland einließ und zuversichtlich wähnte, damit ein gutes Geschäft, Churchills „bu8me88 a8 U8nat", zu machen. Nichts kann aber auch klarer veranschaulichen, wie außerordentlich die Wirkungen der deutschen Unterseeboot-Kriegführung sind, deren ganzer Erfolg sicher erst in späterer Zeit bekannt werden wird. Denn die Unsicherheit der Schiffahrt hat einen Hauptanteil an diesen nie für möglich gehaltenen wirtschaftlichen Tatsachen; daneben wirken freilich noch einige andere Einflüsse ausschlaggebend mit, so insbesondere die mangelhafte Organisation des meist in privatem Besitz befind¬ lichen Eisenbahnwesens und die sehr große Schwierigkeit, den englischen Kohlen¬ bergwerken das nötige Grubenholz zu beschaffen, das man ehedem fast vollständig aus Deutschland bezog. Alle sonst dabei in Betracht kommenden Umstände, die Lohnbewegungen und Streikdrohungen der Kohlen-, Eisenbahn- und Hafenarbeiter, die Schwierigkeiten der Reedereien, der Mangel an Schiffsraum, die hohen Ver¬ sicherungsgebühren, die samt und sonders die englische Kohlenausfuhr empfindlich erschweren, sind erst von sekundärer Bedeutung und ihrerseits erst Folgen jener erstgenannten primären Faktoren. Wie stark die englische Ausfuhr zurückgegangen ist, erhellt aus dem Umstand, daß schon im Januar 1915. also noch vor Beginn des deutschen Unterseeboot-Handelskrieges, die Kohlenausfuhr um nahezu zwei Fünftel, nämlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/183>, abgerufen am 25.04.2024.