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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Ariegsdichtung heut und vor hundert Jahren

Man vergleiche zum Beispiel die Sonette "Nation", "An meine Bücher", "Schön¬
brunn", "Die Fremde" u. a. Er schließt ein Einleitungssonett "An Friedrich Rückert":

Mit mehr Glück tritt Hermann Kienzl, der in seinem Gedichtbande "Aus bebender
Erde" (Schlesische Verlagsanstalt von G. Schottländer. Breslau, 1914) eine Anzahl
von Sonetten unter den Gesamttitel "Sonette im Harnisch" stellt, in die Fu߬
tapfen seines dichterischen Ahnen. Mit Kraft und Geschick in der Auswahl seiner
dichterischen Bilder, nicht immer mit Geschmack im Ausdruck, hält er so mancher
Schwäche des deutschen Volkscharakters den Spiegel vor und zeigt sie uns, be¬
leuchtet vom Lichte des Weltbrandes, um uns zu ernähren:

In die Bahnen Rückerts lenkt bewußt, auch in der Bevorzugung der Sonettform^
Heinrich Molenaar mit seinen "Kriegsgedichten". (Leipzig. 1914. Friedrich Jansa.)

Aber auch abgesehen von diesem etwas aufs Äußerliche gerichtete Bestreben
einzelner Dichter haben wir durchaus die Berechtigung, die Kriegsdichtung von
heute in Beziehung zu setzen zu der vor hundert Jahren, sie sich von jenem
historischen Hintergrunde gewissermaßen abheben zu lassen. In der Tat ist ja die
Volksstimmung von heute viel mehr mit der von 1813 und 1814 verwandt als
etwa mit der von 1870. Nicht nur. daß eine ähnlich große Not, eine ähnlich,
gewaltige Ausgabe den tiefsten Ernst und die mächtigste Willensanspannung, das
Bewußtsein im Volke hervorgerufen hat. es handele sich jetzt für uns, genau so
wie 1813, um Sieg oder Untergang, Sein oder NichtseinI Vor allem ist unser
Volk sich heute in ähnlicher Weise bewußt, unter der erzieherischen Wirkung
des Krieges zu stehen, dem Kriege eine sittliche Läuterung und Erhöhung zu ver¬
danken, wie es auch 1813 und 1814 der Fall war. Wenn Rückert sang:

"Gepriesen sei der Herr in seinem Zorne,
Der ausgesendet hat ein fressend Feuer
All' über mich, der ich ein ungetreuer
Saatacker, wucherte mit tauben Korne.

Jetzt will ich wieder tüchtig sein und wacker,
Ein gutes Feld, und tragen gute Saaten,
Denn du, o Herr, sollst selber mich besamen . . . .",

so singt heute Richard Dehmel:

"Sei gesegnet, ernste Stunde,
Die uns endlich stählern eint;
Frieden war in aller Munde,
Argwohn lähmte Freund wie Feind --
Jetzt kommt der Krieg,
Der ehrliche Krieg I

Deutsche Ariegsdichtung heut und vor hundert Jahren

Man vergleiche zum Beispiel die Sonette „Nation", „An meine Bücher", „Schön¬
brunn", „Die Fremde" u. a. Er schließt ein Einleitungssonett „An Friedrich Rückert":

Mit mehr Glück tritt Hermann Kienzl, der in seinem Gedichtbande „Aus bebender
Erde" (Schlesische Verlagsanstalt von G. Schottländer. Breslau, 1914) eine Anzahl
von Sonetten unter den Gesamttitel „Sonette im Harnisch" stellt, in die Fu߬
tapfen seines dichterischen Ahnen. Mit Kraft und Geschick in der Auswahl seiner
dichterischen Bilder, nicht immer mit Geschmack im Ausdruck, hält er so mancher
Schwäche des deutschen Volkscharakters den Spiegel vor und zeigt sie uns, be¬
leuchtet vom Lichte des Weltbrandes, um uns zu ernähren:

In die Bahnen Rückerts lenkt bewußt, auch in der Bevorzugung der Sonettform^
Heinrich Molenaar mit seinen „Kriegsgedichten". (Leipzig. 1914. Friedrich Jansa.)

Aber auch abgesehen von diesem etwas aufs Äußerliche gerichtete Bestreben
einzelner Dichter haben wir durchaus die Berechtigung, die Kriegsdichtung von
heute in Beziehung zu setzen zu der vor hundert Jahren, sie sich von jenem
historischen Hintergrunde gewissermaßen abheben zu lassen. In der Tat ist ja die
Volksstimmung von heute viel mehr mit der von 1813 und 1814 verwandt als
etwa mit der von 1870. Nicht nur. daß eine ähnlich große Not, eine ähnlich,
gewaltige Ausgabe den tiefsten Ernst und die mächtigste Willensanspannung, das
Bewußtsein im Volke hervorgerufen hat. es handele sich jetzt für uns, genau so
wie 1813, um Sieg oder Untergang, Sein oder NichtseinI Vor allem ist unser
Volk sich heute in ähnlicher Weise bewußt, unter der erzieherischen Wirkung
des Krieges zu stehen, dem Kriege eine sittliche Läuterung und Erhöhung zu ver¬
danken, wie es auch 1813 und 1814 der Fall war. Wenn Rückert sang:

„Gepriesen sei der Herr in seinem Zorne,
Der ausgesendet hat ein fressend Feuer
All' über mich, der ich ein ungetreuer
Saatacker, wucherte mit tauben Korne.

Jetzt will ich wieder tüchtig sein und wacker,
Ein gutes Feld, und tragen gute Saaten,
Denn du, o Herr, sollst selber mich besamen . . . .",

so singt heute Richard Dehmel:

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Die uns endlich stählern eint;
Frieden war in aller Munde,
Argwohn lähmte Freund wie Feind —
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Der ehrliche Krieg I

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[0192] Deutsche Ariegsdichtung heut und vor hundert Jahren Man vergleiche zum Beispiel die Sonette „Nation", „An meine Bücher", „Schön¬ brunn", „Die Fremde" u. a. Er schließt ein Einleitungssonett „An Friedrich Rückert": Mit mehr Glück tritt Hermann Kienzl, der in seinem Gedichtbande „Aus bebender Erde" (Schlesische Verlagsanstalt von G. Schottländer. Breslau, 1914) eine Anzahl von Sonetten unter den Gesamttitel „Sonette im Harnisch" stellt, in die Fu߬ tapfen seines dichterischen Ahnen. Mit Kraft und Geschick in der Auswahl seiner dichterischen Bilder, nicht immer mit Geschmack im Ausdruck, hält er so mancher Schwäche des deutschen Volkscharakters den Spiegel vor und zeigt sie uns, be¬ leuchtet vom Lichte des Weltbrandes, um uns zu ernähren: In die Bahnen Rückerts lenkt bewußt, auch in der Bevorzugung der Sonettform^ Heinrich Molenaar mit seinen „Kriegsgedichten". (Leipzig. 1914. Friedrich Jansa.) Aber auch abgesehen von diesem etwas aufs Äußerliche gerichtete Bestreben einzelner Dichter haben wir durchaus die Berechtigung, die Kriegsdichtung von heute in Beziehung zu setzen zu der vor hundert Jahren, sie sich von jenem historischen Hintergrunde gewissermaßen abheben zu lassen. In der Tat ist ja die Volksstimmung von heute viel mehr mit der von 1813 und 1814 verwandt als etwa mit der von 1870. Nicht nur. daß eine ähnlich große Not, eine ähnlich, gewaltige Ausgabe den tiefsten Ernst und die mächtigste Willensanspannung, das Bewußtsein im Volke hervorgerufen hat. es handele sich jetzt für uns, genau so wie 1813, um Sieg oder Untergang, Sein oder NichtseinI Vor allem ist unser Volk sich heute in ähnlicher Weise bewußt, unter der erzieherischen Wirkung des Krieges zu stehen, dem Kriege eine sittliche Läuterung und Erhöhung zu ver¬ danken, wie es auch 1813 und 1814 der Fall war. Wenn Rückert sang: „Gepriesen sei der Herr in seinem Zorne, Der ausgesendet hat ein fressend Feuer All' über mich, der ich ein ungetreuer Saatacker, wucherte mit tauben Korne. Jetzt will ich wieder tüchtig sein und wacker, Ein gutes Feld, und tragen gute Saaten, Denn du, o Herr, sollst selber mich besamen . . . .", so singt heute Richard Dehmel: „Sei gesegnet, ernste Stunde, Die uns endlich stählern eint; Frieden war in aller Munde, Argwohn lähmte Freund wie Feind — Jetzt kommt der Krieg, Der ehrliche Krieg I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/192>, abgerufen am 19.04.2024.