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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

habenen, Heroischen. Luther verfolgt uns
nun durch das ganze Buch. Im Verlaufe
Äer späteren Geschichte des Protestantismus
erscheinen lange Zeit keine Personen von
genialer Überlegenheit, bis die neueste Zeit
mit dem Pietismus, der Aufklärung über¬
leitet zu August Hermann Franke, Zinzen-
dorf, Reimarus, Lessing, Kant, Schleiermacher,
Albrecht Ritschl, dem letzten Kirchenvater.
Hier möchten wir einmal einen Augenblick
Halt machen. Hat die Überfülle des Stoffes
den Verfasser gezwungen, Goethes Religiosität
so kurz zu charakterisieren und die Bedeutung
der Faustdichtung für das religiöse Leben der
Gegenwart beiseite zu setzen? Bismarcks
Religiosität hören wir voll austönen in seinem
Werbebrief an Herrn von Puttkamer und
in der sozialen Botschaft vom 17. November
188 l. Wer diesen klassischen Helden des
modernen deutschen Christentums vergißt Rinn
nicht das weitausschauende, freie, kirchliche
Vereinswesen der Gegenwart, das die Rüstung
darstellt, mit der die Kirchen der Gegenwart
ihre Lebensaufgabe lösen und der Aus¬
einandersetzung mit freundlichen und feind¬
lichen Mächten des religiösen Lebens sich
widmen.

Ein Vergleich der zahlreichen kirchen¬
geschichtlichen Lehrbücher, die früher und teil¬
weise noch heute dem kirchengeschichtlichen
Unterrichte an höheren Lehranstalten zur
Grundlage dienen, mit dem kirchengeschicht¬
lichen Lesebuch Rinns macht jene nicht ganz
überflüssig, zeigt aber, daß wir in dem Streben,
den Schüler an die Quellen zu führen und
ihn sein religiöses Urteil selbst finden zu
lassen, doch immer weiter fortschreiten müssen.
In gedrängter Zusammenstellung und zweck¬
mäßiger, übersichtlicher Gruppierung gibt das
Buch einen äußerst umfangreichen geschichtlichen
und biographischen Stoff, dessen Benutzung
und Ausführung dem lebendigen Vortrag
des Lehrers überlassen bleibt, dem Schüler
und Studenten aber ein Nachschlagebuch
wird, aus dem er immer wieder neue Be¬
lehrung und Anregung schöpft. Das Ganze
ist in eine spannende und fließende Dar¬
stellung gekleidet, für die alte und junge
Geschichtsfreunde dem Verfasser dankbar sind,
,t>a sie die Durcharbeitung und Benutzung

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des Buches zu einem Vergnügen, nicht zu
einem Zwang macht. Mit unendlichem Fleiße,
den keine Mühe bleichte, ist ein reiches Material
zusammengetragen, kritisch verarbeitet und
gesichtet. Daß der wohlverdiente Erfolg nicht
gefehlt hat, beweist die Tatsache einer dritten
Auflage, die rasch der ersten und zweiten
gefolgt ist und aus dem Werke der ersten
Auflage in der vorliegenden Ausgabe ein
ganz neues Buch gemacht hat. An der
kundigen Hand des Verfassers kostet der Leser
immer wieder die Freude am Werdegang
des Christentums und erquickt sich gern an
der nationalen Bereicherung, die das deutsche
Volk durch sein religiöses Christentum und
umgekehrt das Christentum durch die
Religiosität des deutschen Gemüts erfahren hat.

Heinrich Reuß
Julius Rupp: Gesammelte Werke.

Bd. I a/b.

Aus der großen Fülle dessen, was
Julius Rupp geschrieben hat, gibt der erste
Band seiner bei Diederichs erscheinenden ge¬
sammelten Werke in zwei Teilen Rupps Auf¬
sätze zum Evangelium und zur Theologie.
Während aber die im zweiten Teil zusammen¬
gestellten Ausführungen zur Theologie größten¬
teils kritische Besprechungen bereits überholter
theologisch-wissenschaftlicher Werke enthalten,
entwickelt Rupp im ersten Teil in ziemlicher
Ausführlichkeit seine und seiner Gemeinde
Stellung zu den Lebensfragen des Christen¬
tums, also zu den Problemen, die auch uns
heute wieder am Herzen liegen.

Rupps Frömmigkeit ist durchaus männlich
und tatkräftig, denn sie ist durch und durch
sittlich bestimmt. Das Grundfaktum, durch
das ihm allererst Religion möglich wird, ist
die Existens des Geistes im Menschen; unter
Geist versteht Rupp aber nicht etwa den
Philosophie, Wissenschaft und Kunst hervor¬
bringenden Verstand, sondern das Selbstbe¬
stimmungsrecht des Menschen, das sich in der
Stimme des Gewissens offenbart, den vor
und über aller Ursächlichkeit wirkenden Willen,
dasselbe also, was Kant Freiheit oder auto¬
nome Vernunft oder intelligibles Subjekt nennt.
Dieser Geist ist es, der den Menschen übet
alle anderen Wesen erhebt und zum Teil¬
nehmer des göttlichen Lebens macht; denn

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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habenen, Heroischen. Luther verfolgt uns
nun durch das ganze Buch. Im Verlaufe
Äer späteren Geschichte des Protestantismus
erscheinen lange Zeit keine Personen von
genialer Überlegenheit, bis die neueste Zeit
mit dem Pietismus, der Aufklärung über¬
leitet zu August Hermann Franke, Zinzen-
dorf, Reimarus, Lessing, Kant, Schleiermacher,
Albrecht Ritschl, dem letzten Kirchenvater.
Hier möchten wir einmal einen Augenblick
Halt machen. Hat die Überfülle des Stoffes
den Verfasser gezwungen, Goethes Religiosität
so kurz zu charakterisieren und die Bedeutung
der Faustdichtung für das religiöse Leben der
Gegenwart beiseite zu setzen? Bismarcks
Religiosität hören wir voll austönen in seinem
Werbebrief an Herrn von Puttkamer und
in der sozialen Botschaft vom 17. November
188 l. Wer diesen klassischen Helden des
modernen deutschen Christentums vergißt Rinn
nicht das weitausschauende, freie, kirchliche
Vereinswesen der Gegenwart, das die Rüstung
darstellt, mit der die Kirchen der Gegenwart
ihre Lebensaufgabe lösen und der Aus¬
einandersetzung mit freundlichen und feind¬
lichen Mächten des religiösen Lebens sich
widmen.

Ein Vergleich der zahlreichen kirchen¬
geschichtlichen Lehrbücher, die früher und teil¬
weise noch heute dem kirchengeschichtlichen
Unterrichte an höheren Lehranstalten zur
Grundlage dienen, mit dem kirchengeschicht¬
lichen Lesebuch Rinns macht jene nicht ganz
überflüssig, zeigt aber, daß wir in dem Streben,
den Schüler an die Quellen zu führen und
ihn sein religiöses Urteil selbst finden zu
lassen, doch immer weiter fortschreiten müssen.
In gedrängter Zusammenstellung und zweck¬
mäßiger, übersichtlicher Gruppierung gibt das
Buch einen äußerst umfangreichen geschichtlichen
und biographischen Stoff, dessen Benutzung
und Ausführung dem lebendigen Vortrag
des Lehrers überlassen bleibt, dem Schüler
und Studenten aber ein Nachschlagebuch
wird, aus dem er immer wieder neue Be¬
lehrung und Anregung schöpft. Das Ganze
ist in eine spannende und fließende Dar¬
stellung gekleidet, für die alte und junge
Geschichtsfreunde dem Verfasser dankbar sind,
,t>a sie die Durcharbeitung und Benutzung

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des Buches zu einem Vergnügen, nicht zu
einem Zwang macht. Mit unendlichem Fleiße,
den keine Mühe bleichte, ist ein reiches Material
zusammengetragen, kritisch verarbeitet und
gesichtet. Daß der wohlverdiente Erfolg nicht
gefehlt hat, beweist die Tatsache einer dritten
Auflage, die rasch der ersten und zweiten
gefolgt ist und aus dem Werke der ersten
Auflage in der vorliegenden Ausgabe ein
ganz neues Buch gemacht hat. An der
kundigen Hand des Verfassers kostet der Leser
immer wieder die Freude am Werdegang
des Christentums und erquickt sich gern an
der nationalen Bereicherung, die das deutsche
Volk durch sein religiöses Christentum und
umgekehrt das Christentum durch die
Religiosität des deutschen Gemüts erfahren hat.

Heinrich Reuß
Julius Rupp: Gesammelte Werke.

Bd. I a/b.

Aus der großen Fülle dessen, was
Julius Rupp geschrieben hat, gibt der erste
Band seiner bei Diederichs erscheinenden ge¬
sammelten Werke in zwei Teilen Rupps Auf¬
sätze zum Evangelium und zur Theologie.
Während aber die im zweiten Teil zusammen¬
gestellten Ausführungen zur Theologie größten¬
teils kritische Besprechungen bereits überholter
theologisch-wissenschaftlicher Werke enthalten,
entwickelt Rupp im ersten Teil in ziemlicher
Ausführlichkeit seine und seiner Gemeinde
Stellung zu den Lebensfragen des Christen¬
tums, also zu den Problemen, die auch uns
heute wieder am Herzen liegen.

Rupps Frömmigkeit ist durchaus männlich
und tatkräftig, denn sie ist durch und durch
sittlich bestimmt. Das Grundfaktum, durch
das ihm allererst Religion möglich wird, ist
die Existens des Geistes im Menschen; unter
Geist versteht Rupp aber nicht etwa den
Philosophie, Wissenschaft und Kunst hervor¬
bringenden Verstand, sondern das Selbstbe¬
stimmungsrecht des Menschen, das sich in der
Stimme des Gewissens offenbart, den vor
und über aller Ursächlichkeit wirkenden Willen,
dasselbe also, was Kant Freiheit oder auto¬
nome Vernunft oder intelligibles Subjekt nennt.
Dieser Geist ist es, der den Menschen übet
alle anderen Wesen erhebt und zum Teil¬
nehmer des göttlichen Lebens macht; denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/202>, abgerufen am 26.04.2024.