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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Das (Lindringen Englands in Ägypten
Prof. Dr. Gottlob von
I.

er große Britenhasser Napoleon der Erste soll bei seiner ersten
Unterhaltung mit dem Gouverneur der Insel Se. Helena gesagt
haben, Ägypten sei das wichtigste Land der Erde. Man darf diese
Meinung getrost als das Ergebnis aller Bemühungen und Pläne
des Korsen betrachten, die auf die Demütigung Englands hinaus¬
liefen. Wenn sich heute, ein ganzes Jahrhundert später, unsere antienglischen
Gedanken und Wünsche wieder um das Pharaonenland drehen, so sind immerhin
bemerkenswerte Unterschiede vorhanden. Napoleon wollte Ägypten als Zwischen-
station benutzen, um von dort aus gegen die Engländer in Indien vorzugehen.
Heute sind die Briten die Herrn im Nillande selbst. Ihre Truppen sind zwar
nur zum Teil Europäer, aber alle sind europäisch geschult und europäisch aus¬
gerüstet. Von dem Massenheer, das jetzt in Ägypten zusammengezogen ist, müssen
die Türken also wohl ernsten Widerstand erwarten, einen nachhaltigerem jedenfalls,
als der war, den die Mamelucken gegen Napoleon geleistet haben. Der Wert
Ägyptens an sich ist gewachsen einmal durch den Suezkanal, sodann auch als
Eingangstor zu dem mittlerweile englisch gewordenen inneren Afrika.

Das Unternehmen Napoleons ist durch die Seeschlacht bei Abukir gescheitert,
dadurch, daß Nelson die französische Flotte vernichtete und ihm damit die Ver¬
bindung mit der Heimat, den Nachschub an Truppen und Kriegsmaterial verlegte.
Man kann trotzdem nicht sagen, daß die Expedition von 1798 für Frankreich ganz
nutzlos gewesen sei. Im Gegenteill Die französische Kultur, französische Denkart
und Unternehmungslust fanden seitdem in Ägypten dankbare Aufnahme. Das
Französische ist sogar heute noch im Nillande die beliebteste Umgangssprache der
Gebildeten und sogar im Verkehr mit den Behörden zugelassen; in Post-, Eisen¬
bahn-, und Zollsachen kommt man mit Französisch am ehesten durch. Daß man
von dieser Vorzugsstellung des Französischen, die jetzt allerdings nach und nach
die Konkurrenz des Englischen auszuhalten hat, in Frankreich auch wirtschaftliche
Vorteile hatte, braucht kaum erwähnt zu werden. Hätten die Franzosen das
ursprüngliche Übergewicht, das sie im Nillande besaßen, nur richtig ausgenutzt!




Das (Lindringen Englands in Ägypten
Prof. Dr. Gottlob von
I.

er große Britenhasser Napoleon der Erste soll bei seiner ersten
Unterhaltung mit dem Gouverneur der Insel Se. Helena gesagt
haben, Ägypten sei das wichtigste Land der Erde. Man darf diese
Meinung getrost als das Ergebnis aller Bemühungen und Pläne
des Korsen betrachten, die auf die Demütigung Englands hinaus¬
liefen. Wenn sich heute, ein ganzes Jahrhundert später, unsere antienglischen
Gedanken und Wünsche wieder um das Pharaonenland drehen, so sind immerhin
bemerkenswerte Unterschiede vorhanden. Napoleon wollte Ägypten als Zwischen-
station benutzen, um von dort aus gegen die Engländer in Indien vorzugehen.
Heute sind die Briten die Herrn im Nillande selbst. Ihre Truppen sind zwar
nur zum Teil Europäer, aber alle sind europäisch geschult und europäisch aus¬
gerüstet. Von dem Massenheer, das jetzt in Ägypten zusammengezogen ist, müssen
die Türken also wohl ernsten Widerstand erwarten, einen nachhaltigerem jedenfalls,
als der war, den die Mamelucken gegen Napoleon geleistet haben. Der Wert
Ägyptens an sich ist gewachsen einmal durch den Suezkanal, sodann auch als
Eingangstor zu dem mittlerweile englisch gewordenen inneren Afrika.

Das Unternehmen Napoleons ist durch die Seeschlacht bei Abukir gescheitert,
dadurch, daß Nelson die französische Flotte vernichtete und ihm damit die Ver¬
bindung mit der Heimat, den Nachschub an Truppen und Kriegsmaterial verlegte.
Man kann trotzdem nicht sagen, daß die Expedition von 1798 für Frankreich ganz
nutzlos gewesen sei. Im Gegenteill Die französische Kultur, französische Denkart
und Unternehmungslust fanden seitdem in Ägypten dankbare Aufnahme. Das
Französische ist sogar heute noch im Nillande die beliebteste Umgangssprache der
Gebildeten und sogar im Verkehr mit den Behörden zugelassen; in Post-, Eisen¬
bahn-, und Zollsachen kommt man mit Französisch am ehesten durch. Daß man
von dieser Vorzugsstellung des Französischen, die jetzt allerdings nach und nach
die Konkurrenz des Englischen auszuhalten hat, in Frankreich auch wirtschaftliche
Vorteile hatte, braucht kaum erwähnt zu werden. Hätten die Franzosen das
ursprüngliche Übergewicht, das sie im Nillande besaßen, nur richtig ausgenutzt!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/21>, abgerufen am 23.04.2024.