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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.

Der j)reif für Italiens Neutralität
George !lie. Llellan, von
Professor der Nationalökonomie an der Universität Princeton U. S.

George Me. Clellan, der für einen vorzüglichen Kenner der
europäischen Geschichte gilt, hat den nachfolgenden Aufsatz in der
New Aork Times Magazine veröffentlicht. Wir geben seine Aus¬
führungen als Beispiel einer "neutralen" Beurteilung der Sachlage in
der Übersetzung von Dr. Reinhold Schmidt ungekürzt wieder, obgleich sie,
soweit sie Vermutungen über die zu erwartende Stellungnahme Italiens
Die Schriftleitung enthalten, durch die Ereignisse überholt find.

cum man den Gerüchten, die wir kürzlich von Rom vernommen
haben, glauben darf, so schließt das Gebiet, das Italien als
Lohn seiner Neutralität von Osterreich verlangt, ganz Südtirol
südlich des Pustertales ein, ferner Görz, Gradisca, Trieft und
ganz Jstrien mit etwa einem Dutzend der größten Inseln, die an
der kroatischen und dalmatischen Küste liegen. Mag es nun die wirkliche
Forderung der italienischen Regierung sein oder nicht, jedenfalls stellt dies die
Wünsche eines großen Teiles des italienischen Volkes dar, das kürzlich die
"irredentistische Bewegung" wieder hat aufleben lassen, die im letzten Viertel
des neunzehnten Jahrhunderts so mächtig war.

Im Jahre 1878 erwartete das junge Königreich Italien, im Vollgefühl
seiner neugeschaffenen nationalen Einheit, vertrauensvoll an der Verteilung der
türkischen Beute auf dem Berliner Kongreß teilzunehmen. Nicht nur wurde
diese Hoffnung vereitelt, sondern Italien hatte auch noch den Schmerz, zu sehen,
wie sein Erbfeind, Österreich. Ungarn, die Verwaltung Bosniens und der
Herzegowina zugesprochen bekam. Als Ergebnis dieser Enttäuschung und
aus Haß gegen Österreich erhielt die Bewegung für ein "Größeres Italien", die
bis dahin nur wenig Fortschritte gezeigt hatte, plötzlich große Lebenskraft. Das
Evangelium eines "Italia Jrredenta", des noch nicht erlösten, unter fremdem
Joch seufzenden Italiens, wurde im ganzen Königreich gepredigt, und seine Prediger


Grenzboten II 1915 17


Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.

Der j)reif für Italiens Neutralität
George !lie. Llellan, von
Professor der Nationalökonomie an der Universität Princeton U. S.

George Me. Clellan, der für einen vorzüglichen Kenner der
europäischen Geschichte gilt, hat den nachfolgenden Aufsatz in der
New Aork Times Magazine veröffentlicht. Wir geben seine Aus¬
führungen als Beispiel einer „neutralen" Beurteilung der Sachlage in
der Übersetzung von Dr. Reinhold Schmidt ungekürzt wieder, obgleich sie,
soweit sie Vermutungen über die zu erwartende Stellungnahme Italiens
Die Schriftleitung enthalten, durch die Ereignisse überholt find.

cum man den Gerüchten, die wir kürzlich von Rom vernommen
haben, glauben darf, so schließt das Gebiet, das Italien als
Lohn seiner Neutralität von Osterreich verlangt, ganz Südtirol
südlich des Pustertales ein, ferner Görz, Gradisca, Trieft und
ganz Jstrien mit etwa einem Dutzend der größten Inseln, die an
der kroatischen und dalmatischen Küste liegen. Mag es nun die wirkliche
Forderung der italienischen Regierung sein oder nicht, jedenfalls stellt dies die
Wünsche eines großen Teiles des italienischen Volkes dar, das kürzlich die
„irredentistische Bewegung" wieder hat aufleben lassen, die im letzten Viertel
des neunzehnten Jahrhunderts so mächtig war.

Im Jahre 1878 erwartete das junge Königreich Italien, im Vollgefühl
seiner neugeschaffenen nationalen Einheit, vertrauensvoll an der Verteilung der
türkischen Beute auf dem Berliner Kongreß teilzunehmen. Nicht nur wurde
diese Hoffnung vereitelt, sondern Italien hatte auch noch den Schmerz, zu sehen,
wie sein Erbfeind, Österreich. Ungarn, die Verwaltung Bosniens und der
Herzegowina zugesprochen bekam. Als Ergebnis dieser Enttäuschung und
aus Haß gegen Österreich erhielt die Bewegung für ein „Größeres Italien", die
bis dahin nur wenig Fortschritte gezeigt hatte, plötzlich große Lebenskraft. Das
Evangelium eines „Italia Jrredenta", des noch nicht erlösten, unter fremdem
Joch seufzenden Italiens, wurde im ganzen Königreich gepredigt, und seine Prediger


Grenzboten II 1915 17
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[0269] [Abbildung] Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung nicht verbürgt werden kann. Der j)reif für Italiens Neutralität George !lie. Llellan, von Professor der Nationalökonomie an der Universität Princeton U. S. George Me. Clellan, der für einen vorzüglichen Kenner der europäischen Geschichte gilt, hat den nachfolgenden Aufsatz in der New Aork Times Magazine veröffentlicht. Wir geben seine Aus¬ führungen als Beispiel einer „neutralen" Beurteilung der Sachlage in der Übersetzung von Dr. Reinhold Schmidt ungekürzt wieder, obgleich sie, soweit sie Vermutungen über die zu erwartende Stellungnahme Italiens Die Schriftleitung enthalten, durch die Ereignisse überholt find. cum man den Gerüchten, die wir kürzlich von Rom vernommen haben, glauben darf, so schließt das Gebiet, das Italien als Lohn seiner Neutralität von Osterreich verlangt, ganz Südtirol südlich des Pustertales ein, ferner Görz, Gradisca, Trieft und ganz Jstrien mit etwa einem Dutzend der größten Inseln, die an der kroatischen und dalmatischen Küste liegen. Mag es nun die wirkliche Forderung der italienischen Regierung sein oder nicht, jedenfalls stellt dies die Wünsche eines großen Teiles des italienischen Volkes dar, das kürzlich die „irredentistische Bewegung" wieder hat aufleben lassen, die im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts so mächtig war. Im Jahre 1878 erwartete das junge Königreich Italien, im Vollgefühl seiner neugeschaffenen nationalen Einheit, vertrauensvoll an der Verteilung der türkischen Beute auf dem Berliner Kongreß teilzunehmen. Nicht nur wurde diese Hoffnung vereitelt, sondern Italien hatte auch noch den Schmerz, zu sehen, wie sein Erbfeind, Österreich. Ungarn, die Verwaltung Bosniens und der Herzegowina zugesprochen bekam. Als Ergebnis dieser Enttäuschung und aus Haß gegen Österreich erhielt die Bewegung für ein „Größeres Italien", die bis dahin nur wenig Fortschritte gezeigt hatte, plötzlich große Lebenskraft. Das Evangelium eines „Italia Jrredenta", des noch nicht erlösten, unter fremdem Joch seufzenden Italiens, wurde im ganzen Königreich gepredigt, und seine Prediger Grenzboten II 1915 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/269>, abgerufen am 25.04.2024.