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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Kritik

Faust ballt sich uns. wenn wir im einzelnen zusehen, wie Zweiglein für Zweiglein
dieses über den Grenzgraben hinüberreichenden Astes der deutschen Kultur, der
dem russischen Reich hundertfältige Frucht getragen hat, von nichtswürdigen,
dumm-brutalen Fäusten geknickt, wie in frivoler Weise der Geist der Zwietracht
im doppelsprachigen Land gesät, sorgsam gehegte Pläne durchkreuzt, Loyalität
und Treue mit Undank vergolten wurde. Am härtesten traf die Russifizierung
vielleicht das blühende Schulwesen des baltischen Landes. Im Umkreis der
Volksschule führte sie zur absoluten Demoralisation bei Lehrern und Schülern,
in den höheren Schulen zu einer unendlichen Erschwerung, aber auch Ver-
schlechterung der Bildung. Die einstmals stolze Universität Dorpat wurde zum
kümmerlichen Dasein einer schlechtdotierten Provinzialhochschule herabgedrückt.
Von den Reformen nach der Revolution haben nur die höheren und mittleren
Schulen gefruchtet. Die rührige Tätigkeit der neugegründeten "Deutschen
Vereine" hatte mit erstaunlichem Organisationsgeschick in kürzester Zeit ein
neues wenigstens halbdeutsches Schulsystem geschaffen. Nun liegt auch dies
alles wieder in Trümmern. -- (Schluß folgt)




Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Aritik

Man schreibt uns aus

KMM
MM!in letzten Heft der Zeitschrift "Ost I^s, Lverixe" macht der
Herausgeber Dr. Adrian Mölln in einem Leitartikel mit dem
Titel "Das Fazit der Neutralitätspolitik" dem schwedischen
Minister des Äußeren heftige Vorwürfe wegen seiner Handhabung
der Neutralität. Diese Zeitschrift ist ein Organ der konservativen
Partei und der Herausgeber sehr stark deutschfreundlich. Nachdem er aus-
führlich nachweist, welche Vorteile Schweden von einer starken deutschen Ostsee¬
flotte hätte, wirft er der Leitung des auswärtigen Amtes vor, die Wünsche
Deutschlands nicht genügend berücksichtigt zu haben. Dadurch sei in Deutsch¬
land eine Mißstimmung gegen Schweden entstanden, die nur schaden könne.
Die Gründe dieser Mißstimmung formuliert er in drei Sätzen:

1. Der Mißgriff der auswärtigen Leitung, der darin lag, die Demobili¬
sierung Schwedens von der Zurückziehung der russischen Truppen aus Nord¬
finnland abhängig zu machen.

2. Der seit dem Herbst geduldete Transport von Kriegsmaterial über
Schweden von und nach Rußland.

3. Die öffentliche Diskusston, wie Schweden sich unter Verdrängung
Deutschlands den russischen Markt erobern könne.


Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Kritik

Faust ballt sich uns. wenn wir im einzelnen zusehen, wie Zweiglein für Zweiglein
dieses über den Grenzgraben hinüberreichenden Astes der deutschen Kultur, der
dem russischen Reich hundertfältige Frucht getragen hat, von nichtswürdigen,
dumm-brutalen Fäusten geknickt, wie in frivoler Weise der Geist der Zwietracht
im doppelsprachigen Land gesät, sorgsam gehegte Pläne durchkreuzt, Loyalität
und Treue mit Undank vergolten wurde. Am härtesten traf die Russifizierung
vielleicht das blühende Schulwesen des baltischen Landes. Im Umkreis der
Volksschule führte sie zur absoluten Demoralisation bei Lehrern und Schülern,
in den höheren Schulen zu einer unendlichen Erschwerung, aber auch Ver-
schlechterung der Bildung. Die einstmals stolze Universität Dorpat wurde zum
kümmerlichen Dasein einer schlechtdotierten Provinzialhochschule herabgedrückt.
Von den Reformen nach der Revolution haben nur die höheren und mittleren
Schulen gefruchtet. Die rührige Tätigkeit der neugegründeten „Deutschen
Vereine" hatte mit erstaunlichem Organisationsgeschick in kürzester Zeit ein
neues wenigstens halbdeutsches Schulsystem geschaffen. Nun liegt auch dies
alles wieder in Trümmern. — (Schluß folgt)




Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Aritik

Man schreibt uns aus

KMM
MM!in letzten Heft der Zeitschrift „Ost I^s, Lverixe" macht der
Herausgeber Dr. Adrian Mölln in einem Leitartikel mit dem
Titel „Das Fazit der Neutralitätspolitik" dem schwedischen
Minister des Äußeren heftige Vorwürfe wegen seiner Handhabung
der Neutralität. Diese Zeitschrift ist ein Organ der konservativen
Partei und der Herausgeber sehr stark deutschfreundlich. Nachdem er aus-
führlich nachweist, welche Vorteile Schweden von einer starken deutschen Ostsee¬
flotte hätte, wirft er der Leitung des auswärtigen Amtes vor, die Wünsche
Deutschlands nicht genügend berücksichtigt zu haben. Dadurch sei in Deutsch¬
land eine Mißstimmung gegen Schweden entstanden, die nur schaden könne.
Die Gründe dieser Mißstimmung formuliert er in drei Sätzen:

1. Der Mißgriff der auswärtigen Leitung, der darin lag, die Demobili¬
sierung Schwedens von der Zurückziehung der russischen Truppen aus Nord¬
finnland abhängig zu machen.

2. Der seit dem Herbst geduldete Transport von Kriegsmaterial über
Schweden von und nach Rußland.

3. Die öffentliche Diskusston, wie Schweden sich unter Verdrängung
Deutschlands den russischen Markt erobern könne.


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[0355] Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Kritik Faust ballt sich uns. wenn wir im einzelnen zusehen, wie Zweiglein für Zweiglein dieses über den Grenzgraben hinüberreichenden Astes der deutschen Kultur, der dem russischen Reich hundertfältige Frucht getragen hat, von nichtswürdigen, dumm-brutalen Fäusten geknickt, wie in frivoler Weise der Geist der Zwietracht im doppelsprachigen Land gesät, sorgsam gehegte Pläne durchkreuzt, Loyalität und Treue mit Undank vergolten wurde. Am härtesten traf die Russifizierung vielleicht das blühende Schulwesen des baltischen Landes. Im Umkreis der Volksschule führte sie zur absoluten Demoralisation bei Lehrern und Schülern, in den höheren Schulen zu einer unendlichen Erschwerung, aber auch Ver- schlechterung der Bildung. Die einstmals stolze Universität Dorpat wurde zum kümmerlichen Dasein einer schlechtdotierten Provinzialhochschule herabgedrückt. Von den Reformen nach der Revolution haben nur die höheren und mittleren Schulen gefruchtet. Die rührige Tätigkeit der neugegründeten „Deutschen Vereine" hatte mit erstaunlichem Organisationsgeschick in kürzester Zeit ein neues wenigstens halbdeutsches Schulsystem geschaffen. Nun liegt auch dies alles wieder in Trümmern. — (Schluß folgt) Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Aritik Man schreibt uns aus KMM MM!in letzten Heft der Zeitschrift „Ost I^s, Lverixe" macht der Herausgeber Dr. Adrian Mölln in einem Leitartikel mit dem Titel „Das Fazit der Neutralitätspolitik" dem schwedischen Minister des Äußeren heftige Vorwürfe wegen seiner Handhabung der Neutralität. Diese Zeitschrift ist ein Organ der konservativen Partei und der Herausgeber sehr stark deutschfreundlich. Nachdem er aus- führlich nachweist, welche Vorteile Schweden von einer starken deutschen Ostsee¬ flotte hätte, wirft er der Leitung des auswärtigen Amtes vor, die Wünsche Deutschlands nicht genügend berücksichtigt zu haben. Dadurch sei in Deutsch¬ land eine Mißstimmung gegen Schweden entstanden, die nur schaden könne. Die Gründe dieser Mißstimmung formuliert er in drei Sätzen: 1. Der Mißgriff der auswärtigen Leitung, der darin lag, die Demobili¬ sierung Schwedens von der Zurückziehung der russischen Truppen aus Nord¬ finnland abhängig zu machen. 2. Der seit dem Herbst geduldete Transport von Kriegsmaterial über Schweden von und nach Rußland. 3. Die öffentliche Diskusston, wie Schweden sich unter Verdrängung Deutschlands den russischen Markt erobern könne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/355>, abgerufen am 23.04.2024.