Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


In hartem Zwang beschreitet dich mein Fuß!
So grüß ich, Land dich, weil ich muß!
Ich sehe deinen Berg und deinen Wald:
Schön bist du! Doch mein Herz bleibt kalt.
Soweit mein suchend Auge späht.
Erblick ich deines Winters Majestät,
Der um die Stirn krystallnen Reif dir flicht!
Wahrhaftig schön! Allein ich lieb dich nicht!
Des einen Sinnes festen Schluß vernimm:
Feind bin ich dir mit ganzen Herzens Grimm!
Nicht mein Asyl, nein! meines Kerkers Nacht!
Der Freiheit Grab, trotz deiner Fluren Pracht!
Und nicht der Heimat traulich Bild:
Vom Himmel sank der Abend mild,
Die weite Eb'ne dämmert ein,
Der Nebel steigt im Wlesenrain;
Deutsche ^oldatenbriefe
Line Charakteristik
Dr. Fritz Roexke von

EMeder, der den Krieg als bewußtes Glied der deutschen Gemeinschaft
empfindet -- und das ist die Pflicht vor allem der Gebildeten --
dem werden alle Äußerungen nationaler Stimmungen zu einem
lebendigen Erleben deutschen Wesens und Charakters werden.
Reden und Lieder, Gedichte und Bilder, Scherz und Gedenken.
Spiel und Bühne, sie alle klingen zu einer geistigen Symphonie zusammen, die
der Abstraktion "das deutsche Volk" Charakter und Farbe, Sinn und Dasein
geben. Sie mag uns manchmal verworren, manchmal unrein klingen; erst eine
spätere Zeit wird sie deuten und rein genießen können. Aber schon heute tönt
so manches Instrument deutlich und klar an unser Ohr und weckt in dem auf¬
merksam Hinhorchenden eine Ahnung von der Seele seines Volkes.

Ein solches Instrument stellen die Soldatenbriefe dar. Sehen wir von
den Fachaufsätzen der militärischen Sachverständigen, den künstlichen oder
künstlerischen Erzeugnissen der literarisch Gebildeten, den bestellten Schilderungen
der Kriegsberichterstatter und den von vornherein zur Veröffentlichung bestimmten
Briefen ab, so bleibt noch die große Zahl von Briefen aus dem Felde, die
Freunden und Bekannten, Verwandten und Gebern Lebenszeichen geben wollen,
in denen der Mensch zum Menschen spricht und Gebärde, Tonfall und Falten¬
wurf den deutschen Charakter offenbaren.

Wer Material genug besitzt, wird bald die Erfahrung machen, daß die
durch den Krieg bedingte Ausgleichung der sozialen Unterschiede sich im Heere
am auffälligsten vollzogen hat und daß die Bildung der Verfasser zu dem bereits
empfangenen Bilde keinen neuen Zug hinzutut. Ihre Briefe sind oft sachlicher,
aber in Stimmung und Stoff unterliegen sie einem alldeutschen Gesetz.




In hartem Zwang beschreitet dich mein Fuß!
So grüß ich, Land dich, weil ich muß!
Ich sehe deinen Berg und deinen Wald:
Schön bist du! Doch mein Herz bleibt kalt.
Soweit mein suchend Auge späht.
Erblick ich deines Winters Majestät,
Der um die Stirn krystallnen Reif dir flicht!
Wahrhaftig schön! Allein ich lieb dich nicht!
Des einen Sinnes festen Schluß vernimm:
Feind bin ich dir mit ganzen Herzens Grimm!
Nicht mein Asyl, nein! meines Kerkers Nacht!
Der Freiheit Grab, trotz deiner Fluren Pracht!
Und nicht der Heimat traulich Bild:
Vom Himmel sank der Abend mild,
Die weite Eb'ne dämmert ein,
Der Nebel steigt im Wlesenrain;
Deutsche ^oldatenbriefe
Line Charakteristik
Dr. Fritz Roexke von

EMeder, der den Krieg als bewußtes Glied der deutschen Gemeinschaft
empfindet — und das ist die Pflicht vor allem der Gebildeten —
dem werden alle Äußerungen nationaler Stimmungen zu einem
lebendigen Erleben deutschen Wesens und Charakters werden.
Reden und Lieder, Gedichte und Bilder, Scherz und Gedenken.
Spiel und Bühne, sie alle klingen zu einer geistigen Symphonie zusammen, die
der Abstraktion „das deutsche Volk" Charakter und Farbe, Sinn und Dasein
geben. Sie mag uns manchmal verworren, manchmal unrein klingen; erst eine
spätere Zeit wird sie deuten und rein genießen können. Aber schon heute tönt
so manches Instrument deutlich und klar an unser Ohr und weckt in dem auf¬
merksam Hinhorchenden eine Ahnung von der Seele seines Volkes.

Ein solches Instrument stellen die Soldatenbriefe dar. Sehen wir von
den Fachaufsätzen der militärischen Sachverständigen, den künstlichen oder
künstlerischen Erzeugnissen der literarisch Gebildeten, den bestellten Schilderungen
der Kriegsberichterstatter und den von vornherein zur Veröffentlichung bestimmten
Briefen ab, so bleibt noch die große Zahl von Briefen aus dem Felde, die
Freunden und Bekannten, Verwandten und Gebern Lebenszeichen geben wollen,
in denen der Mensch zum Menschen spricht und Gebärde, Tonfall und Falten¬
wurf den deutschen Charakter offenbaren.

Wer Material genug besitzt, wird bald die Erfahrung machen, daß die
durch den Krieg bedingte Ausgleichung der sozialen Unterschiede sich im Heere
am auffälligsten vollzogen hat und daß die Bildung der Verfasser zu dem bereits
empfangenen Bilde keinen neuen Zug hinzutut. Ihre Briefe sind oft sachlicher,
aber in Stimmung und Stoff unterliegen sie einem alldeutschen Gesetz.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323577"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_323538/figures/grenzboten_341901_323538_323577_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> </head>
          <l> In hartem Zwang beschreitet dich mein Fuß!<lb/>
So grüß ich, Land dich, weil ich muß!</l>
          <l> Ich sehe deinen Berg und deinen Wald:<lb/>
Schön bist du!  Doch mein Herz bleibt kalt.</l>
          <l> Soweit mein suchend Auge späht.<lb/>
Erblick ich deines Winters Majestät,</l>
          <l> Der um die Stirn krystallnen Reif dir flicht!<lb/>
Wahrhaftig schön! Allein ich lieb dich nicht!</l>
          <l> Des einen Sinnes festen Schluß vernimm:<lb/>
Feind bin ich dir mit ganzen Herzens Grimm!</l>
          <l> Nicht mein Asyl, nein! meines Kerkers Nacht!<lb/>
Der Freiheit Grab, trotz deiner Fluren Pracht!</l>
          <l> Und nicht der Heimat traulich Bild:<lb/>
Vom Himmel sank der Abend mild,</l>
          <l> Die weite Eb'ne dämmert ein,<lb/>
Der Nebel steigt im Wlesenrain;</l>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche ^oldatenbriefe<lb/>
Line Charakteristik<lb/><note type="byline"> Dr. Fritz Roexke</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_81"> EMeder, der den Krieg als bewußtes Glied der deutschen Gemeinschaft<lb/>
empfindet &#x2014; und das ist die Pflicht vor allem der Gebildeten &#x2014;<lb/>
dem werden alle Äußerungen nationaler Stimmungen zu einem<lb/>
lebendigen Erleben deutschen Wesens und Charakters werden.<lb/>
Reden und Lieder, Gedichte und Bilder, Scherz und Gedenken.<lb/>
Spiel und Bühne, sie alle klingen zu einer geistigen Symphonie zusammen, die<lb/>
der Abstraktion &#x201E;das deutsche Volk" Charakter und Farbe, Sinn und Dasein<lb/>
geben. Sie mag uns manchmal verworren, manchmal unrein klingen; erst eine<lb/>
spätere Zeit wird sie deuten und rein genießen können. Aber schon heute tönt<lb/>
so manches Instrument deutlich und klar an unser Ohr und weckt in dem auf¬<lb/>
merksam Hinhorchenden eine Ahnung von der Seele seines Volkes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_82"> Ein solches Instrument stellen die Soldatenbriefe dar. Sehen wir von<lb/>
den Fachaufsätzen der militärischen Sachverständigen, den künstlichen oder<lb/>
künstlerischen Erzeugnissen der literarisch Gebildeten, den bestellten Schilderungen<lb/>
der Kriegsberichterstatter und den von vornherein zur Veröffentlichung bestimmten<lb/>
Briefen ab, so bleibt noch die große Zahl von Briefen aus dem Felde, die<lb/>
Freunden und Bekannten, Verwandten und Gebern Lebenszeichen geben wollen,<lb/>
in denen der Mensch zum Menschen spricht und Gebärde, Tonfall und Falten¬<lb/>
wurf den deutschen Charakter offenbaren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_83"> Wer Material genug besitzt, wird bald die Erfahrung machen, daß die<lb/>
durch den Krieg bedingte Ausgleichung der sozialen Unterschiede sich im Heere<lb/>
am auffälligsten vollzogen hat und daß die Bildung der Verfasser zu dem bereits<lb/>
empfangenen Bilde keinen neuen Zug hinzutut. Ihre Briefe sind oft sachlicher,<lb/>
aber in Stimmung und Stoff unterliegen sie einem alldeutschen Gesetz.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] [Abbildung] In hartem Zwang beschreitet dich mein Fuß! So grüß ich, Land dich, weil ich muß! Ich sehe deinen Berg und deinen Wald: Schön bist du! Doch mein Herz bleibt kalt. Soweit mein suchend Auge späht. Erblick ich deines Winters Majestät, Der um die Stirn krystallnen Reif dir flicht! Wahrhaftig schön! Allein ich lieb dich nicht! Des einen Sinnes festen Schluß vernimm: Feind bin ich dir mit ganzen Herzens Grimm! Nicht mein Asyl, nein! meines Kerkers Nacht! Der Freiheit Grab, trotz deiner Fluren Pracht! Und nicht der Heimat traulich Bild: Vom Himmel sank der Abend mild, Die weite Eb'ne dämmert ein, Der Nebel steigt im Wlesenrain; Deutsche ^oldatenbriefe Line Charakteristik Dr. Fritz Roexke von EMeder, der den Krieg als bewußtes Glied der deutschen Gemeinschaft empfindet — und das ist die Pflicht vor allem der Gebildeten — dem werden alle Äußerungen nationaler Stimmungen zu einem lebendigen Erleben deutschen Wesens und Charakters werden. Reden und Lieder, Gedichte und Bilder, Scherz und Gedenken. Spiel und Bühne, sie alle klingen zu einer geistigen Symphonie zusammen, die der Abstraktion „das deutsche Volk" Charakter und Farbe, Sinn und Dasein geben. Sie mag uns manchmal verworren, manchmal unrein klingen; erst eine spätere Zeit wird sie deuten und rein genießen können. Aber schon heute tönt so manches Instrument deutlich und klar an unser Ohr und weckt in dem auf¬ merksam Hinhorchenden eine Ahnung von der Seele seines Volkes. Ein solches Instrument stellen die Soldatenbriefe dar. Sehen wir von den Fachaufsätzen der militärischen Sachverständigen, den künstlichen oder künstlerischen Erzeugnissen der literarisch Gebildeten, den bestellten Schilderungen der Kriegsberichterstatter und den von vornherein zur Veröffentlichung bestimmten Briefen ab, so bleibt noch die große Zahl von Briefen aus dem Felde, die Freunden und Bekannten, Verwandten und Gebern Lebenszeichen geben wollen, in denen der Mensch zum Menschen spricht und Gebärde, Tonfall und Falten¬ wurf den deutschen Charakter offenbaren. Wer Material genug besitzt, wird bald die Erfahrung machen, daß die durch den Krieg bedingte Ausgleichung der sozialen Unterschiede sich im Heere am auffälligsten vollzogen hat und daß die Bildung der Verfasser zu dem bereits empfangenen Bilde keinen neuen Zug hinzutut. Ihre Briefe sind oft sachlicher, aber in Stimmung und Stoff unterliegen sie einem alldeutschen Gesetz.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/38>, abgerufen am 29.03.2024.