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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Charakterbild eines altrömischen Feldarztes
Dr. Wilhelm Schonack von

as aller Sinnen und Trachten in Anspruch nehmende, gewaltige
Ringen in Nord und Süd, in Ost und West, zu Lande und zu
Wasser, zu ebener Erde und hoch in den Lüften lenkt durch die
zahlreichen, schmerzlichen Verluste, die es von Tag zu Tag fordert
und stets erneut fordern wird, unsere Aufmerksamkeit auf die
Tätigkeit des Arztes im Felde. Das Wort Homers von dem "Manne, gleich
viel wert als viele andere", ein Hinweis auf Machaon, der mit dem greisen
Nestor zugleich den Streitwagen besteigt und so einer besonderen Auszeichnung
teilhaftig wird, gilt in keiner Zeit so viel wie gerade in unseren Tagen.
Kommt es doch jetzt nicht nur darauf an, die Erkrankten und Verwundeten
sorgsam zu untersuchen, ihre Leiden und Verletzungen verständnisvoll zu be¬
handeln und, wenn irgend möglich, zu heilen. Groß sind vor allem die Auf¬
gaben, die zugleich mit denen der Diagnostik, Pathologie und Therapie an die
Charaktereigenschaften der Ärzte gestellt werden; hängt doch von ihrer gesamten
Berufsauffassung und ihrer seelischen Beschaffenheit sehr viel ab, ob der
Kranke genesen wird oder nicht. Nicht nur medizinische Fachleute, sondern noch
in höherem Grade echt menschlich empfindende Persönlichkeiten werden hier
gefordert, gewiß, Männer mit bewußtem Willen und fester Hand, aber zugleich
beseelt von warmem und weichem Empfinden, kurz Leute, für die der ärztliche
Beruf nicht nur praktische Bedeutung, sondern ethischen Wert hat.

An solchen mangelt es uns auch durchaus nicht. Sie haben in der Geschichte
des heilenden Standes nie gefehlt, auch nicht in den frühesten Zeiten, so auch
nicht im klassischen Altertum. Kann uns unser Wissen von der Antike auch
nicht helfen, den Sieg zu erringen, so ermöglicht es uns doch wenigstens,
Ärzte in ihr aufzuzeigen, deren idealer Charakter allen Lobes wert ist, und die
mithin auch ihren heutigen Standesgenossen ein Vorbild sein können. Zu diesen
als Arzt wie als Mensch gleich vortrefflichen Männern gehört Scribonius Largus,
der zur Zeit des Kaisers Claudius (41--54 n. Chr.) als Hofarzt in Rom und vorher
als Militärarzt im Felde tätig war. Die Anschauungen dieses Mannes, dessen
fast ganz in Dunkel gehülltes Leben durch die wenigen vorhandenen




Charakterbild eines altrömischen Feldarztes
Dr. Wilhelm Schonack von

as aller Sinnen und Trachten in Anspruch nehmende, gewaltige
Ringen in Nord und Süd, in Ost und West, zu Lande und zu
Wasser, zu ebener Erde und hoch in den Lüften lenkt durch die
zahlreichen, schmerzlichen Verluste, die es von Tag zu Tag fordert
und stets erneut fordern wird, unsere Aufmerksamkeit auf die
Tätigkeit des Arztes im Felde. Das Wort Homers von dem „Manne, gleich
viel wert als viele andere", ein Hinweis auf Machaon, der mit dem greisen
Nestor zugleich den Streitwagen besteigt und so einer besonderen Auszeichnung
teilhaftig wird, gilt in keiner Zeit so viel wie gerade in unseren Tagen.
Kommt es doch jetzt nicht nur darauf an, die Erkrankten und Verwundeten
sorgsam zu untersuchen, ihre Leiden und Verletzungen verständnisvoll zu be¬
handeln und, wenn irgend möglich, zu heilen. Groß sind vor allem die Auf¬
gaben, die zugleich mit denen der Diagnostik, Pathologie und Therapie an die
Charaktereigenschaften der Ärzte gestellt werden; hängt doch von ihrer gesamten
Berufsauffassung und ihrer seelischen Beschaffenheit sehr viel ab, ob der
Kranke genesen wird oder nicht. Nicht nur medizinische Fachleute, sondern noch
in höherem Grade echt menschlich empfindende Persönlichkeiten werden hier
gefordert, gewiß, Männer mit bewußtem Willen und fester Hand, aber zugleich
beseelt von warmem und weichem Empfinden, kurz Leute, für die der ärztliche
Beruf nicht nur praktische Bedeutung, sondern ethischen Wert hat.

An solchen mangelt es uns auch durchaus nicht. Sie haben in der Geschichte
des heilenden Standes nie gefehlt, auch nicht in den frühesten Zeiten, so auch
nicht im klassischen Altertum. Kann uns unser Wissen von der Antike auch
nicht helfen, den Sieg zu erringen, so ermöglicht es uns doch wenigstens,
Ärzte in ihr aufzuzeigen, deren idealer Charakter allen Lobes wert ist, und die
mithin auch ihren heutigen Standesgenossen ein Vorbild sein können. Zu diesen
als Arzt wie als Mensch gleich vortrefflichen Männern gehört Scribonius Largus,
der zur Zeit des Kaisers Claudius (41—54 n. Chr.) als Hofarzt in Rom und vorher
als Militärarzt im Felde tätig war. Die Anschauungen dieses Mannes, dessen
fast ganz in Dunkel gehülltes Leben durch die wenigen vorhandenen


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[0392] [Abbildung] Charakterbild eines altrömischen Feldarztes Dr. Wilhelm Schonack von as aller Sinnen und Trachten in Anspruch nehmende, gewaltige Ringen in Nord und Süd, in Ost und West, zu Lande und zu Wasser, zu ebener Erde und hoch in den Lüften lenkt durch die zahlreichen, schmerzlichen Verluste, die es von Tag zu Tag fordert und stets erneut fordern wird, unsere Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit des Arztes im Felde. Das Wort Homers von dem „Manne, gleich viel wert als viele andere", ein Hinweis auf Machaon, der mit dem greisen Nestor zugleich den Streitwagen besteigt und so einer besonderen Auszeichnung teilhaftig wird, gilt in keiner Zeit so viel wie gerade in unseren Tagen. Kommt es doch jetzt nicht nur darauf an, die Erkrankten und Verwundeten sorgsam zu untersuchen, ihre Leiden und Verletzungen verständnisvoll zu be¬ handeln und, wenn irgend möglich, zu heilen. Groß sind vor allem die Auf¬ gaben, die zugleich mit denen der Diagnostik, Pathologie und Therapie an die Charaktereigenschaften der Ärzte gestellt werden; hängt doch von ihrer gesamten Berufsauffassung und ihrer seelischen Beschaffenheit sehr viel ab, ob der Kranke genesen wird oder nicht. Nicht nur medizinische Fachleute, sondern noch in höherem Grade echt menschlich empfindende Persönlichkeiten werden hier gefordert, gewiß, Männer mit bewußtem Willen und fester Hand, aber zugleich beseelt von warmem und weichem Empfinden, kurz Leute, für die der ärztliche Beruf nicht nur praktische Bedeutung, sondern ethischen Wert hat. An solchen mangelt es uns auch durchaus nicht. Sie haben in der Geschichte des heilenden Standes nie gefehlt, auch nicht in den frühesten Zeiten, so auch nicht im klassischen Altertum. Kann uns unser Wissen von der Antike auch nicht helfen, den Sieg zu erringen, so ermöglicht es uns doch wenigstens, Ärzte in ihr aufzuzeigen, deren idealer Charakter allen Lobes wert ist, und die mithin auch ihren heutigen Standesgenossen ein Vorbild sein können. Zu diesen als Arzt wie als Mensch gleich vortrefflichen Männern gehört Scribonius Largus, der zur Zeit des Kaisers Claudius (41—54 n. Chr.) als Hofarzt in Rom und vorher als Militärarzt im Felde tätig war. Die Anschauungen dieses Mannes, dessen fast ganz in Dunkel gehülltes Leben durch die wenigen vorhandenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/392>, abgerufen am 26.04.2024.