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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Unsere nächste Handelspolitik
Dr. Hugo Böttger, in. d. R. von

MsM)wei Strömungen werden nach dem Kriege in den großen Handels¬
staaten, die durchweg unmittelbar oder mittelbar stark an den
Kriegswirren beteiligt sind, gegeneinander kämpfen: die aus
maßloser Verbitterung geborene Boykottbewegung, der Versuch sich
von Erzeugnissen aus den bisher feindlichen Staaten unabhängig
zu machen und das mindestens ebenso starke Bedürfnis der Großmächte, sich
nach der finanziellen Blutabzapfung wieder zu erholen und Handel und Wandel
mindestens in denselben Zustand wie vor dem Kriege zurückzubringen, wenn
möglich noch das Geschäft zu heben. Dazu gehört aber außer dem Wieder¬
aufbau des Binnenmarktes auch die Belebung des Absatzes nach fremden
Ländern. Mag auch einige Zeit darüber hinweggehen, beide Strömungen
werden sich doch ausgleichen müssen, und die Nationen werden einsehen, daß
auf die Dauer der Zorn ein sehr mangelhafter Berater ist. Was unsere
Handels- und Wirtschaftsverhältnisse angeht, so find bei ihrer Eigenart einer
jeden gegen uns gerichteten Boykottbewegung enge Grenzen gezogen. Es ist
der Vorteil und der Nachteil unserer Ausfuhr, daß sie nach einer großen Zahl
von Ländern geht und in viele Hunderte von Handelsartikel zerfällt. Da wird
dem Boykott von vielen Seiten schon die Arbeit sehr schwer gemacht. Wir
dürfen also in dieser Hinsicht ziemlich unbesorgt in die Zukunft sehen.

Der große Weltkrieg siel mitten in die Vorbereitungen zu den neuen
Handelsverträgen hinein. Mit Schluß dieser Legislaturperiode mußte auch
eigentlich die parlamentarische Arbeit für diesen Gegenstand beginnen, da die
Handelsverträge im Jahre 1913 ablaufen sollten. Inzwischen haben sie ja
größtenteils ihre Wirksamkeit verloren. Man wird sich der Verhandlungen im
Reichstage im Januar vorigen Jahres entsinnen. Der Staatssekretär- des
Innern hatte erklärt, die verbündeten Regierungen wollten keinen Vertrag
kündigen und sie hätten auch nicht die Absicht, eine Novelle zum Zolltarif von
1903 herauszubringen. Das wurde von der maßgebenden Industrie nicht
ohne Bewegung aufgenommen. Die mit uns konkurrierenden Staaten hätten
eine erheblich stärkere Kampffreudigkeit an den Tag gelegt und es könnte




Unsere nächste Handelspolitik
Dr. Hugo Böttger, in. d. R. von

MsM)wei Strömungen werden nach dem Kriege in den großen Handels¬
staaten, die durchweg unmittelbar oder mittelbar stark an den
Kriegswirren beteiligt sind, gegeneinander kämpfen: die aus
maßloser Verbitterung geborene Boykottbewegung, der Versuch sich
von Erzeugnissen aus den bisher feindlichen Staaten unabhängig
zu machen und das mindestens ebenso starke Bedürfnis der Großmächte, sich
nach der finanziellen Blutabzapfung wieder zu erholen und Handel und Wandel
mindestens in denselben Zustand wie vor dem Kriege zurückzubringen, wenn
möglich noch das Geschäft zu heben. Dazu gehört aber außer dem Wieder¬
aufbau des Binnenmarktes auch die Belebung des Absatzes nach fremden
Ländern. Mag auch einige Zeit darüber hinweggehen, beide Strömungen
werden sich doch ausgleichen müssen, und die Nationen werden einsehen, daß
auf die Dauer der Zorn ein sehr mangelhafter Berater ist. Was unsere
Handels- und Wirtschaftsverhältnisse angeht, so find bei ihrer Eigenart einer
jeden gegen uns gerichteten Boykottbewegung enge Grenzen gezogen. Es ist
der Vorteil und der Nachteil unserer Ausfuhr, daß sie nach einer großen Zahl
von Ländern geht und in viele Hunderte von Handelsartikel zerfällt. Da wird
dem Boykott von vielen Seiten schon die Arbeit sehr schwer gemacht. Wir
dürfen also in dieser Hinsicht ziemlich unbesorgt in die Zukunft sehen.

Der große Weltkrieg siel mitten in die Vorbereitungen zu den neuen
Handelsverträgen hinein. Mit Schluß dieser Legislaturperiode mußte auch
eigentlich die parlamentarische Arbeit für diesen Gegenstand beginnen, da die
Handelsverträge im Jahre 1913 ablaufen sollten. Inzwischen haben sie ja
größtenteils ihre Wirksamkeit verloren. Man wird sich der Verhandlungen im
Reichstage im Januar vorigen Jahres entsinnen. Der Staatssekretär- des
Innern hatte erklärt, die verbündeten Regierungen wollten keinen Vertrag
kündigen und sie hätten auch nicht die Absicht, eine Novelle zum Zolltarif von
1903 herauszubringen. Das wurde von der maßgebenden Industrie nicht
ohne Bewegung aufgenommen. Die mit uns konkurrierenden Staaten hätten
eine erheblich stärkere Kampffreudigkeit an den Tag gelegt und es könnte


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[0062] [Abbildung] Unsere nächste Handelspolitik Dr. Hugo Böttger, in. d. R. von MsM)wei Strömungen werden nach dem Kriege in den großen Handels¬ staaten, die durchweg unmittelbar oder mittelbar stark an den Kriegswirren beteiligt sind, gegeneinander kämpfen: die aus maßloser Verbitterung geborene Boykottbewegung, der Versuch sich von Erzeugnissen aus den bisher feindlichen Staaten unabhängig zu machen und das mindestens ebenso starke Bedürfnis der Großmächte, sich nach der finanziellen Blutabzapfung wieder zu erholen und Handel und Wandel mindestens in denselben Zustand wie vor dem Kriege zurückzubringen, wenn möglich noch das Geschäft zu heben. Dazu gehört aber außer dem Wieder¬ aufbau des Binnenmarktes auch die Belebung des Absatzes nach fremden Ländern. Mag auch einige Zeit darüber hinweggehen, beide Strömungen werden sich doch ausgleichen müssen, und die Nationen werden einsehen, daß auf die Dauer der Zorn ein sehr mangelhafter Berater ist. Was unsere Handels- und Wirtschaftsverhältnisse angeht, so find bei ihrer Eigenart einer jeden gegen uns gerichteten Boykottbewegung enge Grenzen gezogen. Es ist der Vorteil und der Nachteil unserer Ausfuhr, daß sie nach einer großen Zahl von Ländern geht und in viele Hunderte von Handelsartikel zerfällt. Da wird dem Boykott von vielen Seiten schon die Arbeit sehr schwer gemacht. Wir dürfen also in dieser Hinsicht ziemlich unbesorgt in die Zukunft sehen. Der große Weltkrieg siel mitten in die Vorbereitungen zu den neuen Handelsverträgen hinein. Mit Schluß dieser Legislaturperiode mußte auch eigentlich die parlamentarische Arbeit für diesen Gegenstand beginnen, da die Handelsverträge im Jahre 1913 ablaufen sollten. Inzwischen haben sie ja größtenteils ihre Wirksamkeit verloren. Man wird sich der Verhandlungen im Reichstage im Januar vorigen Jahres entsinnen. Der Staatssekretär- des Innern hatte erklärt, die verbündeten Regierungen wollten keinen Vertrag kündigen und sie hätten auch nicht die Absicht, eine Novelle zum Zolltarif von 1903 herauszubringen. Das wurde von der maßgebenden Industrie nicht ohne Bewegung aufgenommen. Die mit uns konkurrierenden Staaten hätten eine erheblich stärkere Kampffreudigkeit an den Tag gelegt und es könnte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/62>, abgerufen am 19.04.2024.