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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Ver Krieg und der Neubau der höheren Schule

überwundene Lebenshemmung von neuem in ihnen erstehen lassen. Und
ferner: wir haben vielleicht ein Zeitalter zahlreicher Kriege vor uns, sicher eine
Zeit waffenstarrender Bereitschaft, -- darf da ein Lehrer der jungen Generation
den Krieg durch weinerlichen Pazifismus verekeln? Darauf läuft es doch
hinaus, wenn Förster behauptet, daß es jetzt pädagogisch wertvoll sei, die
Jugend sür die "Wiedervereinigung der Völker" zu erziehen. In diesem
Augenblick, wo es sich erweist, daß die Deutschen auf niemanden sich verlassen
können als auf sich selbst, daß kein Vertrag vor hinterlistigen Überfall schützt,
hält er der Jugend die Vl.reiingien Staaten von Europa als politischen Richt¬
punkt vor, ein HKligcspinst, von dem auch diejenigen, denen seine Verwirklichung
möglich scheint, nur unklare Borstellungen haben dürften.

Kein Lehrer jedoch, der in Fühlung mit dem Innenleben seiner Schüler
steht, wird darum den Weltkrieg ignorieren. In Geschichte und Erdkunde, in
Deutschstunde und Religionsunterricht wird das, was die Seele erfüllt, bei
Lehrer und Schüler sich ungesucht auf die Zunge drängen und Beziehung
nehmen zu dem Gegenstand des Unterrichts. Man wird auch der Gelegenheit
zur beiderseitigen persönlichen Aussprache darüber nicht aus dem Wege gehen,
vielleicht gar die Schüler einmal das, was ihnen das Herz erfüllt, zwanglos
niederschreiben lassen. Aber es wäre furchtbar, wenn die durch den Krieg ge¬
weckten neuen Interessen gleich wieder vor den Karren der Schule gespannt
würden. Es darf nicht sein, daß mit dem Krieg das geschieht, was mit so
viel Hohem zum Beispiel aus der deutschen Dichtung geschehen ist, daß er in
Lehrstoff verwandelt, trivialisiert, durch den Staub der Schule geschleppt wird.


II.

Unsere Jugend lehnt, ohne zu wissen warum,
euer Ideal ab, weil es ihr zu buntscheckig ist und
darum unschön vorkommt.
Paul de Lagarde 1385

Wenn man also vor einer gar zu schnellfertigen und unehrfürchtigen
Hereinziehung des Krieges in die Schule warnen muß, so geziemt es sich doch
der Frage nachzudenken, welche Wirkung der Krieg künftighin auf unser höheres
Schulwesen üben wird. Wir alle haben doch das Gefühl, daß nach dem Kriege
Staat und Gemeinde, öffentliches und privates Leben eine Wandlung erfahren
müssen, vielleicht nicht mit einem Schlag, aber doch bald und unausbleiblich,
weil der Krieg das geistige Leben der Menschen selbst und ihre Beziehungen
untereinander beeinflußt und ändert. Wie sollte sich dem die Schule entziehen
können? Seit langem verwandeln sich alle Fragen unseres nationalen und
sozialen Daseins in Schulfragen, alle Kämpfe des Kulturlebens spielen sich auch
in der Arena der Schule ab. So kann diese tiefste Aufwühlung unserer Lebens¬
grundlagen nicht spurlos an der Schule vorübergehen. Wir werden uns des


Ver Krieg und der Neubau der höheren Schule

überwundene Lebenshemmung von neuem in ihnen erstehen lassen. Und
ferner: wir haben vielleicht ein Zeitalter zahlreicher Kriege vor uns, sicher eine
Zeit waffenstarrender Bereitschaft, — darf da ein Lehrer der jungen Generation
den Krieg durch weinerlichen Pazifismus verekeln? Darauf läuft es doch
hinaus, wenn Förster behauptet, daß es jetzt pädagogisch wertvoll sei, die
Jugend sür die „Wiedervereinigung der Völker" zu erziehen. In diesem
Augenblick, wo es sich erweist, daß die Deutschen auf niemanden sich verlassen
können als auf sich selbst, daß kein Vertrag vor hinterlistigen Überfall schützt,
hält er der Jugend die Vl.reiingien Staaten von Europa als politischen Richt¬
punkt vor, ein HKligcspinst, von dem auch diejenigen, denen seine Verwirklichung
möglich scheint, nur unklare Borstellungen haben dürften.

Kein Lehrer jedoch, der in Fühlung mit dem Innenleben seiner Schüler
steht, wird darum den Weltkrieg ignorieren. In Geschichte und Erdkunde, in
Deutschstunde und Religionsunterricht wird das, was die Seele erfüllt, bei
Lehrer und Schüler sich ungesucht auf die Zunge drängen und Beziehung
nehmen zu dem Gegenstand des Unterrichts. Man wird auch der Gelegenheit
zur beiderseitigen persönlichen Aussprache darüber nicht aus dem Wege gehen,
vielleicht gar die Schüler einmal das, was ihnen das Herz erfüllt, zwanglos
niederschreiben lassen. Aber es wäre furchtbar, wenn die durch den Krieg ge¬
weckten neuen Interessen gleich wieder vor den Karren der Schule gespannt
würden. Es darf nicht sein, daß mit dem Krieg das geschieht, was mit so
viel Hohem zum Beispiel aus der deutschen Dichtung geschehen ist, daß er in
Lehrstoff verwandelt, trivialisiert, durch den Staub der Schule geschleppt wird.


II.

Unsere Jugend lehnt, ohne zu wissen warum,
euer Ideal ab, weil es ihr zu buntscheckig ist und
darum unschön vorkommt.
Paul de Lagarde 1385

Wenn man also vor einer gar zu schnellfertigen und unehrfürchtigen
Hereinziehung des Krieges in die Schule warnen muß, so geziemt es sich doch
der Frage nachzudenken, welche Wirkung der Krieg künftighin auf unser höheres
Schulwesen üben wird. Wir alle haben doch das Gefühl, daß nach dem Kriege
Staat und Gemeinde, öffentliches und privates Leben eine Wandlung erfahren
müssen, vielleicht nicht mit einem Schlag, aber doch bald und unausbleiblich,
weil der Krieg das geistige Leben der Menschen selbst und ihre Beziehungen
untereinander beeinflußt und ändert. Wie sollte sich dem die Schule entziehen
können? Seit langem verwandeln sich alle Fragen unseres nationalen und
sozialen Daseins in Schulfragen, alle Kämpfe des Kulturlebens spielen sich auch
in der Arena der Schule ab. So kann diese tiefste Aufwühlung unserer Lebens¬
grundlagen nicht spurlos an der Schule vorübergehen. Wir werden uns des


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[0151] Ver Krieg und der Neubau der höheren Schule überwundene Lebenshemmung von neuem in ihnen erstehen lassen. Und ferner: wir haben vielleicht ein Zeitalter zahlreicher Kriege vor uns, sicher eine Zeit waffenstarrender Bereitschaft, — darf da ein Lehrer der jungen Generation den Krieg durch weinerlichen Pazifismus verekeln? Darauf läuft es doch hinaus, wenn Förster behauptet, daß es jetzt pädagogisch wertvoll sei, die Jugend sür die „Wiedervereinigung der Völker" zu erziehen. In diesem Augenblick, wo es sich erweist, daß die Deutschen auf niemanden sich verlassen können als auf sich selbst, daß kein Vertrag vor hinterlistigen Überfall schützt, hält er der Jugend die Vl.reiingien Staaten von Europa als politischen Richt¬ punkt vor, ein HKligcspinst, von dem auch diejenigen, denen seine Verwirklichung möglich scheint, nur unklare Borstellungen haben dürften. Kein Lehrer jedoch, der in Fühlung mit dem Innenleben seiner Schüler steht, wird darum den Weltkrieg ignorieren. In Geschichte und Erdkunde, in Deutschstunde und Religionsunterricht wird das, was die Seele erfüllt, bei Lehrer und Schüler sich ungesucht auf die Zunge drängen und Beziehung nehmen zu dem Gegenstand des Unterrichts. Man wird auch der Gelegenheit zur beiderseitigen persönlichen Aussprache darüber nicht aus dem Wege gehen, vielleicht gar die Schüler einmal das, was ihnen das Herz erfüllt, zwanglos niederschreiben lassen. Aber es wäre furchtbar, wenn die durch den Krieg ge¬ weckten neuen Interessen gleich wieder vor den Karren der Schule gespannt würden. Es darf nicht sein, daß mit dem Krieg das geschieht, was mit so viel Hohem zum Beispiel aus der deutschen Dichtung geschehen ist, daß er in Lehrstoff verwandelt, trivialisiert, durch den Staub der Schule geschleppt wird. II. Unsere Jugend lehnt, ohne zu wissen warum, euer Ideal ab, weil es ihr zu buntscheckig ist und darum unschön vorkommt. Paul de Lagarde 1385 Wenn man also vor einer gar zu schnellfertigen und unehrfürchtigen Hereinziehung des Krieges in die Schule warnen muß, so geziemt es sich doch der Frage nachzudenken, welche Wirkung der Krieg künftighin auf unser höheres Schulwesen üben wird. Wir alle haben doch das Gefühl, daß nach dem Kriege Staat und Gemeinde, öffentliches und privates Leben eine Wandlung erfahren müssen, vielleicht nicht mit einem Schlag, aber doch bald und unausbleiblich, weil der Krieg das geistige Leben der Menschen selbst und ihre Beziehungen untereinander beeinflußt und ändert. Wie sollte sich dem die Schule entziehen können? Seit langem verwandeln sich alle Fragen unseres nationalen und sozialen Daseins in Schulfragen, alle Kämpfe des Kulturlebens spielen sich auch in der Arena der Schule ab. So kann diese tiefste Aufwühlung unserer Lebens¬ grundlagen nicht spurlos an der Schule vorübergehen. Wir werden uns des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/151>, abgerufen am 19.05.2024.