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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Immanuel Aare über Politik, Arieg und Frieden
Privatdozent Dr. Alfred Menzel von

or längerer Zeit brachte eines der verbreitetsten deutschen Blätter
ein Bild von eigenartiger und kühner Erfindung, das unter anderen
auch die Beachtung des Fürsten Bülow gefunden hat und mittler-
weile in vielen Reproduktionen verbreitet worden ist: im Vorder¬
grunde auf einem Hügel deutsche Generalstabsoffiziere, Meldungen
empfangend und Befehle zurückgehend, in gespanntester Aufmerksamkeit eine im
Hintergrunde sich entwickelnde Schlacht beobachtend, wo eben in langen Linien
zum Sturm vorgegangen wird; über dem Ganzen, in Wolken erhöht und weiter
Fernsicht verdämmernd, die Gestalten deutscher Geisteshelden, unter ihnen neben
einem Luther, Beethoven, Bismarck, Schiller auch Goethe und Kant. Die Idee
des Bildes lag klar und eindrucksvoll vor Augen:

Das deutsche Volk steht seit elf Monaten in einem furchtbaren, gigantischen
Kampf gegen eine Welt von Feinden, in einem Kampf, der um Leib und Leben
und Existenz und vielleicht noch etwas mehr geht; was Wunder, daß es sich da,
von äußerer Hilfe nahezu gänzlich verlassen, auf seine inneren Bundesgenossen
zu besinnen sucht, auf jene Heroen des Geistes, Führer in Kunst und Wissenschaft,
in Religion und Sitte, die unserem Volke in jahrhundertelanger Geschichte erst
jenen stolzen Reichtum geistiger und sittlicher Werte geschaffen haben, die heute
mehr als je das Geschick der Völker auch auf den Schlachtfeldern entscheiden helfen.

Zu diesen Heroen deutscher Kultur rechnet der dichterische Interpret unseres
Bildes also auch Immanuel Kant, und sicher mit nicht geringem Recht. Wenn
heute von diesem größten deutschen Philosophen in weiteren Kreisen unseres Volkes
etwas bekannt ist, so ist es außer dem großen Namen gewißlich der "kategorische
Imperativ", jener steife aber markante Ausdruck, in den Kant die ganze Fülle und
Strenge seiner sittlichen Lebensanschauung gegossen hat. In ihm spricht sich die
Hoheit des sittlichen Bewußtseins, die Härte der Pflichtauffassung, die Strenge des
Gewissens, die Wucht des Verantwortlichkeitsgefühls, kurz jene ganze eiserne
Herzens- und Willensdisziplin aus, die wir immer als den ureigensten Besitz
unseres preußischen und deutschen Volkes in Anspruch genommen haben. In ihm
liegt ferner die große Lebensanschauung, daß Wert und Würde im Völkerleben
nicht im materiellen Erwerb, nicht in bloßer äußerer Macht, nicht in der Zahl
der Streiter und der Schärfe des Schwertes besteht, sondern im Kampf um die




Immanuel Aare über Politik, Arieg und Frieden
Privatdozent Dr. Alfred Menzel von

or längerer Zeit brachte eines der verbreitetsten deutschen Blätter
ein Bild von eigenartiger und kühner Erfindung, das unter anderen
auch die Beachtung des Fürsten Bülow gefunden hat und mittler-
weile in vielen Reproduktionen verbreitet worden ist: im Vorder¬
grunde auf einem Hügel deutsche Generalstabsoffiziere, Meldungen
empfangend und Befehle zurückgehend, in gespanntester Aufmerksamkeit eine im
Hintergrunde sich entwickelnde Schlacht beobachtend, wo eben in langen Linien
zum Sturm vorgegangen wird; über dem Ganzen, in Wolken erhöht und weiter
Fernsicht verdämmernd, die Gestalten deutscher Geisteshelden, unter ihnen neben
einem Luther, Beethoven, Bismarck, Schiller auch Goethe und Kant. Die Idee
des Bildes lag klar und eindrucksvoll vor Augen:

Das deutsche Volk steht seit elf Monaten in einem furchtbaren, gigantischen
Kampf gegen eine Welt von Feinden, in einem Kampf, der um Leib und Leben
und Existenz und vielleicht noch etwas mehr geht; was Wunder, daß es sich da,
von äußerer Hilfe nahezu gänzlich verlassen, auf seine inneren Bundesgenossen
zu besinnen sucht, auf jene Heroen des Geistes, Führer in Kunst und Wissenschaft,
in Religion und Sitte, die unserem Volke in jahrhundertelanger Geschichte erst
jenen stolzen Reichtum geistiger und sittlicher Werte geschaffen haben, die heute
mehr als je das Geschick der Völker auch auf den Schlachtfeldern entscheiden helfen.

Zu diesen Heroen deutscher Kultur rechnet der dichterische Interpret unseres
Bildes also auch Immanuel Kant, und sicher mit nicht geringem Recht. Wenn
heute von diesem größten deutschen Philosophen in weiteren Kreisen unseres Volkes
etwas bekannt ist, so ist es außer dem großen Namen gewißlich der „kategorische
Imperativ", jener steife aber markante Ausdruck, in den Kant die ganze Fülle und
Strenge seiner sittlichen Lebensanschauung gegossen hat. In ihm spricht sich die
Hoheit des sittlichen Bewußtseins, die Härte der Pflichtauffassung, die Strenge des
Gewissens, die Wucht des Verantwortlichkeitsgefühls, kurz jene ganze eiserne
Herzens- und Willensdisziplin aus, die wir immer als den ureigensten Besitz
unseres preußischen und deutschen Volkes in Anspruch genommen haben. In ihm
liegt ferner die große Lebensanschauung, daß Wert und Würde im Völkerleben
nicht im materiellen Erwerb, nicht in bloßer äußerer Macht, nicht in der Zahl
der Streiter und der Schärfe des Schwertes besteht, sondern im Kampf um die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/19>, abgerufen am 19.05.2024.