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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Arieg und Religion
Pfarrer Ile> tneol. Walter ZVendland von

Wle Religion ist im Kriege zu neuer Kraft und zu neuem Leben
erstanden. An der Tatsache ist nicht zu zweifeln. Wie ist die
Wandlung zu erklären? Woher kam es, daß Gott, groß und
gewaltig, neu von jedem, auch von dem, der ihn fühlte, erlebt
worden ist? Mit dem Irdischen ist das Göttliche verwebt, im
Zeitlichen hat der Mensch stets Gott gefunden; denn Gottes Wesen ist unnahbar.
So war es auch in jenen bedeutsamen Tagen des Juli-August 1914. Eine
urgewaltige Liebe zu Heimat und Vaterland erwachte in unseren Herzen, der
gegenüber das eigene kleine Leben wie ein Nichts erschien, das daran gegeben
werden müsse. Der einzelne fühlte und erlebte neu, wie das Beste seines Wesens
nicht bloß zusammenhängt mit Heimat und Vaterland, sondern wie er es dem
Vaterland zu danken hat. Und je mehr der Kriegsausbruch mit Lüge ver¬
bunden war, desto mehr erwachte der Glaube an die große Weltmission der
Deutschen auf Erden. Und dieser Glaube forderte, daß man die Gerechtigkeit
einer höheren Macht in der Geschichte beinah sichtbarlich erlebt. Angesichts der
Übermacht der Feinde sang der Deutsche: Ein feste Burg ist unser Gott. Aus
diesem Glauben an ein gerechtes göttliches Walten heraus ward das Gefühl
siegesgewisser Hoffnung in jenen Augusttagen geboren, daß der Feind überrannt
werden könne. Und als Ostpreußen verwüstet wurde, mochte der Mann des
Volkes nicht glauben an die damals siegreiche Übermacht der Russen, sondern
erklärte unser Zurückweichen aus Verrat und Treulosigkeit heraus. Das Nieder¬
ländische Dankgebet kennzeichnet die Frömmigkeit jener Tage: Wir treten zum
Beten vor Gott den Gerechten.

Nicht war es so, daß man zur Religion rief, weil man die Kräfte der
Religion brauchte, um die Tapferkeit der Truppen anzufeuern. Nicht betete
man, weil man Niederlagen befürchtete und abwenden wollte. Der Glaube an
Gott wuchs aus einem viel tieferen seelischen Erlebnis hervor. Die Frömmigkeits¬
bewegung in den Tagen des Kriegsausbruchs ist sittlicher Art gewesen, sie




Arieg und Religion
Pfarrer Ile> tneol. Walter ZVendland von

Wle Religion ist im Kriege zu neuer Kraft und zu neuem Leben
erstanden. An der Tatsache ist nicht zu zweifeln. Wie ist die
Wandlung zu erklären? Woher kam es, daß Gott, groß und
gewaltig, neu von jedem, auch von dem, der ihn fühlte, erlebt
worden ist? Mit dem Irdischen ist das Göttliche verwebt, im
Zeitlichen hat der Mensch stets Gott gefunden; denn Gottes Wesen ist unnahbar.
So war es auch in jenen bedeutsamen Tagen des Juli-August 1914. Eine
urgewaltige Liebe zu Heimat und Vaterland erwachte in unseren Herzen, der
gegenüber das eigene kleine Leben wie ein Nichts erschien, das daran gegeben
werden müsse. Der einzelne fühlte und erlebte neu, wie das Beste seines Wesens
nicht bloß zusammenhängt mit Heimat und Vaterland, sondern wie er es dem
Vaterland zu danken hat. Und je mehr der Kriegsausbruch mit Lüge ver¬
bunden war, desto mehr erwachte der Glaube an die große Weltmission der
Deutschen auf Erden. Und dieser Glaube forderte, daß man die Gerechtigkeit
einer höheren Macht in der Geschichte beinah sichtbarlich erlebt. Angesichts der
Übermacht der Feinde sang der Deutsche: Ein feste Burg ist unser Gott. Aus
diesem Glauben an ein gerechtes göttliches Walten heraus ward das Gefühl
siegesgewisser Hoffnung in jenen Augusttagen geboren, daß der Feind überrannt
werden könne. Und als Ostpreußen verwüstet wurde, mochte der Mann des
Volkes nicht glauben an die damals siegreiche Übermacht der Russen, sondern
erklärte unser Zurückweichen aus Verrat und Treulosigkeit heraus. Das Nieder¬
ländische Dankgebet kennzeichnet die Frömmigkeit jener Tage: Wir treten zum
Beten vor Gott den Gerechten.

Nicht war es so, daß man zur Religion rief, weil man die Kräfte der
Religion brauchte, um die Tapferkeit der Truppen anzufeuern. Nicht betete
man, weil man Niederlagen befürchtete und abwenden wollte. Der Glaube an
Gott wuchs aus einem viel tieferen seelischen Erlebnis hervor. Die Frömmigkeits¬
bewegung in den Tagen des Kriegsausbruchs ist sittlicher Art gewesen, sie


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[0224] [Abbildung] Arieg und Religion Pfarrer Ile> tneol. Walter ZVendland von Wle Religion ist im Kriege zu neuer Kraft und zu neuem Leben erstanden. An der Tatsache ist nicht zu zweifeln. Wie ist die Wandlung zu erklären? Woher kam es, daß Gott, groß und gewaltig, neu von jedem, auch von dem, der ihn fühlte, erlebt worden ist? Mit dem Irdischen ist das Göttliche verwebt, im Zeitlichen hat der Mensch stets Gott gefunden; denn Gottes Wesen ist unnahbar. So war es auch in jenen bedeutsamen Tagen des Juli-August 1914. Eine urgewaltige Liebe zu Heimat und Vaterland erwachte in unseren Herzen, der gegenüber das eigene kleine Leben wie ein Nichts erschien, das daran gegeben werden müsse. Der einzelne fühlte und erlebte neu, wie das Beste seines Wesens nicht bloß zusammenhängt mit Heimat und Vaterland, sondern wie er es dem Vaterland zu danken hat. Und je mehr der Kriegsausbruch mit Lüge ver¬ bunden war, desto mehr erwachte der Glaube an die große Weltmission der Deutschen auf Erden. Und dieser Glaube forderte, daß man die Gerechtigkeit einer höheren Macht in der Geschichte beinah sichtbarlich erlebt. Angesichts der Übermacht der Feinde sang der Deutsche: Ein feste Burg ist unser Gott. Aus diesem Glauben an ein gerechtes göttliches Walten heraus ward das Gefühl siegesgewisser Hoffnung in jenen Augusttagen geboren, daß der Feind überrannt werden könne. Und als Ostpreußen verwüstet wurde, mochte der Mann des Volkes nicht glauben an die damals siegreiche Übermacht der Russen, sondern erklärte unser Zurückweichen aus Verrat und Treulosigkeit heraus. Das Nieder¬ ländische Dankgebet kennzeichnet die Frömmigkeit jener Tage: Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten. Nicht war es so, daß man zur Religion rief, weil man die Kräfte der Religion brauchte, um die Tapferkeit der Truppen anzufeuern. Nicht betete man, weil man Niederlagen befürchtete und abwenden wollte. Der Glaube an Gott wuchs aus einem viel tieferen seelischen Erlebnis hervor. Die Frömmigkeits¬ bewegung in den Tagen des Kriegsausbruchs ist sittlicher Art gewesen, sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/224>, abgerufen am 18.05.2024.