Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Warum bekämpft uns Rußland?
Lato Vii^eus !)on

Ein in Rußland ansässiger Deutscher schreibt uns:

le meisten Deutschen, die seit Jahren das Verhalten Rußlands
gegen Deutschland und das Deutschtum aus nächster Nähe zu
beobachten Gelegenheit hatten, fragten immer wieder erstaunt:
"Was will Rußland eigentlich von uns?" Warum dieser steigende
Haß in vielen Kreisen? Verbinden uns nicht die Traditionen von
anderthalb Jahrhunderten, verbinden uns nicht dynastische Beziehungen, verbinden
uns schließlich nicht viele persönliche Freundschaften. Verwandtschaften und
geschäftliche Fäden feit Generationen? Und nun seit etwa dreißig Jahren eine
wachsende Hetze gegen alles Deutsche -- warum dies alles?

Viel wurde über dies Thema gestritten, alle möglichen Gründe, richtige
und falsche wurden angeführt, aber klar find sich heute nur wenige über die
eigentlichen Ursachen der veränderten Haltung Rußlands.

Am augenscheinlichsten trat diese nach dem russisch-japanischen Kriege in
Erscheinung. Wir alle in Nußland lebenden Deutschen glaubten damals bestimmt,
daß dieser Krieg mit einem deutsch - russischen Bündnis seinen Abschluß finden
würde und die Zeit der Mißverständnisse endgültig vorüber wäre; viele Gründe
stützten diese Hoffnungen. Ging nicht allgemein die Erzählung von Mund zu
Mund, gleich nach Ausbruch des Krieges hätte Kaiser Wilhelm derZweite demZaren
mitteilen lassen, er könne wegen seiner Westgrenze vollkommen ruhig sein? Die
Ereignisse schienen dies zu bestätigen; nie war Nußland so schwach wie 1906/07.
"le hätte Deutschland eine günstigere Gelegenheit gehabt, um die schwarzen
Pläne zur Ausführung zu bringen, welche ihm seit Jahren von der russischen
Presse systematisch angedichtet wurden. Wie sah es denn damals in Rußland aus?
Vollkommene Auflösung des ganzen, riesigen Reiches; kein Gericht, keine Polizei,
keine Behörde funktionierte, die Armee zum Teil vernichtet, zum Teil revolutioniert,
die Flotte meuterte -- ein deutsches Armeekorps hätte genügt, um mit klingendem


Grenzboten III 1916 17


Warum bekämpft uns Rußland?
Lato Vii^eus !)on

Ein in Rußland ansässiger Deutscher schreibt uns:

le meisten Deutschen, die seit Jahren das Verhalten Rußlands
gegen Deutschland und das Deutschtum aus nächster Nähe zu
beobachten Gelegenheit hatten, fragten immer wieder erstaunt:
„Was will Rußland eigentlich von uns?" Warum dieser steigende
Haß in vielen Kreisen? Verbinden uns nicht die Traditionen von
anderthalb Jahrhunderten, verbinden uns nicht dynastische Beziehungen, verbinden
uns schließlich nicht viele persönliche Freundschaften. Verwandtschaften und
geschäftliche Fäden feit Generationen? Und nun seit etwa dreißig Jahren eine
wachsende Hetze gegen alles Deutsche — warum dies alles?

Viel wurde über dies Thema gestritten, alle möglichen Gründe, richtige
und falsche wurden angeführt, aber klar find sich heute nur wenige über die
eigentlichen Ursachen der veränderten Haltung Rußlands.

Am augenscheinlichsten trat diese nach dem russisch-japanischen Kriege in
Erscheinung. Wir alle in Nußland lebenden Deutschen glaubten damals bestimmt,
daß dieser Krieg mit einem deutsch - russischen Bündnis seinen Abschluß finden
würde und die Zeit der Mißverständnisse endgültig vorüber wäre; viele Gründe
stützten diese Hoffnungen. Ging nicht allgemein die Erzählung von Mund zu
Mund, gleich nach Ausbruch des Krieges hätte Kaiser Wilhelm derZweite demZaren
mitteilen lassen, er könne wegen seiner Westgrenze vollkommen ruhig sein? Die
Ereignisse schienen dies zu bestätigen; nie war Nußland so schwach wie 1906/07.
«le hätte Deutschland eine günstigere Gelegenheit gehabt, um die schwarzen
Pläne zur Ausführung zu bringen, welche ihm seit Jahren von der russischen
Presse systematisch angedichtet wurden. Wie sah es denn damals in Rußland aus?
Vollkommene Auflösung des ganzen, riesigen Reiches; kein Gericht, keine Polizei,
keine Behörde funktionierte, die Armee zum Teil vernichtet, zum Teil revolutioniert,
die Flotte meuterte — ein deutsches Armeekorps hätte genügt, um mit klingendem


Grenzboten III 1916 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324242"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_323972/figures/grenzboten_341901_323972_324242_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Warum bekämpft uns Rußland?<lb/><note type="byline"> Lato Vii^eus</note> !)on </head><lb/>
          <note type="byline"> Ein in Rußland ansässiger Deutscher schreibt uns:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_819"> le meisten Deutschen, die seit Jahren das Verhalten Rußlands<lb/>
gegen Deutschland und das Deutschtum aus nächster Nähe zu<lb/>
beobachten Gelegenheit hatten, fragten immer wieder erstaunt:<lb/>
&#x201E;Was will Rußland eigentlich von uns?" Warum dieser steigende<lb/>
Haß in vielen Kreisen? Verbinden uns nicht die Traditionen von<lb/>
anderthalb Jahrhunderten, verbinden uns nicht dynastische Beziehungen, verbinden<lb/>
uns schließlich nicht viele persönliche Freundschaften. Verwandtschaften und<lb/>
geschäftliche Fäden feit Generationen? Und nun seit etwa dreißig Jahren eine<lb/>
wachsende Hetze gegen alles Deutsche &#x2014; warum dies alles?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_820"> Viel wurde über dies Thema gestritten, alle möglichen Gründe, richtige<lb/>
und falsche wurden angeführt, aber klar find sich heute nur wenige über die<lb/>
eigentlichen Ursachen der veränderten Haltung Rußlands.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_821" next="#ID_822"> Am augenscheinlichsten trat diese nach dem russisch-japanischen Kriege in<lb/>
Erscheinung. Wir alle in Nußland lebenden Deutschen glaubten damals bestimmt,<lb/>
daß dieser Krieg mit einem deutsch - russischen Bündnis seinen Abschluß finden<lb/>
würde und die Zeit der Mißverständnisse endgültig vorüber wäre; viele Gründe<lb/>
stützten diese Hoffnungen.  Ging nicht allgemein die Erzählung von Mund zu<lb/>
Mund, gleich nach Ausbruch des Krieges hätte Kaiser Wilhelm derZweite demZaren<lb/>
mitteilen lassen, er könne wegen seiner Westgrenze vollkommen ruhig sein? Die<lb/>
Ereignisse schienen dies zu bestätigen; nie war Nußland so schwach wie 1906/07.<lb/>
«le hätte Deutschland eine günstigere Gelegenheit gehabt, um die schwarzen<lb/>
Pläne zur Ausführung zu bringen, welche ihm seit Jahren von der russischen<lb/>
Presse systematisch angedichtet wurden. Wie sah es denn damals in Rußland aus?<lb/>
Vollkommene Auflösung des ganzen, riesigen Reiches; kein Gericht, keine Polizei,<lb/>
keine Behörde funktionierte, die Armee zum Teil vernichtet, zum Teil revolutioniert,<lb/>
die Flotte meuterte &#x2014; ein deutsches Armeekorps hätte genügt, um mit klingendem</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1916 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] [Abbildung] Warum bekämpft uns Rußland? Lato Vii^eus !)on Ein in Rußland ansässiger Deutscher schreibt uns: le meisten Deutschen, die seit Jahren das Verhalten Rußlands gegen Deutschland und das Deutschtum aus nächster Nähe zu beobachten Gelegenheit hatten, fragten immer wieder erstaunt: „Was will Rußland eigentlich von uns?" Warum dieser steigende Haß in vielen Kreisen? Verbinden uns nicht die Traditionen von anderthalb Jahrhunderten, verbinden uns nicht dynastische Beziehungen, verbinden uns schließlich nicht viele persönliche Freundschaften. Verwandtschaften und geschäftliche Fäden feit Generationen? Und nun seit etwa dreißig Jahren eine wachsende Hetze gegen alles Deutsche — warum dies alles? Viel wurde über dies Thema gestritten, alle möglichen Gründe, richtige und falsche wurden angeführt, aber klar find sich heute nur wenige über die eigentlichen Ursachen der veränderten Haltung Rußlands. Am augenscheinlichsten trat diese nach dem russisch-japanischen Kriege in Erscheinung. Wir alle in Nußland lebenden Deutschen glaubten damals bestimmt, daß dieser Krieg mit einem deutsch - russischen Bündnis seinen Abschluß finden würde und die Zeit der Mißverständnisse endgültig vorüber wäre; viele Gründe stützten diese Hoffnungen. Ging nicht allgemein die Erzählung von Mund zu Mund, gleich nach Ausbruch des Krieges hätte Kaiser Wilhelm derZweite demZaren mitteilen lassen, er könne wegen seiner Westgrenze vollkommen ruhig sein? Die Ereignisse schienen dies zu bestätigen; nie war Nußland so schwach wie 1906/07. «le hätte Deutschland eine günstigere Gelegenheit gehabt, um die schwarzen Pläne zur Ausführung zu bringen, welche ihm seit Jahren von der russischen Presse systematisch angedichtet wurden. Wie sah es denn damals in Rußland aus? Vollkommene Auflösung des ganzen, riesigen Reiches; kein Gericht, keine Polizei, keine Behörde funktionierte, die Armee zum Teil vernichtet, zum Teil revolutioniert, die Flotte meuterte — ein deutsches Armeekorps hätte genügt, um mit klingendem Grenzboten III 1916 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/269>, abgerufen am 26.05.2024.