Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Warum bekämpft uns Rußland?

Unter dem vereinten Drucke dieser beiden Grundsäulen des Wirtschaftslebens leiden
dann die Banken, die Börse, der Geldmarkt und der Rubelkurs. Kommt es
jedoch zu einer tatsächlichen Sperrung der Meerengen, so ist die Wirkung aller
eben angeführten Faktoren naturgemäß erheblich stärker und kann schließlich
katastrophal werden, wenn sie zu lange dauert -- wie zum Beispiel jetzt.

Man kann daher wohl sagen, daß, solange die Meerengen in türkischem
Besitz sind, Rußland jede politische Schwankung der Türkei mitempfinden und
mitleiden muß. Aus solchen Schwankungen kommt aber die Türkei seit Jahr¬
zehnten selten heraus, daher haben sich Zustände entwickelt, die vom russischen
Standpunkt aus betrachtet unleidlich sind; je stärker sich nun das Wirtschafts¬
leben Rußlands entwickelt, je größer die in Frage kommenden Werte werden,
desto brennender wird die Meerengenfrage. Gebieterisch wird an Rußland die
Frage herantreten, ob es Weltmacht ersten Ranges werden kann oder ob es sich
Mit einem zweiten Platze begnügen muß. Um einen Bismarckschen Vergleich
zu wählen, ob es ein Hauswirt ohne Hausschlüssel bleiben soll.

Die weitere Bedeutung der Meerengen liegt darin, daß sie das Eingreifen
Rußland feindlicher Flotten im Schwarzen Meere ermöglichen. Eine überlegene
feindliche Flotte kann auf diesem Wege den Krieg über das Schwarze Meer
direkt in die Eingeweide Rußlands tragen; so geschah es im Krimkriege und der¬
selbe Fall kann wieder eintreten, sobald die entsprechenden politischen Konstellationen
vorhanden sind, er wäre bereits heute da, wenn die türkische Flotte stärker,
wäre. Eine weit vorausschauende russische Politik wird auch diesen Gesichts-
Punkt nie aus dem Auge verlieren.

Es dürfte nach dem gesagten ohne weiteres einleuchten, daß die Meer¬
engen so wichtig für die ungestörte Entwicklung des wirtschaftlichen und politischen
Lebens Rußlands find, daß es darum kämpfen wird, solange es die geringsten
Aussichten auf Erfolg hat; erst wenn diese vollständig fehlen, wird es den
Kampf aufgeben.

Peter der Große hatte dies alles mit dem Blicke des Genies erfaßt, als
er seinen Nachfolgern die Besitzergreifung Konstantinopels als Vermächtnis
hinterließ.


Deutschland, Rußland und die Meerengen

Wer einmal von Konstantinopel zu Schiff nach den Dardanellen reiste,
wird sich erinnern, bald nach dem Verlassen des Bosporus das Rufsendenkmal
für die Gefallenen von 1877/78 am Nordufer des Marmarameeres gesehen zu
haben. Wer die Geschichte Rußlands kannte, wird sich bei diesem Anblick
unwillkürlich gefragt haben: wie konnten die Russen hier wieder herausgehen,
nachdem sie der Erfüllung ihres Traumes von Jahrhunderten so nahe waren?
Wer zwang sie dazu?

Lassen wir die Ereignisse nach dem russisch-türkischen Kriege von 1877/78
kurz an uns vorüberziehen.


17"
Warum bekämpft uns Rußland?

Unter dem vereinten Drucke dieser beiden Grundsäulen des Wirtschaftslebens leiden
dann die Banken, die Börse, der Geldmarkt und der Rubelkurs. Kommt es
jedoch zu einer tatsächlichen Sperrung der Meerengen, so ist die Wirkung aller
eben angeführten Faktoren naturgemäß erheblich stärker und kann schließlich
katastrophal werden, wenn sie zu lange dauert — wie zum Beispiel jetzt.

Man kann daher wohl sagen, daß, solange die Meerengen in türkischem
Besitz sind, Rußland jede politische Schwankung der Türkei mitempfinden und
mitleiden muß. Aus solchen Schwankungen kommt aber die Türkei seit Jahr¬
zehnten selten heraus, daher haben sich Zustände entwickelt, die vom russischen
Standpunkt aus betrachtet unleidlich sind; je stärker sich nun das Wirtschafts¬
leben Rußlands entwickelt, je größer die in Frage kommenden Werte werden,
desto brennender wird die Meerengenfrage. Gebieterisch wird an Rußland die
Frage herantreten, ob es Weltmacht ersten Ranges werden kann oder ob es sich
Mit einem zweiten Platze begnügen muß. Um einen Bismarckschen Vergleich
zu wählen, ob es ein Hauswirt ohne Hausschlüssel bleiben soll.

Die weitere Bedeutung der Meerengen liegt darin, daß sie das Eingreifen
Rußland feindlicher Flotten im Schwarzen Meere ermöglichen. Eine überlegene
feindliche Flotte kann auf diesem Wege den Krieg über das Schwarze Meer
direkt in die Eingeweide Rußlands tragen; so geschah es im Krimkriege und der¬
selbe Fall kann wieder eintreten, sobald die entsprechenden politischen Konstellationen
vorhanden sind, er wäre bereits heute da, wenn die türkische Flotte stärker,
wäre. Eine weit vorausschauende russische Politik wird auch diesen Gesichts-
Punkt nie aus dem Auge verlieren.

Es dürfte nach dem gesagten ohne weiteres einleuchten, daß die Meer¬
engen so wichtig für die ungestörte Entwicklung des wirtschaftlichen und politischen
Lebens Rußlands find, daß es darum kämpfen wird, solange es die geringsten
Aussichten auf Erfolg hat; erst wenn diese vollständig fehlen, wird es den
Kampf aufgeben.

Peter der Große hatte dies alles mit dem Blicke des Genies erfaßt, als
er seinen Nachfolgern die Besitzergreifung Konstantinopels als Vermächtnis
hinterließ.


Deutschland, Rußland und die Meerengen

Wer einmal von Konstantinopel zu Schiff nach den Dardanellen reiste,
wird sich erinnern, bald nach dem Verlassen des Bosporus das Rufsendenkmal
für die Gefallenen von 1877/78 am Nordufer des Marmarameeres gesehen zu
haben. Wer die Geschichte Rußlands kannte, wird sich bei diesem Anblick
unwillkürlich gefragt haben: wie konnten die Russen hier wieder herausgehen,
nachdem sie der Erfüllung ihres Traumes von Jahrhunderten so nahe waren?
Wer zwang sie dazu?

Lassen wir die Ereignisse nach dem russisch-türkischen Kriege von 1877/78
kurz an uns vorüberziehen.


17«
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324244"/>
            <fw type="header" place="top"> Warum bekämpft uns Rußland?</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825"> Unter dem vereinten Drucke dieser beiden Grundsäulen des Wirtschaftslebens leiden<lb/>
dann die Banken, die Börse, der Geldmarkt und der Rubelkurs. Kommt es<lb/>
jedoch zu einer tatsächlichen Sperrung der Meerengen, so ist die Wirkung aller<lb/>
eben angeführten Faktoren naturgemäß erheblich stärker und kann schließlich<lb/>
katastrophal werden, wenn sie zu lange dauert &#x2014; wie zum Beispiel jetzt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_827"> Man kann daher wohl sagen, daß, solange die Meerengen in türkischem<lb/>
Besitz sind, Rußland jede politische Schwankung der Türkei mitempfinden und<lb/>
mitleiden muß. Aus solchen Schwankungen kommt aber die Türkei seit Jahr¬<lb/>
zehnten selten heraus, daher haben sich Zustände entwickelt, die vom russischen<lb/>
Standpunkt aus betrachtet unleidlich sind; je stärker sich nun das Wirtschafts¬<lb/>
leben Rußlands entwickelt, je größer die in Frage kommenden Werte werden,<lb/>
desto brennender wird die Meerengenfrage. Gebieterisch wird an Rußland die<lb/>
Frage herantreten, ob es Weltmacht ersten Ranges werden kann oder ob es sich<lb/>
Mit einem zweiten Platze begnügen muß. Um einen Bismarckschen Vergleich<lb/>
zu wählen, ob es ein Hauswirt ohne Hausschlüssel bleiben soll.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_828"> Die weitere Bedeutung der Meerengen liegt darin, daß sie das Eingreifen<lb/>
Rußland feindlicher Flotten im Schwarzen Meere ermöglichen. Eine überlegene<lb/>
feindliche Flotte kann auf diesem Wege den Krieg über das Schwarze Meer<lb/>
direkt in die Eingeweide Rußlands tragen; so geschah es im Krimkriege und der¬<lb/>
selbe Fall kann wieder eintreten, sobald die entsprechenden politischen Konstellationen<lb/>
vorhanden sind, er wäre bereits heute da, wenn die türkische Flotte stärker,<lb/>
wäre. Eine weit vorausschauende russische Politik wird auch diesen Gesichts-<lb/>
Punkt nie aus dem Auge verlieren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_829"> Es dürfte nach dem gesagten ohne weiteres einleuchten, daß die Meer¬<lb/>
engen so wichtig für die ungestörte Entwicklung des wirtschaftlichen und politischen<lb/>
Lebens Rußlands find, daß es darum kämpfen wird, solange es die geringsten<lb/>
Aussichten auf Erfolg hat; erst wenn diese vollständig fehlen, wird es den<lb/>
Kampf aufgeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_830"> Peter der Große hatte dies alles mit dem Blicke des Genies erfaßt, als<lb/>
er seinen Nachfolgern die Besitzergreifung Konstantinopels als Vermächtnis<lb/>
hinterließ.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Deutschland, Rußland und die Meerengen</head><lb/>
            <p xml:id="ID_831"> Wer einmal von Konstantinopel zu Schiff nach den Dardanellen reiste,<lb/>
wird sich erinnern, bald nach dem Verlassen des Bosporus das Rufsendenkmal<lb/>
für die Gefallenen von 1877/78 am Nordufer des Marmarameeres gesehen zu<lb/>
haben. Wer die Geschichte Rußlands kannte, wird sich bei diesem Anblick<lb/>
unwillkürlich gefragt haben: wie konnten die Russen hier wieder herausgehen,<lb/>
nachdem sie der Erfüllung ihres Traumes von Jahrhunderten so nahe waren?<lb/>
Wer zwang sie dazu?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_832"> Lassen wir die Ereignisse nach dem russisch-türkischen Kriege von 1877/78<lb/>
kurz an uns vorüberziehen.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 17«</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Warum bekämpft uns Rußland? Unter dem vereinten Drucke dieser beiden Grundsäulen des Wirtschaftslebens leiden dann die Banken, die Börse, der Geldmarkt und der Rubelkurs. Kommt es jedoch zu einer tatsächlichen Sperrung der Meerengen, so ist die Wirkung aller eben angeführten Faktoren naturgemäß erheblich stärker und kann schließlich katastrophal werden, wenn sie zu lange dauert — wie zum Beispiel jetzt. Man kann daher wohl sagen, daß, solange die Meerengen in türkischem Besitz sind, Rußland jede politische Schwankung der Türkei mitempfinden und mitleiden muß. Aus solchen Schwankungen kommt aber die Türkei seit Jahr¬ zehnten selten heraus, daher haben sich Zustände entwickelt, die vom russischen Standpunkt aus betrachtet unleidlich sind; je stärker sich nun das Wirtschafts¬ leben Rußlands entwickelt, je größer die in Frage kommenden Werte werden, desto brennender wird die Meerengenfrage. Gebieterisch wird an Rußland die Frage herantreten, ob es Weltmacht ersten Ranges werden kann oder ob es sich Mit einem zweiten Platze begnügen muß. Um einen Bismarckschen Vergleich zu wählen, ob es ein Hauswirt ohne Hausschlüssel bleiben soll. Die weitere Bedeutung der Meerengen liegt darin, daß sie das Eingreifen Rußland feindlicher Flotten im Schwarzen Meere ermöglichen. Eine überlegene feindliche Flotte kann auf diesem Wege den Krieg über das Schwarze Meer direkt in die Eingeweide Rußlands tragen; so geschah es im Krimkriege und der¬ selbe Fall kann wieder eintreten, sobald die entsprechenden politischen Konstellationen vorhanden sind, er wäre bereits heute da, wenn die türkische Flotte stärker, wäre. Eine weit vorausschauende russische Politik wird auch diesen Gesichts- Punkt nie aus dem Auge verlieren. Es dürfte nach dem gesagten ohne weiteres einleuchten, daß die Meer¬ engen so wichtig für die ungestörte Entwicklung des wirtschaftlichen und politischen Lebens Rußlands find, daß es darum kämpfen wird, solange es die geringsten Aussichten auf Erfolg hat; erst wenn diese vollständig fehlen, wird es den Kampf aufgeben. Peter der Große hatte dies alles mit dem Blicke des Genies erfaßt, als er seinen Nachfolgern die Besitzergreifung Konstantinopels als Vermächtnis hinterließ. Deutschland, Rußland und die Meerengen Wer einmal von Konstantinopel zu Schiff nach den Dardanellen reiste, wird sich erinnern, bald nach dem Verlassen des Bosporus das Rufsendenkmal für die Gefallenen von 1877/78 am Nordufer des Marmarameeres gesehen zu haben. Wer die Geschichte Rußlands kannte, wird sich bei diesem Anblick unwillkürlich gefragt haben: wie konnten die Russen hier wieder herausgehen, nachdem sie der Erfüllung ihres Traumes von Jahrhunderten so nahe waren? Wer zwang sie dazu? Lassen wir die Ereignisse nach dem russisch-türkischen Kriege von 1877/78 kurz an uns vorüberziehen. 17«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/271>, abgerufen am 19.05.2024.