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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Warum bekämpft uns Rußland?

leitenden Stellungen, immer heftiger wird der Kampf gegen alles, was nicht russisch
ist. Dieser letzte Satz muß ganz besonders betont werden, also nicht nur
Lutheraner, sondern alle Nichtrussen wurden möglichst von Staatsämtern aus¬
geschlossen oder zum mindesten den Russen gegenüber benachteiligt. Rußland
hat damit eine schlechte Politik getrieben, denn, abgesehen von dem Haß, der
dadurch unter allen Fremdvölkern gesät wurde, schwächte es sein eigenes Volk.
Dieses, nur etwa fünfzig Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachend --
genaue Zahlen darüber gibt es nicht, die russische amtliche Statistik ist falsch --
sollte nun womöglich den Beamten- und Offizierapparat für das ganze Reich
liefern. Dadurch wurde der Gutsbesitzerstand landflüchtig und befindet sich als
solcher in trostlosen Zustande; auch aus den anderen Ständen fand jeder Russe
ein warmes Pöstchen an der Krippe des Staates, welches ihn schlecht und
recht ernährte. Dadurch wurde das russische Volk faul und immer weniger
fähig, den Kampf mit den anderen Völkern Rußlands auf wirtschaftlichem
Gebiete zu führen, die ihrerseits, gerade durch den Druck, immer stärker wurden.
Wir sehen heute den rein russischen Handel und die Industrie in Rußland
immer mehr zurückgedrängt durch andere Völker: Deutsche, Polen, Juden,
Engländer, Franzosen, Belgier usw. Die Folge davon ist dann wieder ein
Haß, der zwar gegen alle Nichtrussen gerichtet ist, von der Regierung und den
herrschenden Strömungen aber immer dahin dirigiert wird, wo er ihnen gerade
wünschenswert erscheint; jetzt ist es das Deutschtum, welches seine Zielscheibe
bildet. Verfasser ist der Meinung, daß die ganze Wut gegen das Deutschtum
in Rußland künstlich entfacht und vergrößert wurde, unter geschickter Benutzung
der wirklich vorhandenen Angriffshebel, um eben die öffentliche Meinung auf
den kommende" Krieg mit Deutschland um die Meerengen vorzubereiten.
Das russische Volk hätte ebensogut zu einem tiefen Freundschaftsgefühl geleitet
werden können, wenn es seine Machthaber gewollt hätten. Im Grunde ist sein
Gefühl den Deutschen gegenüber kein feindliches, im Gegenteil, freundschaftlicher
wie zu den andern Fremdvölkern und Ausländern. Zahllose Mischehen zwischen
Deutschen und Russen beweisen dies, jeder, der lange in Rußland gelebt hat,
fühlte es; die Russen waren uns ebensowenig feindlich gesinnt wie wir ihnen.
Nur in der allerletzten Zeit vor dem Kriege ging die Verhetzung so weit, daß
sie anfing, auch im privaten Leben fühlbar zu werden.

Trotzdem muß auch dieser Grund als Hilfsgrund zum Kriege anerkannt
werden. Es ist durchaus zutreffend, daß der nationalrussische Beamte und
Offizier eineni Kriege gegen Deutschland sympathisch gegenüberstand, hatte er doch
dadurch Aussichten, die lästigen deutschen Konkurrenten in seiner Laufbahn in
noch stärkerem Maße los zu werden, wie es bereits geschehen war.


ä) Zwei weitere Hilfsgründe

Es bleiben, der Vollständigkeit halber, noch zwei wichtige Hilfsgründe zu
erwähnen, die mit dem Deutschtum nichts mehr zu tun haben.


Warum bekämpft uns Rußland?

leitenden Stellungen, immer heftiger wird der Kampf gegen alles, was nicht russisch
ist. Dieser letzte Satz muß ganz besonders betont werden, also nicht nur
Lutheraner, sondern alle Nichtrussen wurden möglichst von Staatsämtern aus¬
geschlossen oder zum mindesten den Russen gegenüber benachteiligt. Rußland
hat damit eine schlechte Politik getrieben, denn, abgesehen von dem Haß, der
dadurch unter allen Fremdvölkern gesät wurde, schwächte es sein eigenes Volk.
Dieses, nur etwa fünfzig Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachend —
genaue Zahlen darüber gibt es nicht, die russische amtliche Statistik ist falsch —
sollte nun womöglich den Beamten- und Offizierapparat für das ganze Reich
liefern. Dadurch wurde der Gutsbesitzerstand landflüchtig und befindet sich als
solcher in trostlosen Zustande; auch aus den anderen Ständen fand jeder Russe
ein warmes Pöstchen an der Krippe des Staates, welches ihn schlecht und
recht ernährte. Dadurch wurde das russische Volk faul und immer weniger
fähig, den Kampf mit den anderen Völkern Rußlands auf wirtschaftlichem
Gebiete zu führen, die ihrerseits, gerade durch den Druck, immer stärker wurden.
Wir sehen heute den rein russischen Handel und die Industrie in Rußland
immer mehr zurückgedrängt durch andere Völker: Deutsche, Polen, Juden,
Engländer, Franzosen, Belgier usw. Die Folge davon ist dann wieder ein
Haß, der zwar gegen alle Nichtrussen gerichtet ist, von der Regierung und den
herrschenden Strömungen aber immer dahin dirigiert wird, wo er ihnen gerade
wünschenswert erscheint; jetzt ist es das Deutschtum, welches seine Zielscheibe
bildet. Verfasser ist der Meinung, daß die ganze Wut gegen das Deutschtum
in Rußland künstlich entfacht und vergrößert wurde, unter geschickter Benutzung
der wirklich vorhandenen Angriffshebel, um eben die öffentliche Meinung auf
den kommende« Krieg mit Deutschland um die Meerengen vorzubereiten.
Das russische Volk hätte ebensogut zu einem tiefen Freundschaftsgefühl geleitet
werden können, wenn es seine Machthaber gewollt hätten. Im Grunde ist sein
Gefühl den Deutschen gegenüber kein feindliches, im Gegenteil, freundschaftlicher
wie zu den andern Fremdvölkern und Ausländern. Zahllose Mischehen zwischen
Deutschen und Russen beweisen dies, jeder, der lange in Rußland gelebt hat,
fühlte es; die Russen waren uns ebensowenig feindlich gesinnt wie wir ihnen.
Nur in der allerletzten Zeit vor dem Kriege ging die Verhetzung so weit, daß
sie anfing, auch im privaten Leben fühlbar zu werden.

Trotzdem muß auch dieser Grund als Hilfsgrund zum Kriege anerkannt
werden. Es ist durchaus zutreffend, daß der nationalrussische Beamte und
Offizier eineni Kriege gegen Deutschland sympathisch gegenüberstand, hatte er doch
dadurch Aussichten, die lästigen deutschen Konkurrenten in seiner Laufbahn in
noch stärkerem Maße los zu werden, wie es bereits geschehen war.


ä) Zwei weitere Hilfsgründe

Es bleiben, der Vollständigkeit halber, noch zwei wichtige Hilfsgründe zu
erwähnen, die mit dem Deutschtum nichts mehr zu tun haben.


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[0278] Warum bekämpft uns Rußland? leitenden Stellungen, immer heftiger wird der Kampf gegen alles, was nicht russisch ist. Dieser letzte Satz muß ganz besonders betont werden, also nicht nur Lutheraner, sondern alle Nichtrussen wurden möglichst von Staatsämtern aus¬ geschlossen oder zum mindesten den Russen gegenüber benachteiligt. Rußland hat damit eine schlechte Politik getrieben, denn, abgesehen von dem Haß, der dadurch unter allen Fremdvölkern gesät wurde, schwächte es sein eigenes Volk. Dieses, nur etwa fünfzig Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachend — genaue Zahlen darüber gibt es nicht, die russische amtliche Statistik ist falsch — sollte nun womöglich den Beamten- und Offizierapparat für das ganze Reich liefern. Dadurch wurde der Gutsbesitzerstand landflüchtig und befindet sich als solcher in trostlosen Zustande; auch aus den anderen Ständen fand jeder Russe ein warmes Pöstchen an der Krippe des Staates, welches ihn schlecht und recht ernährte. Dadurch wurde das russische Volk faul und immer weniger fähig, den Kampf mit den anderen Völkern Rußlands auf wirtschaftlichem Gebiete zu führen, die ihrerseits, gerade durch den Druck, immer stärker wurden. Wir sehen heute den rein russischen Handel und die Industrie in Rußland immer mehr zurückgedrängt durch andere Völker: Deutsche, Polen, Juden, Engländer, Franzosen, Belgier usw. Die Folge davon ist dann wieder ein Haß, der zwar gegen alle Nichtrussen gerichtet ist, von der Regierung und den herrschenden Strömungen aber immer dahin dirigiert wird, wo er ihnen gerade wünschenswert erscheint; jetzt ist es das Deutschtum, welches seine Zielscheibe bildet. Verfasser ist der Meinung, daß die ganze Wut gegen das Deutschtum in Rußland künstlich entfacht und vergrößert wurde, unter geschickter Benutzung der wirklich vorhandenen Angriffshebel, um eben die öffentliche Meinung auf den kommende« Krieg mit Deutschland um die Meerengen vorzubereiten. Das russische Volk hätte ebensogut zu einem tiefen Freundschaftsgefühl geleitet werden können, wenn es seine Machthaber gewollt hätten. Im Grunde ist sein Gefühl den Deutschen gegenüber kein feindliches, im Gegenteil, freundschaftlicher wie zu den andern Fremdvölkern und Ausländern. Zahllose Mischehen zwischen Deutschen und Russen beweisen dies, jeder, der lange in Rußland gelebt hat, fühlte es; die Russen waren uns ebensowenig feindlich gesinnt wie wir ihnen. Nur in der allerletzten Zeit vor dem Kriege ging die Verhetzung so weit, daß sie anfing, auch im privaten Leben fühlbar zu werden. Trotzdem muß auch dieser Grund als Hilfsgrund zum Kriege anerkannt werden. Es ist durchaus zutreffend, daß der nationalrussische Beamte und Offizier eineni Kriege gegen Deutschland sympathisch gegenüberstand, hatte er doch dadurch Aussichten, die lästigen deutschen Konkurrenten in seiner Laufbahn in noch stärkerem Maße los zu werden, wie es bereits geschehen war. ä) Zwei weitere Hilfsgründe Es bleiben, der Vollständigkeit halber, noch zwei wichtige Hilfsgründe zu erwähnen, die mit dem Deutschtum nichts mehr zu tun haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/278>, abgerufen am 18.05.2024.