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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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durch einen stegreichen Einzug in Berlin und Wien vergessen zu machen. Auch
von diesem Grunde wurde nicht viel gesprochen, eine Rolle aber hat er ent¬
schieden gespielt, welche, werden spätere Zeiten einmal klar erkennen lassen.


Gedanken über die Zukunft

Es darf wohl gesagt werden, daß den meisten Deutschen ein Krieg mit
Rußland nicht recht nach dem Herzen war. Auch in Rußland gab es immer
Kreise, welche das ganze gegen Deutschland und die Deutschen gerichtete
politische Programm mißbilligten. Auf beiden Seiten konnte man eben nicht
ohne weiteres vergessen, daß man anderthalb Jahrhunderte in einer Freundschaft
gelebt hatte, die keinem der Freunde Schaden gebracht hatte. Wie es heute in
Nußland in dieser Hinsicht aussieht, kann man nicht wissen; in Deutschland aber
gibt es noch immer viele Kreise, die hoffen und wünschen, daß das alte Ver¬
hältnis mit dem Zarenreiche wiederhergestellt werden möge: sie kommen von den
bewährten Überlieferungen nicht los. Unwillkürlich erscheint ihnen das verehrte Bild
des alten Kaisers und seines Freundes Alexanders des Zweiten. Der herzliche Verkehr
dieser Herrscher brachte viele freundliche, lichte Züge auch in deren Umgebung,
sie leuchten noch heute als Erinnerung wie milder Sternenglanz über den
blutigen Schlachtfeldern Rußlands. Es entspricht ganz dem zähen Empfinden des
Deutschen, daß er das alles nicht ohne weiteres als lästigen Kram über Bord werfen
kann; selbst in dem Depeschenwechsel kurz vor Ausbruch des Krieges finden wir
Töne wieder, die aus diesem Empfinden heraus geboren sind. Aber betrachten
wir einmal die Verhältnisse unter der Annahme, daß der wahre Kriegsgrund
im vorliegenden richtig erkannt ist und fragen wir uns, ob unter solchen
Umständen eine Möglichkeit besteht, das alte Verhältnis wiederherzustellen.

Man kann wohl heute mit einiger Bestimmtheit annehmen, daß Rußland
den Zweck seines Krieges nicht erreichen wird, im Gegenteil, die Meerengen
werden fester in den Besitz der Türken kommen, als sie es je waren. Damit
bleibt der eigentliche Kriegsgrund bestehen, er wird sogar stetig gewichtiger
werden mit dem steigenden Handel Rußlands. Es kann sich daher nur um
eine Frage der Zeit handeln, genau wie nach dem japanischen Kriege, und
wieder werden wir Rußland in dem politischen Schachspiel als starke Figur auf
der uns feindlichen Seite wiederfinden. Dies ist um so wahrscheinlicher, als das
gedemütigte Rußland nach Revanche dürsten wird. Wir werden nunmehr außer
dem westlichen auch einen östlichen Nachbar haben, der Rache gegen uns brütet.
Auch das Herrscherhaus würde daran nichts ändern können, selbst wenn es wollte;
man möge sich vollkommen klar darüber sein, daß ein verlorener Krieg Nußland
seine innere, politische Freiheit bringen wird, es können dabei Umwälzungen
stattfinden, die sich heute noch gar nicht übersehen lassen, jedenfalls aber
dürfte es mit der zarischen Selbstherrlichkeit endgültig vorüber sein.
Erst dann wird Rußland ein wirklich gefährlicher Gegner sein, vorausgesetzt,
daß es ungefähr in seiner jetzigen Ausdehnung aus dem bevorstehenden Zu-


durch einen stegreichen Einzug in Berlin und Wien vergessen zu machen. Auch
von diesem Grunde wurde nicht viel gesprochen, eine Rolle aber hat er ent¬
schieden gespielt, welche, werden spätere Zeiten einmal klar erkennen lassen.


Gedanken über die Zukunft

Es darf wohl gesagt werden, daß den meisten Deutschen ein Krieg mit
Rußland nicht recht nach dem Herzen war. Auch in Rußland gab es immer
Kreise, welche das ganze gegen Deutschland und die Deutschen gerichtete
politische Programm mißbilligten. Auf beiden Seiten konnte man eben nicht
ohne weiteres vergessen, daß man anderthalb Jahrhunderte in einer Freundschaft
gelebt hatte, die keinem der Freunde Schaden gebracht hatte. Wie es heute in
Nußland in dieser Hinsicht aussieht, kann man nicht wissen; in Deutschland aber
gibt es noch immer viele Kreise, die hoffen und wünschen, daß das alte Ver¬
hältnis mit dem Zarenreiche wiederhergestellt werden möge: sie kommen von den
bewährten Überlieferungen nicht los. Unwillkürlich erscheint ihnen das verehrte Bild
des alten Kaisers und seines Freundes Alexanders des Zweiten. Der herzliche Verkehr
dieser Herrscher brachte viele freundliche, lichte Züge auch in deren Umgebung,
sie leuchten noch heute als Erinnerung wie milder Sternenglanz über den
blutigen Schlachtfeldern Rußlands. Es entspricht ganz dem zähen Empfinden des
Deutschen, daß er das alles nicht ohne weiteres als lästigen Kram über Bord werfen
kann; selbst in dem Depeschenwechsel kurz vor Ausbruch des Krieges finden wir
Töne wieder, die aus diesem Empfinden heraus geboren sind. Aber betrachten
wir einmal die Verhältnisse unter der Annahme, daß der wahre Kriegsgrund
im vorliegenden richtig erkannt ist und fragen wir uns, ob unter solchen
Umständen eine Möglichkeit besteht, das alte Verhältnis wiederherzustellen.

Man kann wohl heute mit einiger Bestimmtheit annehmen, daß Rußland
den Zweck seines Krieges nicht erreichen wird, im Gegenteil, die Meerengen
werden fester in den Besitz der Türken kommen, als sie es je waren. Damit
bleibt der eigentliche Kriegsgrund bestehen, er wird sogar stetig gewichtiger
werden mit dem steigenden Handel Rußlands. Es kann sich daher nur um
eine Frage der Zeit handeln, genau wie nach dem japanischen Kriege, und
wieder werden wir Rußland in dem politischen Schachspiel als starke Figur auf
der uns feindlichen Seite wiederfinden. Dies ist um so wahrscheinlicher, als das
gedemütigte Rußland nach Revanche dürsten wird. Wir werden nunmehr außer
dem westlichen auch einen östlichen Nachbar haben, der Rache gegen uns brütet.
Auch das Herrscherhaus würde daran nichts ändern können, selbst wenn es wollte;
man möge sich vollkommen klar darüber sein, daß ein verlorener Krieg Nußland
seine innere, politische Freiheit bringen wird, es können dabei Umwälzungen
stattfinden, die sich heute noch gar nicht übersehen lassen, jedenfalls aber
dürfte es mit der zarischen Selbstherrlichkeit endgültig vorüber sein.
Erst dann wird Rußland ein wirklich gefährlicher Gegner sein, vorausgesetzt,
daß es ungefähr in seiner jetzigen Ausdehnung aus dem bevorstehenden Zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/280>, abgerufen am 19.05.2024.