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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Dichterheld von Przemysl

verlangt ja nicht elende Gleichheit der Arbeitsbewertung natürlich unterschiedener
Volksglieder.

Der Harmoniesucher Lloyd Georges mag in Wahrheit die dümmste Dis¬
harmonie von Englands Arbeitstrieben erzielen. Seiner Oberflächlichkeit wäre
dieser Ausgang zu gönnen: Lloyd Georges sucht ja nur das Dasein der kleinen
Leute zu verbessern, sie zum besseren Leben mechanisch zu zwingen, ohne diesen
kleinen Leuten die organische Verbesserungsnotwendigkeit ihrer Existenzen, die
Stärkung der nationalen Arbeitsproduktion, im geringsten folgerichtig, einheitlich
zu vermitteln. Diesen letzten Harmonieversuch hat dagegen der beste britische
Imperialismus der wirtschaftlichen, altbritischen Vereinigung tiefgründiger versucht.
Aber jenseits solcher organischer Besserungsversuche herrscht nun "das Programm
des Lloyd Georges".




Der Vichterheld von przemysl
Sigmar Mehrina, von

MWn den schrecklichen Kämpfen des Weltkrieges war der galizischen
Festung Przemysl eine besonders harte Leidenszeit beschieden. Sie
wurde bekanntlich zweimal im Winter 1914/15 von den Russen
belagert und fiel dann durch Aushungerung in die Hände des
Feindes. Die Besatzung der Festung bestand zum größten Teil
aus Ungarn. Während der Belagerung in den rauhen, trüben Wintertagen
hatten sie die schwierigste Soldatentugend auszuüben: Geduld I Das rasche
Draufgängertum, der Wagemut einer heißen Kampflust, Eigenschaften, die im
Blute der Ungarn liegen und die im Weltkrieg oft genug zu glänzender Ent¬
faltung gelangten, mußten gerade hier unterdrückt werden, denn die Besatzung
von Przemysl war viel zu klein, um gegen die ungeheuere Übermacht der sie
umringenden Russen anzukämpfen. Man mußte auf Entsatz warten. Kam er?
Konnte er kommen? Wann? Wie lange noch war auszuharren? Diese Fragen be¬
wegten Tag und Nacht viele, viele Monate hindurch die Gemüter der eingeschlossenen
Truppe. Es gehörte ein unvergleichlich höherer Mut dazu, solcher Erregung stand¬
zuhalten, als ohne Besinnen dem Feinde in offener Schlacht entgegenzutreten.

Der Kommandant der Festung und seine Offiziere mögen keine leichte
Arbeit gehabt haben, die Soldaten, noch dazu diese feurigen Ungarn, Woche
um Woche, Tag um Tag zu beschwichtigen, ihre zerrinnenden Hoffnungen wieder
aufzufrischen und die Helden des todverachtenden Sturmangriffs in Helden einer
toddrohenden Entsagung umzuwandeln.

Da erstand aus der Schar der zur Kampflosigkeit verurteilten Krieger ein
Helfer, ein Tröster und Führer in der Person eines ungarischen Dichters. Er


Der Dichterheld von Przemysl

verlangt ja nicht elende Gleichheit der Arbeitsbewertung natürlich unterschiedener
Volksglieder.

Der Harmoniesucher Lloyd Georges mag in Wahrheit die dümmste Dis¬
harmonie von Englands Arbeitstrieben erzielen. Seiner Oberflächlichkeit wäre
dieser Ausgang zu gönnen: Lloyd Georges sucht ja nur das Dasein der kleinen
Leute zu verbessern, sie zum besseren Leben mechanisch zu zwingen, ohne diesen
kleinen Leuten die organische Verbesserungsnotwendigkeit ihrer Existenzen, die
Stärkung der nationalen Arbeitsproduktion, im geringsten folgerichtig, einheitlich
zu vermitteln. Diesen letzten Harmonieversuch hat dagegen der beste britische
Imperialismus der wirtschaftlichen, altbritischen Vereinigung tiefgründiger versucht.
Aber jenseits solcher organischer Besserungsversuche herrscht nun „das Programm
des Lloyd Georges".




Der Vichterheld von przemysl
Sigmar Mehrina, von

MWn den schrecklichen Kämpfen des Weltkrieges war der galizischen
Festung Przemysl eine besonders harte Leidenszeit beschieden. Sie
wurde bekanntlich zweimal im Winter 1914/15 von den Russen
belagert und fiel dann durch Aushungerung in die Hände des
Feindes. Die Besatzung der Festung bestand zum größten Teil
aus Ungarn. Während der Belagerung in den rauhen, trüben Wintertagen
hatten sie die schwierigste Soldatentugend auszuüben: Geduld I Das rasche
Draufgängertum, der Wagemut einer heißen Kampflust, Eigenschaften, die im
Blute der Ungarn liegen und die im Weltkrieg oft genug zu glänzender Ent¬
faltung gelangten, mußten gerade hier unterdrückt werden, denn die Besatzung
von Przemysl war viel zu klein, um gegen die ungeheuere Übermacht der sie
umringenden Russen anzukämpfen. Man mußte auf Entsatz warten. Kam er?
Konnte er kommen? Wann? Wie lange noch war auszuharren? Diese Fragen be¬
wegten Tag und Nacht viele, viele Monate hindurch die Gemüter der eingeschlossenen
Truppe. Es gehörte ein unvergleichlich höherer Mut dazu, solcher Erregung stand¬
zuhalten, als ohne Besinnen dem Feinde in offener Schlacht entgegenzutreten.

Der Kommandant der Festung und seine Offiziere mögen keine leichte
Arbeit gehabt haben, die Soldaten, noch dazu diese feurigen Ungarn, Woche
um Woche, Tag um Tag zu beschwichtigen, ihre zerrinnenden Hoffnungen wieder
aufzufrischen und die Helden des todverachtenden Sturmangriffs in Helden einer
toddrohenden Entsagung umzuwandeln.

Da erstand aus der Schar der zur Kampflosigkeit verurteilten Krieger ein
Helfer, ein Tröster und Führer in der Person eines ungarischen Dichters. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/288>, abgerufen am 19.05.2024.