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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Künstlerische Probleme des Krieges

erklärte, vor Deutschland und der Türkei die Augen zu verschließen, konnte es
nicht sein Bewenden haben. Nachdem die Diplomaten einmal die Geschicke
ihres Landes mit denen der Entente verkuppelt hatten, mußten sie darauf
gefaßt sein, daß diese Italien nicht nur für feinen heiligen Krieg die Wege
ebnen, sondern es dahin beordern würde, wo die Gesamtlage es gerade
erforderte. England wollte sein letztes Netz auswerfen, um die noch unschlüssiger
Balkanneutralen zu sich herüberzuziehen. Eins aber wird Italien wohl bald
zu spüren bekommen, daß sich seine innere Lage nach der Kriegserklärung an
die Türkei außerordentlich verschärfen wird. Viele von denen, die für den
Kampf gegen Österreich mit Rücksicht auf alte eingewurzelte Gefühle und ideale
Losungen zu gewinnen waren, werden der Diplomatie -- denn das was jetzt
betrieben wird, ist Kabinettspolitik -- keine Gefolgschaft mehr leisten wollen.
An Zeichen der Gärung fehlt es, wie vorher gezeigt wurde, nicht. Italien hat
sich durch sein Zerwürfnis mit der Türkei noch enger an das Schicksal der
Entente gekettet; aber die Entente hat sich auch mit einem Element belastet,
daß in seinem Kern einen solchen Explosivstoff birgt, daß er eine heute noch
nicht absehbare Katastrophe herbeiführen kann.




Künstlerische Probleme des Krieges
Dr. Roland Schacht von

uf fast allen Gebieten des öffentlichen Lebens ist der Ausbruch
des seit Jahren drohenden Weltkrieges, nachdem das Gefühl des
ersten Schreckens überwunden war, als eine wohltätige Ent¬
spannung, als Befreiung von einem Alpdruck, ja als Belebung
stagnierender Zustände empfunden worden, nicht zum wenigsten
auf einem Kulturkomplex, dessen Pflege vorzüglich ein Werk des Friedens zu
sein scheint: auf dem der Kunst. Jedermann hatte vor dem Kriege das Empfinden,
daß unser künstlerisches Leben einem Auflösungsprozeß nahe war, und jeder, dem
die Kunst ernstlich am Herzen lag, hoffte auf Besserung.

Freilich erhoben sich auch sogleich Skeptiker, die, auf die geringen künst¬
lerischen Erträgnisse des 1370er Krieges weisend, eine Regeneration der Kunst
in Frage stellten. Und schon haben sich üble Folgeerscheinungen eingestellt:
leere Rhetorik, Schwulst, Überspanntheit und Effekthascherei machen sich in
Gedichten breit, üppig emporschießendes Dilettantentum erhebt lauter als sonst
den Anspruch, daß treffliche Gesinnung, guter Wille und warme Nachempfindung


Künstlerische Probleme des Krieges

erklärte, vor Deutschland und der Türkei die Augen zu verschließen, konnte es
nicht sein Bewenden haben. Nachdem die Diplomaten einmal die Geschicke
ihres Landes mit denen der Entente verkuppelt hatten, mußten sie darauf
gefaßt sein, daß diese Italien nicht nur für feinen heiligen Krieg die Wege
ebnen, sondern es dahin beordern würde, wo die Gesamtlage es gerade
erforderte. England wollte sein letztes Netz auswerfen, um die noch unschlüssiger
Balkanneutralen zu sich herüberzuziehen. Eins aber wird Italien wohl bald
zu spüren bekommen, daß sich seine innere Lage nach der Kriegserklärung an
die Türkei außerordentlich verschärfen wird. Viele von denen, die für den
Kampf gegen Österreich mit Rücksicht auf alte eingewurzelte Gefühle und ideale
Losungen zu gewinnen waren, werden der Diplomatie — denn das was jetzt
betrieben wird, ist Kabinettspolitik — keine Gefolgschaft mehr leisten wollen.
An Zeichen der Gärung fehlt es, wie vorher gezeigt wurde, nicht. Italien hat
sich durch sein Zerwürfnis mit der Türkei noch enger an das Schicksal der
Entente gekettet; aber die Entente hat sich auch mit einem Element belastet,
daß in seinem Kern einen solchen Explosivstoff birgt, daß er eine heute noch
nicht absehbare Katastrophe herbeiführen kann.




Künstlerische Probleme des Krieges
Dr. Roland Schacht von

uf fast allen Gebieten des öffentlichen Lebens ist der Ausbruch
des seit Jahren drohenden Weltkrieges, nachdem das Gefühl des
ersten Schreckens überwunden war, als eine wohltätige Ent¬
spannung, als Befreiung von einem Alpdruck, ja als Belebung
stagnierender Zustände empfunden worden, nicht zum wenigsten
auf einem Kulturkomplex, dessen Pflege vorzüglich ein Werk des Friedens zu
sein scheint: auf dem der Kunst. Jedermann hatte vor dem Kriege das Empfinden,
daß unser künstlerisches Leben einem Auflösungsprozeß nahe war, und jeder, dem
die Kunst ernstlich am Herzen lag, hoffte auf Besserung.

Freilich erhoben sich auch sogleich Skeptiker, die, auf die geringen künst¬
lerischen Erträgnisse des 1370er Krieges weisend, eine Regeneration der Kunst
in Frage stellten. Und schon haben sich üble Folgeerscheinungen eingestellt:
leere Rhetorik, Schwulst, Überspanntheit und Effekthascherei machen sich in
Gedichten breit, üppig emporschießendes Dilettantentum erhebt lauter als sonst
den Anspruch, daß treffliche Gesinnung, guter Wille und warme Nachempfindung


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[0324] Künstlerische Probleme des Krieges erklärte, vor Deutschland und der Türkei die Augen zu verschließen, konnte es nicht sein Bewenden haben. Nachdem die Diplomaten einmal die Geschicke ihres Landes mit denen der Entente verkuppelt hatten, mußten sie darauf gefaßt sein, daß diese Italien nicht nur für feinen heiligen Krieg die Wege ebnen, sondern es dahin beordern würde, wo die Gesamtlage es gerade erforderte. England wollte sein letztes Netz auswerfen, um die noch unschlüssiger Balkanneutralen zu sich herüberzuziehen. Eins aber wird Italien wohl bald zu spüren bekommen, daß sich seine innere Lage nach der Kriegserklärung an die Türkei außerordentlich verschärfen wird. Viele von denen, die für den Kampf gegen Österreich mit Rücksicht auf alte eingewurzelte Gefühle und ideale Losungen zu gewinnen waren, werden der Diplomatie — denn das was jetzt betrieben wird, ist Kabinettspolitik — keine Gefolgschaft mehr leisten wollen. An Zeichen der Gärung fehlt es, wie vorher gezeigt wurde, nicht. Italien hat sich durch sein Zerwürfnis mit der Türkei noch enger an das Schicksal der Entente gekettet; aber die Entente hat sich auch mit einem Element belastet, daß in seinem Kern einen solchen Explosivstoff birgt, daß er eine heute noch nicht absehbare Katastrophe herbeiführen kann. Künstlerische Probleme des Krieges Dr. Roland Schacht von uf fast allen Gebieten des öffentlichen Lebens ist der Ausbruch des seit Jahren drohenden Weltkrieges, nachdem das Gefühl des ersten Schreckens überwunden war, als eine wohltätige Ent¬ spannung, als Befreiung von einem Alpdruck, ja als Belebung stagnierender Zustände empfunden worden, nicht zum wenigsten auf einem Kulturkomplex, dessen Pflege vorzüglich ein Werk des Friedens zu sein scheint: auf dem der Kunst. Jedermann hatte vor dem Kriege das Empfinden, daß unser künstlerisches Leben einem Auflösungsprozeß nahe war, und jeder, dem die Kunst ernstlich am Herzen lag, hoffte auf Besserung. Freilich erhoben sich auch sogleich Skeptiker, die, auf die geringen künst¬ lerischen Erträgnisse des 1370er Krieges weisend, eine Regeneration der Kunst in Frage stellten. Und schon haben sich üble Folgeerscheinungen eingestellt: leere Rhetorik, Schwulst, Überspanntheit und Effekthascherei machen sich in Gedichten breit, üppig emporschießendes Dilettantentum erhebt lauter als sonst den Anspruch, daß treffliche Gesinnung, guter Wille und warme Nachempfindung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/324>, abgerufen am 18.05.2024.