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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Kriegstagebuch

gehend erweitert, die spanische sie sogar letzten Endes verkürzt. Nachdem aber
Frankreich Bresche in Deutschlands alten linksrheinischen Besitz gelegt hatte, da
dauerte es nicht viel über zwei Jahrhunderte, bis es (1795) ihm diesen ganz
entrissen hatte, einschließlich Belgiens, das ihm nach Aussterben der spanischen
Habsburger 1714 wieder zugefallen war. Während also Belgien bis zur Scheide
uraltes deutsches Reichsgebiet war, hat der westlich davon gelegene Teil nur
vorübergehend dazu gehört. Hierzu steht in überraschender Parallele, daß jenes,
wiewohl es bei weitem der größere Teil ist, unsere Truppen in diesem Kriege
sehr bald eroberten, während die Gewinnung dieses ihnen ungeheuere Schwierig¬
keiten verursacht. Dies beweist, daß die Schelde sich vorzüglich als Grenzfluß
eignet.

Der große Feldherr und Diplomat Napoleon der Erste griff 1810 über
den Rhein hinüber und brachte ganz Deutschland unter seine Oberherrschaft.

Nun hat ja 1814, 1815 und 1871 sich unsere jetzige Westgrenze der
mittelalterlichen jedesmal wieder ein Stück genähert und ist ihr auch an Stärke
ähnlicher geworden, doch in keiner Beziehung vollständig gleich. Gerade der
jetzige Krieg hat gezeigt, daß weder das Oberelsaß, wie schon erwähnt wurde, noch
die Rheinprovinz ebenso sicher wie früher geschützt sind, da im Gegensatz zur
Schweiz Belgien seiner Lage wegen einen französisch-englischen Durchmarsch aus
eigener Kraft gar nicht verhindern könnte selbst beim besten Willen, der aber
solange fehlen wird, als hier Wallonen etwas zu sagen haben.

Demnach beruhte die Bedeutung der mittelalterlichen Reichsgrenzen haupt¬
sächlich darin, daß sie den Westen und Nordosten besser schützten als jetzt,
während der Norden früher weniger gesichert war als gegenwärtig, da die
skandinavische Gefahr wenn nicht beseitigt, 'so doch sehr verringert ist. Der
Süden ist solange hinreichend geschützt, als Deutschland mit Österreich in einem
festen Bundesverhältnis bleibt, was zu hoffen wir ja mehr denn je berechtigt
sind. Deutschfreundliche Gesinnung ist unter Umständen für das Deutsche Reich
ein besserer Schutz als die Zugehörigkeit zu ihm.




Kriegstagebuch
27. August ISIS. Zum Generalgouvemeur von Russisch-Polen
wird General v. Beseler ernannt; der Sitz der Zivilverwaltung für Polen
wird von Kalisch nach Warschau verlegt.
27. August 1916. Nordöstlich von Bausk und Schönverg Wer
2000 Russen gefangen, 2 Geschütze, 9 Maschinengewehre erbeutet; die Stadt
Narew besetzt. -- Die russischen Stellungen an der Zlota-Lipa nördlich und
südlich von Brzezcmy durchbrochen, 10000 Gefangene.
28. August 1915. Armee v. Hindenburg erreicht die Linie
Dombrvwo--Grodek--Narewkaabschnitt, Armee v. Mackensen die Linie

Kriegstagebuch

gehend erweitert, die spanische sie sogar letzten Endes verkürzt. Nachdem aber
Frankreich Bresche in Deutschlands alten linksrheinischen Besitz gelegt hatte, da
dauerte es nicht viel über zwei Jahrhunderte, bis es (1795) ihm diesen ganz
entrissen hatte, einschließlich Belgiens, das ihm nach Aussterben der spanischen
Habsburger 1714 wieder zugefallen war. Während also Belgien bis zur Scheide
uraltes deutsches Reichsgebiet war, hat der westlich davon gelegene Teil nur
vorübergehend dazu gehört. Hierzu steht in überraschender Parallele, daß jenes,
wiewohl es bei weitem der größere Teil ist, unsere Truppen in diesem Kriege
sehr bald eroberten, während die Gewinnung dieses ihnen ungeheuere Schwierig¬
keiten verursacht. Dies beweist, daß die Schelde sich vorzüglich als Grenzfluß
eignet.

Der große Feldherr und Diplomat Napoleon der Erste griff 1810 über
den Rhein hinüber und brachte ganz Deutschland unter seine Oberherrschaft.

Nun hat ja 1814, 1815 und 1871 sich unsere jetzige Westgrenze der
mittelalterlichen jedesmal wieder ein Stück genähert und ist ihr auch an Stärke
ähnlicher geworden, doch in keiner Beziehung vollständig gleich. Gerade der
jetzige Krieg hat gezeigt, daß weder das Oberelsaß, wie schon erwähnt wurde, noch
die Rheinprovinz ebenso sicher wie früher geschützt sind, da im Gegensatz zur
Schweiz Belgien seiner Lage wegen einen französisch-englischen Durchmarsch aus
eigener Kraft gar nicht verhindern könnte selbst beim besten Willen, der aber
solange fehlen wird, als hier Wallonen etwas zu sagen haben.

Demnach beruhte die Bedeutung der mittelalterlichen Reichsgrenzen haupt¬
sächlich darin, daß sie den Westen und Nordosten besser schützten als jetzt,
während der Norden früher weniger gesichert war als gegenwärtig, da die
skandinavische Gefahr wenn nicht beseitigt, 'so doch sehr verringert ist. Der
Süden ist solange hinreichend geschützt, als Deutschland mit Österreich in einem
festen Bundesverhältnis bleibt, was zu hoffen wir ja mehr denn je berechtigt
sind. Deutschfreundliche Gesinnung ist unter Umständen für das Deutsche Reich
ein besserer Schutz als die Zugehörigkeit zu ihm.




Kriegstagebuch
27. August ISIS. Zum Generalgouvemeur von Russisch-Polen
wird General v. Beseler ernannt; der Sitz der Zivilverwaltung für Polen
wird von Kalisch nach Warschau verlegt.
27. August 1916. Nordöstlich von Bausk und Schönverg Wer
2000 Russen gefangen, 2 Geschütze, 9 Maschinengewehre erbeutet; die Stadt
Narew besetzt. — Die russischen Stellungen an der Zlota-Lipa nördlich und
südlich von Brzezcmy durchbrochen, 10000 Gefangene.
28. August 1915. Armee v. Hindenburg erreicht die Linie
Dombrvwo—Grodek—Narewkaabschnitt, Armee v. Mackensen die Linie

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[0426] Kriegstagebuch gehend erweitert, die spanische sie sogar letzten Endes verkürzt. Nachdem aber Frankreich Bresche in Deutschlands alten linksrheinischen Besitz gelegt hatte, da dauerte es nicht viel über zwei Jahrhunderte, bis es (1795) ihm diesen ganz entrissen hatte, einschließlich Belgiens, das ihm nach Aussterben der spanischen Habsburger 1714 wieder zugefallen war. Während also Belgien bis zur Scheide uraltes deutsches Reichsgebiet war, hat der westlich davon gelegene Teil nur vorübergehend dazu gehört. Hierzu steht in überraschender Parallele, daß jenes, wiewohl es bei weitem der größere Teil ist, unsere Truppen in diesem Kriege sehr bald eroberten, während die Gewinnung dieses ihnen ungeheuere Schwierig¬ keiten verursacht. Dies beweist, daß die Schelde sich vorzüglich als Grenzfluß eignet. Der große Feldherr und Diplomat Napoleon der Erste griff 1810 über den Rhein hinüber und brachte ganz Deutschland unter seine Oberherrschaft. Nun hat ja 1814, 1815 und 1871 sich unsere jetzige Westgrenze der mittelalterlichen jedesmal wieder ein Stück genähert und ist ihr auch an Stärke ähnlicher geworden, doch in keiner Beziehung vollständig gleich. Gerade der jetzige Krieg hat gezeigt, daß weder das Oberelsaß, wie schon erwähnt wurde, noch die Rheinprovinz ebenso sicher wie früher geschützt sind, da im Gegensatz zur Schweiz Belgien seiner Lage wegen einen französisch-englischen Durchmarsch aus eigener Kraft gar nicht verhindern könnte selbst beim besten Willen, der aber solange fehlen wird, als hier Wallonen etwas zu sagen haben. Demnach beruhte die Bedeutung der mittelalterlichen Reichsgrenzen haupt¬ sächlich darin, daß sie den Westen und Nordosten besser schützten als jetzt, während der Norden früher weniger gesichert war als gegenwärtig, da die skandinavische Gefahr wenn nicht beseitigt, 'so doch sehr verringert ist. Der Süden ist solange hinreichend geschützt, als Deutschland mit Österreich in einem festen Bundesverhältnis bleibt, was zu hoffen wir ja mehr denn je berechtigt sind. Deutschfreundliche Gesinnung ist unter Umständen für das Deutsche Reich ein besserer Schutz als die Zugehörigkeit zu ihm. Kriegstagebuch 27. August ISIS. Zum Generalgouvemeur von Russisch-Polen wird General v. Beseler ernannt; der Sitz der Zivilverwaltung für Polen wird von Kalisch nach Warschau verlegt. 27. August 1916. Nordöstlich von Bausk und Schönverg Wer 2000 Russen gefangen, 2 Geschütze, 9 Maschinengewehre erbeutet; die Stadt Narew besetzt. — Die russischen Stellungen an der Zlota-Lipa nördlich und südlich von Brzezcmy durchbrochen, 10000 Gefangene. 28. August 1915. Armee v. Hindenburg erreicht die Linie Dombrvwo—Grodek—Narewkaabschnitt, Armee v. Mackensen die Linie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/426>, abgerufen am 19.05.2024.