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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der neuen Lrnte entgegen!
Professor witrsch ewsky von

le große Schicksalserute des deutschen Volkes ist erst im Heran¬
reifen begriffen. In der Entwicklung der Staaten und Nationen
vollziehen sich die weltgeschichtlichen Wandlungen in langen und
ungleichen Fristen, deren Anfang und Ende kurzsichtigen Menschen¬
auge nicht erkennbar ist. Wer vermag mit dem historischen Zeit¬
messer festzustellen, von welchem Zeitpunkt an das kriegerische Verhängnis des
Jahres 1914 aus unerforschten Untergrunde dräuend sich emporgehoben, und
wer vermag mit dem Seherauze zu erkunden, wann die letzten Stnrmwolken
von des Reiches Herrlichkeit sich verzogen haben werden? Mag man die
tieferen wfachen des gegenwärtigen Weltkrieges mit der Wiedergeburt des
Deutschen Reichs vor vierundvierzig Jahren in Zusammenhang bringen, mag
man hoffend vertrauen, daß mit dem zu erwartenden Frieden wiederum ein
halbes Jahrhundert unangetasteter Sicherheit uns beschieden sein wird, die
unmittelbare blutige Aussaat und die aus ihr erwachsenen Feldzugsfrüchte,
deren volles Einbringen noch aussteht, bilden für uns Gegenwartsmenschen
einen Ring, wie ihn für den Landmann die Verknüpfung von Frühjahrs¬
bestellung und Sommerernte darstellt.

Ehe aber noch der Ring auf den Waffenfeldern geschlossen, werden wir zum
zweitenmal zum Abernten der heimatlichen Fluren schreiten müssen. Im Vorjahr
haben wir noch in voller Ahnungslosigkeit des heraufziehenden Orkans dem
Schoß der Erde die Saat anvertraut, deren Wachstum die hauptsächliche
Grundlage unserer friedlichen Nahrungswirtschaft für die Zeitdauer eines Jahres
abgeben sollte. Inmitten der Erntearbeit wälzten sich die verheerenden Fluten
der feindlichen Angreifer gegen unser Vaterland heran und nötigten uns,
unter erschwerenden Umständen die Bodenfrüchte schleunigst in die Scheuern zu
bringen. Was wir hatten, konnte uns glücklicherweise nicht entrissen werden.
Die Verwüstungen im Osten der Monarchie konnten einen verhältnismäßig nur


Grenzboten III 19t5 3


Der neuen Lrnte entgegen!
Professor witrsch ewsky von

le große Schicksalserute des deutschen Volkes ist erst im Heran¬
reifen begriffen. In der Entwicklung der Staaten und Nationen
vollziehen sich die weltgeschichtlichen Wandlungen in langen und
ungleichen Fristen, deren Anfang und Ende kurzsichtigen Menschen¬
auge nicht erkennbar ist. Wer vermag mit dem historischen Zeit¬
messer festzustellen, von welchem Zeitpunkt an das kriegerische Verhängnis des
Jahres 1914 aus unerforschten Untergrunde dräuend sich emporgehoben, und
wer vermag mit dem Seherauze zu erkunden, wann die letzten Stnrmwolken
von des Reiches Herrlichkeit sich verzogen haben werden? Mag man die
tieferen wfachen des gegenwärtigen Weltkrieges mit der Wiedergeburt des
Deutschen Reichs vor vierundvierzig Jahren in Zusammenhang bringen, mag
man hoffend vertrauen, daß mit dem zu erwartenden Frieden wiederum ein
halbes Jahrhundert unangetasteter Sicherheit uns beschieden sein wird, die
unmittelbare blutige Aussaat und die aus ihr erwachsenen Feldzugsfrüchte,
deren volles Einbringen noch aussteht, bilden für uns Gegenwartsmenschen
einen Ring, wie ihn für den Landmann die Verknüpfung von Frühjahrs¬
bestellung und Sommerernte darstellt.

Ehe aber noch der Ring auf den Waffenfeldern geschlossen, werden wir zum
zweitenmal zum Abernten der heimatlichen Fluren schreiten müssen. Im Vorjahr
haben wir noch in voller Ahnungslosigkeit des heraufziehenden Orkans dem
Schoß der Erde die Saat anvertraut, deren Wachstum die hauptsächliche
Grundlage unserer friedlichen Nahrungswirtschaft für die Zeitdauer eines Jahres
abgeben sollte. Inmitten der Erntearbeit wälzten sich die verheerenden Fluten
der feindlichen Angreifer gegen unser Vaterland heran und nötigten uns,
unter erschwerenden Umständen die Bodenfrüchte schleunigst in die Scheuern zu
bringen. Was wir hatten, konnte uns glücklicherweise nicht entrissen werden.
Die Verwüstungen im Osten der Monarchie konnten einen verhältnismäßig nur


Grenzboten III 19t5 3
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[0045] [Abbildung] Der neuen Lrnte entgegen! Professor witrsch ewsky von le große Schicksalserute des deutschen Volkes ist erst im Heran¬ reifen begriffen. In der Entwicklung der Staaten und Nationen vollziehen sich die weltgeschichtlichen Wandlungen in langen und ungleichen Fristen, deren Anfang und Ende kurzsichtigen Menschen¬ auge nicht erkennbar ist. Wer vermag mit dem historischen Zeit¬ messer festzustellen, von welchem Zeitpunkt an das kriegerische Verhängnis des Jahres 1914 aus unerforschten Untergrunde dräuend sich emporgehoben, und wer vermag mit dem Seherauze zu erkunden, wann die letzten Stnrmwolken von des Reiches Herrlichkeit sich verzogen haben werden? Mag man die tieferen wfachen des gegenwärtigen Weltkrieges mit der Wiedergeburt des Deutschen Reichs vor vierundvierzig Jahren in Zusammenhang bringen, mag man hoffend vertrauen, daß mit dem zu erwartenden Frieden wiederum ein halbes Jahrhundert unangetasteter Sicherheit uns beschieden sein wird, die unmittelbare blutige Aussaat und die aus ihr erwachsenen Feldzugsfrüchte, deren volles Einbringen noch aussteht, bilden für uns Gegenwartsmenschen einen Ring, wie ihn für den Landmann die Verknüpfung von Frühjahrs¬ bestellung und Sommerernte darstellt. Ehe aber noch der Ring auf den Waffenfeldern geschlossen, werden wir zum zweitenmal zum Abernten der heimatlichen Fluren schreiten müssen. Im Vorjahr haben wir noch in voller Ahnungslosigkeit des heraufziehenden Orkans dem Schoß der Erde die Saat anvertraut, deren Wachstum die hauptsächliche Grundlage unserer friedlichen Nahrungswirtschaft für die Zeitdauer eines Jahres abgeben sollte. Inmitten der Erntearbeit wälzten sich die verheerenden Fluten der feindlichen Angreifer gegen unser Vaterland heran und nötigten uns, unter erschwerenden Umständen die Bodenfrüchte schleunigst in die Scheuern zu bringen. Was wir hatten, konnte uns glücklicherweise nicht entrissen werden. Die Verwüstungen im Osten der Monarchie konnten einen verhältnismäßig nur Grenzboten III 19t5 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/45>, abgerufen am 18.05.2024.