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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Vinnenmeerpolitik in den Gzeanen
Dr. Rarl lNehrmann von

le Freiheit der Meere ist ein Programmpunkt der deutschen Politik
geworden; Kaiser und Kanzler haben sie als ein erstrebenswertes
und erreichbares Ziel dieses Krieges hingestellt. Es gab bisher
nur eine Macht, die sie bedrohte. England gefährdete sie durch
den rücksichtslosen Eigennutz, mit dem es seinen Anspruch auf
Vor-, wenn nicht auf Alleinherrschaft durchzusetzen suchte. England hat in diesem
Kriege bewiesen, daß es keine Fessel des Völkerrechtes anerkennt; es beugt sich
nur der Macht der Tatsachen. Soll daher in Zukunft wirklich die Freiheit der
Meere hergestellt werden, so muß ein solcher Tatsachenbestand geschaffen werden,
daß die britische Willkür nicht mehr das Recht der anderen aus freie Seefahrt
anzutasten wagt.

Während Großbritannien auf dem Festlande die Politik des Gleichgewichts
als Mittel für die Friedenserhaltung hinstellte, hat es sich mit Händen und
Füßen gegen den Gedanken einer Gleichgewichtspolitik auf den Weltmeeren
gesträubt. Indem es ihm gelang, auf den Ozeanen seine militärische Über¬
legenheit nicht bloß zu behaupten, sondern auch den anderen Staaten glaubhaft
M machen, schuf es für sich die Grundlage einer Vorzugsstellung, von der aus
es das angebliche Kräftegleichgewicht auf dem Festlande zur Phrase und sich
Zum Herren der Geschicke Europas machen konnte. Soll es eine wirkliche
Gleichgewichtspolitik auf dem europäischen Festlande geben, so ist das nur unter
zwei Voraussetzungen möglich: England wird als Insel- und wegen seines
Kolonialbesitzes überwiegend exotischer Staat von der Staatengesellschaft des
Festlandes ausgeschieden, und es wird neben dem Gleichgewicht auf dem Fest¬
land auch ein solches an und aus der See herausgebildet. Der erste Weg
führt nur halb zum Ziel, da er die Seefahrt in britischen Fesseln läßt. In
der zweiten Richtung wirkt einmal die Erhöhung der Flottenstärke der nicht im


Grenzboten IV 1916 11


Vinnenmeerpolitik in den Gzeanen
Dr. Rarl lNehrmann von

le Freiheit der Meere ist ein Programmpunkt der deutschen Politik
geworden; Kaiser und Kanzler haben sie als ein erstrebenswertes
und erreichbares Ziel dieses Krieges hingestellt. Es gab bisher
nur eine Macht, die sie bedrohte. England gefährdete sie durch
den rücksichtslosen Eigennutz, mit dem es seinen Anspruch auf
Vor-, wenn nicht auf Alleinherrschaft durchzusetzen suchte. England hat in diesem
Kriege bewiesen, daß es keine Fessel des Völkerrechtes anerkennt; es beugt sich
nur der Macht der Tatsachen. Soll daher in Zukunft wirklich die Freiheit der
Meere hergestellt werden, so muß ein solcher Tatsachenbestand geschaffen werden,
daß die britische Willkür nicht mehr das Recht der anderen aus freie Seefahrt
anzutasten wagt.

Während Großbritannien auf dem Festlande die Politik des Gleichgewichts
als Mittel für die Friedenserhaltung hinstellte, hat es sich mit Händen und
Füßen gegen den Gedanken einer Gleichgewichtspolitik auf den Weltmeeren
gesträubt. Indem es ihm gelang, auf den Ozeanen seine militärische Über¬
legenheit nicht bloß zu behaupten, sondern auch den anderen Staaten glaubhaft
M machen, schuf es für sich die Grundlage einer Vorzugsstellung, von der aus
es das angebliche Kräftegleichgewicht auf dem Festlande zur Phrase und sich
Zum Herren der Geschicke Europas machen konnte. Soll es eine wirkliche
Gleichgewichtspolitik auf dem europäischen Festlande geben, so ist das nur unter
zwei Voraussetzungen möglich: England wird als Insel- und wegen seines
Kolonialbesitzes überwiegend exotischer Staat von der Staatengesellschaft des
Festlandes ausgeschieden, und es wird neben dem Gleichgewicht auf dem Fest¬
land auch ein solches an und aus der See herausgebildet. Der erste Weg
führt nur halb zum Ziel, da er die Seefahrt in britischen Fesseln läßt. In
der zweiten Richtung wirkt einmal die Erhöhung der Flottenstärke der nicht im


Grenzboten IV 1916 11
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[0173] [Abbildung] Vinnenmeerpolitik in den Gzeanen Dr. Rarl lNehrmann von le Freiheit der Meere ist ein Programmpunkt der deutschen Politik geworden; Kaiser und Kanzler haben sie als ein erstrebenswertes und erreichbares Ziel dieses Krieges hingestellt. Es gab bisher nur eine Macht, die sie bedrohte. England gefährdete sie durch den rücksichtslosen Eigennutz, mit dem es seinen Anspruch auf Vor-, wenn nicht auf Alleinherrschaft durchzusetzen suchte. England hat in diesem Kriege bewiesen, daß es keine Fessel des Völkerrechtes anerkennt; es beugt sich nur der Macht der Tatsachen. Soll daher in Zukunft wirklich die Freiheit der Meere hergestellt werden, so muß ein solcher Tatsachenbestand geschaffen werden, daß die britische Willkür nicht mehr das Recht der anderen aus freie Seefahrt anzutasten wagt. Während Großbritannien auf dem Festlande die Politik des Gleichgewichts als Mittel für die Friedenserhaltung hinstellte, hat es sich mit Händen und Füßen gegen den Gedanken einer Gleichgewichtspolitik auf den Weltmeeren gesträubt. Indem es ihm gelang, auf den Ozeanen seine militärische Über¬ legenheit nicht bloß zu behaupten, sondern auch den anderen Staaten glaubhaft M machen, schuf es für sich die Grundlage einer Vorzugsstellung, von der aus es das angebliche Kräftegleichgewicht auf dem Festlande zur Phrase und sich Zum Herren der Geschicke Europas machen konnte. Soll es eine wirkliche Gleichgewichtspolitik auf dem europäischen Festlande geben, so ist das nur unter zwei Voraussetzungen möglich: England wird als Insel- und wegen seines Kolonialbesitzes überwiegend exotischer Staat von der Staatengesellschaft des Festlandes ausgeschieden, und es wird neben dem Gleichgewicht auf dem Fest¬ land auch ein solches an und aus der See herausgebildet. Der erste Weg führt nur halb zum Ziel, da er die Seefahrt in britischen Fesseln läßt. In der zweiten Richtung wirkt einmal die Erhöhung der Flottenstärke der nicht im Grenzboten IV 1916 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/173>, abgerufen am 04.05.2024.