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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die russischen Finanzen

urzeit liegt das neue russische Budget für 1916 den gesetzgebenden
Körperschaften vor, die ursprünglich Anfang dieses Monats zu
der lange erwarteten Sitzung zusammentreten sollten. Das
Budget soll nach den Absichten Goremykins und Chwostows
möglichst "mit Postpferden durch die Duma gejagt werden",
und man wird versuchen, die Volksvertreter, wenn es überhaupt zur Budget¬
beratung kommt, zu verhindern, dabei sich allzuweit in die allgemeinen Fragen
der staatlichen Politik zu vertiefen. Um sich gegenüber den Kammern möglichst
freie Hand zu bewahren, hat Bark beim Ministerrat beantragt, ihm schon jetzt
auf Grund des Artikels 116 der russischen Grundgesetze und des Artikels 14
der bekannten "Regeln vom 8. März 1906" die Ausführung des Budgets im
ersten Vierteljahr nach dem Voranschlag zu erlauben, da er nicht vorhersehen
könne, ob es möglich sein werde, dem Zaren das Budget rechtzeitig zur Unter¬
schrift vorzulegen. Man hält also die Einberufung der Duma hin, so lange
es geht, macht ihr die Ausübung ihres Budgetrechts unmöglich und bestraft sie
noch obenein für diese Unmöglichkeit. Der Ministerrat hat den Bark'schen
Vorschlag bereits genehmigt. Goremykin ist offenbar seiner Sache sehr sicher.

Die Einbringung des Budgets sällt zusammen mit der Ausgabe der neuen
großen S^prozentigen inneren Milliardenanleihe. Da Zeitungen sowohl wie
Oppositionsparteien sich haben überzeugen lassen, daß eine möglichst große
Reklame durchaus eine politische Notwendigkeit für den Erfolg der Anleihe ist,
so sehen wir auch von ernster russischer Seite wenig Kritik an dem Gesamt¬
stande der russischen Finanzen sich hervorwagen. Wie könnte man auch die
Trommel für die Güte der Anleihe rühren, wenn man zu gleicher Zeit die
Grundlagen, auf denen die Anleihe beruht, erschüttern würde?

Russische Budgets find von jeher nur bis zu einem gewissen Grade zuver¬
lässig gewesen. Dies liegt sowohl an den sehr beschränkten Kontrollrechten der
gesetzgebenden Körperschaften, als auch an der technischen Einrichtung des Etats-


Grenzboten IV 191ö 21


Die russischen Finanzen

urzeit liegt das neue russische Budget für 1916 den gesetzgebenden
Körperschaften vor, die ursprünglich Anfang dieses Monats zu
der lange erwarteten Sitzung zusammentreten sollten. Das
Budget soll nach den Absichten Goremykins und Chwostows
möglichst „mit Postpferden durch die Duma gejagt werden",
und man wird versuchen, die Volksvertreter, wenn es überhaupt zur Budget¬
beratung kommt, zu verhindern, dabei sich allzuweit in die allgemeinen Fragen
der staatlichen Politik zu vertiefen. Um sich gegenüber den Kammern möglichst
freie Hand zu bewahren, hat Bark beim Ministerrat beantragt, ihm schon jetzt
auf Grund des Artikels 116 der russischen Grundgesetze und des Artikels 14
der bekannten „Regeln vom 8. März 1906" die Ausführung des Budgets im
ersten Vierteljahr nach dem Voranschlag zu erlauben, da er nicht vorhersehen
könne, ob es möglich sein werde, dem Zaren das Budget rechtzeitig zur Unter¬
schrift vorzulegen. Man hält also die Einberufung der Duma hin, so lange
es geht, macht ihr die Ausübung ihres Budgetrechts unmöglich und bestraft sie
noch obenein für diese Unmöglichkeit. Der Ministerrat hat den Bark'schen
Vorschlag bereits genehmigt. Goremykin ist offenbar seiner Sache sehr sicher.

Die Einbringung des Budgets sällt zusammen mit der Ausgabe der neuen
großen S^prozentigen inneren Milliardenanleihe. Da Zeitungen sowohl wie
Oppositionsparteien sich haben überzeugen lassen, daß eine möglichst große
Reklame durchaus eine politische Notwendigkeit für den Erfolg der Anleihe ist,
so sehen wir auch von ernster russischer Seite wenig Kritik an dem Gesamt¬
stande der russischen Finanzen sich hervorwagen. Wie könnte man auch die
Trommel für die Güte der Anleihe rühren, wenn man zu gleicher Zeit die
Grundlagen, auf denen die Anleihe beruht, erschüttern würde?

Russische Budgets find von jeher nur bis zu einem gewissen Grade zuver¬
lässig gewesen. Dies liegt sowohl an den sehr beschränkten Kontrollrechten der
gesetzgebenden Körperschaften, als auch an der technischen Einrichtung des Etats-


Grenzboten IV 191ö 21
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[0327] [Abbildung] Die russischen Finanzen urzeit liegt das neue russische Budget für 1916 den gesetzgebenden Körperschaften vor, die ursprünglich Anfang dieses Monats zu der lange erwarteten Sitzung zusammentreten sollten. Das Budget soll nach den Absichten Goremykins und Chwostows möglichst „mit Postpferden durch die Duma gejagt werden", und man wird versuchen, die Volksvertreter, wenn es überhaupt zur Budget¬ beratung kommt, zu verhindern, dabei sich allzuweit in die allgemeinen Fragen der staatlichen Politik zu vertiefen. Um sich gegenüber den Kammern möglichst freie Hand zu bewahren, hat Bark beim Ministerrat beantragt, ihm schon jetzt auf Grund des Artikels 116 der russischen Grundgesetze und des Artikels 14 der bekannten „Regeln vom 8. März 1906" die Ausführung des Budgets im ersten Vierteljahr nach dem Voranschlag zu erlauben, da er nicht vorhersehen könne, ob es möglich sein werde, dem Zaren das Budget rechtzeitig zur Unter¬ schrift vorzulegen. Man hält also die Einberufung der Duma hin, so lange es geht, macht ihr die Ausübung ihres Budgetrechts unmöglich und bestraft sie noch obenein für diese Unmöglichkeit. Der Ministerrat hat den Bark'schen Vorschlag bereits genehmigt. Goremykin ist offenbar seiner Sache sehr sicher. Die Einbringung des Budgets sällt zusammen mit der Ausgabe der neuen großen S^prozentigen inneren Milliardenanleihe. Da Zeitungen sowohl wie Oppositionsparteien sich haben überzeugen lassen, daß eine möglichst große Reklame durchaus eine politische Notwendigkeit für den Erfolg der Anleihe ist, so sehen wir auch von ernster russischer Seite wenig Kritik an dem Gesamt¬ stande der russischen Finanzen sich hervorwagen. Wie könnte man auch die Trommel für die Güte der Anleihe rühren, wenn man zu gleicher Zeit die Grundlagen, auf denen die Anleihe beruht, erschüttern würde? Russische Budgets find von jeher nur bis zu einem gewissen Grade zuver¬ lässig gewesen. Dies liegt sowohl an den sehr beschränkten Kontrollrechten der gesetzgebenden Körperschaften, als auch an der technischen Einrichtung des Etats- Grenzboten IV 191ö 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/327>, abgerufen am 04.05.2024.