Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Einfluß der Airche auf Runst und Schule in Rußland

verhungern. Was die Bitte betrifft, den Türken keine Lebensmittel zu liefern,
so ist das eine solche Unverschämtheit, daß sie keine Antwort verdient.

Baron Siegenthal, darüber am 13. September nach Wien berichtend, teilte
dem Vorsitzenden des Wiener Hofkriegsrath, Grafen Bellegarde auch den Aus-
spruch Kara Gjorgjes mit. daß er seit jeher dem österreichischen und nicht dem
russischen Kaiser ergeben gewesen sei.

Infolge der Antwort Siegenthals traten am 3. Oktober ISIS 10000
Greise, Weiber und Kinder nach Osterreich über. Mit ihnen Kara Gjorgje,
der für seine Anhänglichkeit an Osterreich eine Jahrespension von 600 Gulden
erhielt, um damit in Graz leben zu können.




Der Einfluß der Airche auf Aunst und Schule
in Rußland
Peter Miljukoff von
ü Dr. pkil. Aarl NStzel bersetzt von

ekanntlich verhält sich der gebildete Russe in der Mehrzahl aller
Fälle völlig gleichgültig zu seinem Glauben. Dafür schilt man
ihn sehr häufig und äußerst heftig. Die Schuld aber liegt auch
diesmal, wenn man schon einen Schuldigen suchen muß, nicht
an ihm, vielmehr in der Geschichte. Man sagt uns, der Russe
habe seine Geschichte verraten und sei deshalb gleichgültig geworden. Wir
finden im Gegenteil, daß er in dieser Hinsicht seiner Geschichte völlig treu blieb.

Die russische Kirche war in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens
dem Bestand ihrer Vertreter nach viel zu schwach, als daß sie der russischen
Gesellschaft gegenüber die Aufgabe hätte übernehmen können, welche die west¬
liche Kirche der mittelalterlichen Gesellschaft gegenüber erfüllte: das heißt sie
geistig-sittlich zu erziehen. Die Folge davon war bekantlich die, daß das
russische heidnische Altertum allzu lange unberührt blieb und neben den


Grenzboten IV 191ö 24
Der Einfluß der Airche auf Runst und Schule in Rußland

verhungern. Was die Bitte betrifft, den Türken keine Lebensmittel zu liefern,
so ist das eine solche Unverschämtheit, daß sie keine Antwort verdient.

Baron Siegenthal, darüber am 13. September nach Wien berichtend, teilte
dem Vorsitzenden des Wiener Hofkriegsrath, Grafen Bellegarde auch den Aus-
spruch Kara Gjorgjes mit. daß er seit jeher dem österreichischen und nicht dem
russischen Kaiser ergeben gewesen sei.

Infolge der Antwort Siegenthals traten am 3. Oktober ISIS 10000
Greise, Weiber und Kinder nach Osterreich über. Mit ihnen Kara Gjorgje,
der für seine Anhänglichkeit an Osterreich eine Jahrespension von 600 Gulden
erhielt, um damit in Graz leben zu können.




Der Einfluß der Airche auf Aunst und Schule
in Rußland
Peter Miljukoff von
ü Dr. pkil. Aarl NStzel bersetzt von

ekanntlich verhält sich der gebildete Russe in der Mehrzahl aller
Fälle völlig gleichgültig zu seinem Glauben. Dafür schilt man
ihn sehr häufig und äußerst heftig. Die Schuld aber liegt auch
diesmal, wenn man schon einen Schuldigen suchen muß, nicht
an ihm, vielmehr in der Geschichte. Man sagt uns, der Russe
habe seine Geschichte verraten und sei deshalb gleichgültig geworden. Wir
finden im Gegenteil, daß er in dieser Hinsicht seiner Geschichte völlig treu blieb.

Die russische Kirche war in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens
dem Bestand ihrer Vertreter nach viel zu schwach, als daß sie der russischen
Gesellschaft gegenüber die Aufgabe hätte übernehmen können, welche die west¬
liche Kirche der mittelalterlichen Gesellschaft gegenüber erfüllte: das heißt sie
geistig-sittlich zu erziehen. Die Folge davon war bekantlich die, daß das
russische heidnische Altertum allzu lange unberührt blieb und neben den


Grenzboten IV 191ö 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324788"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Einfluß der Airche auf Runst und Schule in Rußland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1344" prev="#ID_1343"> verhungern. Was die Bitte betrifft, den Türken keine Lebensmittel zu liefern,<lb/>
so ist das eine solche Unverschämtheit, daß sie keine Antwort verdient.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1345"> Baron Siegenthal, darüber am 13. September nach Wien berichtend, teilte<lb/>
dem Vorsitzenden des Wiener Hofkriegsrath, Grafen Bellegarde auch den Aus-<lb/>
spruch Kara Gjorgjes mit. daß er seit jeher dem österreichischen und nicht dem<lb/>
russischen Kaiser ergeben gewesen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1346"> Infolge der Antwort Siegenthals traten am 3. Oktober ISIS 10000<lb/>
Greise, Weiber und Kinder nach Osterreich über. Mit ihnen Kara Gjorgje,<lb/>
der für seine Anhänglichkeit an Osterreich eine Jahrespension von 600 Gulden<lb/>
erhielt, um damit in Graz leben zu können.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Einfluß der Airche auf Aunst und Schule<lb/>
in Rußland<lb/><note type="byline"> Peter Miljukoff</note> von<lb/>
ü<note type="byline"> Dr. pkil. Aarl NStzel</note> bersetzt von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1347"> ekanntlich verhält sich der gebildete Russe in der Mehrzahl aller<lb/>
Fälle völlig gleichgültig zu seinem Glauben. Dafür schilt man<lb/>
ihn sehr häufig und äußerst heftig. Die Schuld aber liegt auch<lb/>
diesmal, wenn man schon einen Schuldigen suchen muß, nicht<lb/>
an ihm, vielmehr in der Geschichte. Man sagt uns, der Russe<lb/>
habe seine Geschichte verraten und sei deshalb gleichgültig geworden. Wir<lb/>
finden im Gegenteil, daß er in dieser Hinsicht seiner Geschichte völlig treu blieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1348" next="#ID_1349"> Die russische Kirche war in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens<lb/>
dem Bestand ihrer Vertreter nach viel zu schwach, als daß sie der russischen<lb/>
Gesellschaft gegenüber die Aufgabe hätte übernehmen können, welche die west¬<lb/>
liche Kirche der mittelalterlichen Gesellschaft gegenüber erfüllte: das heißt sie<lb/>
geistig-sittlich zu erziehen. Die Folge davon war bekantlich die, daß das<lb/>
russische heidnische Altertum allzu lange unberührt blieb und neben den</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 191ö 24</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0375] Der Einfluß der Airche auf Runst und Schule in Rußland verhungern. Was die Bitte betrifft, den Türken keine Lebensmittel zu liefern, so ist das eine solche Unverschämtheit, daß sie keine Antwort verdient. Baron Siegenthal, darüber am 13. September nach Wien berichtend, teilte dem Vorsitzenden des Wiener Hofkriegsrath, Grafen Bellegarde auch den Aus- spruch Kara Gjorgjes mit. daß er seit jeher dem österreichischen und nicht dem russischen Kaiser ergeben gewesen sei. Infolge der Antwort Siegenthals traten am 3. Oktober ISIS 10000 Greise, Weiber und Kinder nach Osterreich über. Mit ihnen Kara Gjorgje, der für seine Anhänglichkeit an Osterreich eine Jahrespension von 600 Gulden erhielt, um damit in Graz leben zu können. Der Einfluß der Airche auf Aunst und Schule in Rußland Peter Miljukoff von ü Dr. pkil. Aarl NStzel bersetzt von ekanntlich verhält sich der gebildete Russe in der Mehrzahl aller Fälle völlig gleichgültig zu seinem Glauben. Dafür schilt man ihn sehr häufig und äußerst heftig. Die Schuld aber liegt auch diesmal, wenn man schon einen Schuldigen suchen muß, nicht an ihm, vielmehr in der Geschichte. Man sagt uns, der Russe habe seine Geschichte verraten und sei deshalb gleichgültig geworden. Wir finden im Gegenteil, daß er in dieser Hinsicht seiner Geschichte völlig treu blieb. Die russische Kirche war in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens dem Bestand ihrer Vertreter nach viel zu schwach, als daß sie der russischen Gesellschaft gegenüber die Aufgabe hätte übernehmen können, welche die west¬ liche Kirche der mittelalterlichen Gesellschaft gegenüber erfüllte: das heißt sie geistig-sittlich zu erziehen. Die Folge davon war bekantlich die, daß das russische heidnische Altertum allzu lange unberührt blieb und neben den Grenzboten IV 191ö 24

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/375
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/375>, abgerufen am 05.05.2024.