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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Rechtsfragen

Der Lusitania-Fall im Urteile von deut¬
schen Gelehrten. Mit Abdruck der amtlichen
Urkunden. Sonderaufgabe der Zeitschrift sür
Völkerrecht, Bd. 9, Heft 2. Breslau 1916.
L. U. Kerns Verlag (Max Müller). 139 S.


[Spaltenumbruch]

mit Munition ist über jeden Zweifel erhaben^
und das genügt auch schon. Die Schuld
traf höchstens die amerikanische Regierung
und die Cunard - Linie, die die Beförderung
von amerikanischen Bürgern auf einem also
gefährdeten Schisse trotz Warnung zuließ.
Erstaunen konnte man höchstens darüber, daß
in Amerika eine andere Ansicht überhaupt
möglich schien.

Doch schon der deutsch-amerikanische
Notenwechsel zeigte, daß beide Teile einander
gar nicht verstanden, weil sie eine ganz ver¬
schiedene Sprache redeten, womit natürlich
nicht die Verschiedenheit von deutsch und
englisch gemeint ist. Der Notenwechsel wurde
denn schließlich ohne Verständigung als
gänzlich zwecklos eingestellt. Wenn die letzte
Note des Präsidenten Wilson das große Wort
gelassen ausspricht: "Grundsätze sind un¬
abänderlich", so muß solche Professorate
Prinzipienreiterei in Deutschland völliger
Verständnislosigkeit begegnen. Der alte
Wrangel hatte gegenüber einer derartigen
Vergewaltigung des gesunden Menschenver¬
standes die treffende Abwehr: "Kinder, das
ist vor mir zu sonst"

Kohler hat neulich in einem Aufsatze im
"Tag" versucht, das Geheimnis zu lösen,-
weshalb beide Teile sich in rechtlicher Be¬
ziehung über den Lusitania-Fall nicht ver¬
ständigen konnten. Der Grund liegt der
Hauptsache nach in dem zurückgebliebenen
Zustande der englisch-amerikanischen Rechts¬
wissenschaft, die wesentlich aus, Präcedenz-
fällen Rechtsregeln ableitet und diese nun
auf neue Fälle anwendet. Gegenüber ganz
neuen Erscheinungen des Lebens versagt
diese Methode. Unterseeboote wie Luftschiffe
waren aber dem bisherigen Völkerrecht fremd.
Treffend hält daher Laband der amerikanischen
Auffassung entgegen: "Sowie nach der Ein¬
führung des Schießpulvers und namentlich
der Kanonen die Regeln der Feudalzeit über


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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Rechtsfragen

Der Lusitania-Fall im Urteile von deut¬
schen Gelehrten. Mit Abdruck der amtlichen
Urkunden. Sonderaufgabe der Zeitschrift sür
Völkerrecht, Bd. 9, Heft 2. Breslau 1916.
L. U. Kerns Verlag (Max Müller). 139 S.


[Spaltenumbruch]

mit Munition ist über jeden Zweifel erhaben^
und das genügt auch schon. Die Schuld
traf höchstens die amerikanische Regierung
und die Cunard - Linie, die die Beförderung
von amerikanischen Bürgern auf einem also
gefährdeten Schisse trotz Warnung zuließ.
Erstaunen konnte man höchstens darüber, daß
in Amerika eine andere Ansicht überhaupt
möglich schien.

Doch schon der deutsch-amerikanische
Notenwechsel zeigte, daß beide Teile einander
gar nicht verstanden, weil sie eine ganz ver¬
schiedene Sprache redeten, womit natürlich
nicht die Verschiedenheit von deutsch und
englisch gemeint ist. Der Notenwechsel wurde
denn schließlich ohne Verständigung als
gänzlich zwecklos eingestellt. Wenn die letzte
Note des Präsidenten Wilson das große Wort
gelassen ausspricht: „Grundsätze sind un¬
abänderlich", so muß solche Professorate
Prinzipienreiterei in Deutschland völliger
Verständnislosigkeit begegnen. Der alte
Wrangel hatte gegenüber einer derartigen
Vergewaltigung des gesunden Menschenver¬
standes die treffende Abwehr: „Kinder, das
ist vor mir zu sonst"

Kohler hat neulich in einem Aufsatze im
„Tag" versucht, das Geheimnis zu lösen,-
weshalb beide Teile sich in rechtlicher Be¬
ziehung über den Lusitania-Fall nicht ver¬
ständigen konnten. Der Grund liegt der
Hauptsache nach in dem zurückgebliebenen
Zustande der englisch-amerikanischen Rechts¬
wissenschaft, die wesentlich aus, Präcedenz-
fällen Rechtsregeln ableitet und diese nun
auf neue Fälle anwendet. Gegenüber ganz
neuen Erscheinungen des Lebens versagt
diese Methode. Unterseeboote wie Luftschiffe
waren aber dem bisherigen Völkerrecht fremd.
Treffend hält daher Laband der amerikanischen
Auffassung entgegen: „Sowie nach der Ein¬
führung des Schießpulvers und namentlich
der Kanonen die Regeln der Feudalzeit über


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[0041] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Rechtsfragen Der Lusitania-Fall im Urteile von deut¬ schen Gelehrten. Mit Abdruck der amtlichen Urkunden. Sonderaufgabe der Zeitschrift sür Völkerrecht, Bd. 9, Heft 2. Breslau 1916. L. U. Kerns Verlag (Max Müller). 139 S. mit Munition ist über jeden Zweifel erhaben^ und das genügt auch schon. Die Schuld traf höchstens die amerikanische Regierung und die Cunard - Linie, die die Beförderung von amerikanischen Bürgern auf einem also gefährdeten Schisse trotz Warnung zuließ. Erstaunen konnte man höchstens darüber, daß in Amerika eine andere Ansicht überhaupt möglich schien. Doch schon der deutsch-amerikanische Notenwechsel zeigte, daß beide Teile einander gar nicht verstanden, weil sie eine ganz ver¬ schiedene Sprache redeten, womit natürlich nicht die Verschiedenheit von deutsch und englisch gemeint ist. Der Notenwechsel wurde denn schließlich ohne Verständigung als gänzlich zwecklos eingestellt. Wenn die letzte Note des Präsidenten Wilson das große Wort gelassen ausspricht: „Grundsätze sind un¬ abänderlich", so muß solche Professorate Prinzipienreiterei in Deutschland völliger Verständnislosigkeit begegnen. Der alte Wrangel hatte gegenüber einer derartigen Vergewaltigung des gesunden Menschenver¬ standes die treffende Abwehr: „Kinder, das ist vor mir zu sonst" Kohler hat neulich in einem Aufsatze im „Tag" versucht, das Geheimnis zu lösen,- weshalb beide Teile sich in rechtlicher Be¬ ziehung über den Lusitania-Fall nicht ver¬ ständigen konnten. Der Grund liegt der Hauptsache nach in dem zurückgebliebenen Zustande der englisch-amerikanischen Rechts¬ wissenschaft, die wesentlich aus, Präcedenz- fällen Rechtsregeln ableitet und diese nun auf neue Fälle anwendet. Gegenüber ganz neuen Erscheinungen des Lebens versagt diese Methode. Unterseeboote wie Luftschiffe waren aber dem bisherigen Völkerrecht fremd. Treffend hält daher Laband der amerikanischen Auffassung entgegen: „Sowie nach der Ein¬ führung des Schießpulvers und namentlich der Kanonen die Regeln der Feudalzeit über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/41>, abgerufen am 05.05.2024.