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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Revolutionäre Strömungen in Rußland

is Mallakow, der damalige russische Minister des Innern, ein
eleganter noch jugendlicher Mann, dessen gut gepflegte Hände in
geschmackloser Weise mit kostbaren Ringen bedeckt waren, an
jenem 24. Juli 1914, als die russische Mobilmachung beschlossen
wurde, vom Ministerpräsidenten gefragt ward, ob er dafür
garantiere, daß im Falle eines Krieges das Volk ruhig bleiben würde, ant¬
wortete er mit einem zuversichtlichen "ja". Dieses "ja", das die Ereignisse
später rechtfertigten, hat sehr viel zu den Entschlüssen der russischen Staats¬
lenker in jenen entscheidenden Stunden mit beigetragen.

Maklakow glaubte, daß die Konsolidierungsarbeit, die Stolypin begonnen
hatte, bei den Bauern weit genug fortgeschritten war. um jede Möglichkeit von
Unruhen zu verhindern. Zudem war es den Bauern zuletzt gut gegangen.
Mehrere Ernten waren glänzend gewesen. Das Dorf war satt und, wenn man
ihm den Alkohol nähme, so würde die Nüchternheit zur Ruhe zwingen und die
Mobilisation glatt vonstatten gehen. Die Streiks in Petersburg seien ziemlich
beendet, man habe einige Rädelsführer erschossen, andere nach Sibirien
transportiert, im übrigen werde die panslavistische Idee des Krieges für die
Brudernation, für die Befreiung der unterdrückten slavischen Völker, für die
Abschüttelung des teutonischen Joches auch beim niederen Volke, selbst bei den
Sozialisten wirken. Wenn der Krieg siegreich sein werde, so würde er zugleich
eine glänzende Gelegenheit zur Befestigung des reaktionären Regimes bieten,
das war der Nebengedanke der inneren Politiker, die sür den Krieg stimmten.
Und dafür stimmten sie alle. Nur Kriwoschei'n, den: es mit der Agrarreform
ernst war und der als Folge eines europäischen Krieges die wirtschaftliche
Nückentwicklung Rußlands vor Augen sah, bekannte sich offen als Gegner des
Krieges.


Grenzboten l 1916 1


Revolutionäre Strömungen in Rußland

is Mallakow, der damalige russische Minister des Innern, ein
eleganter noch jugendlicher Mann, dessen gut gepflegte Hände in
geschmackloser Weise mit kostbaren Ringen bedeckt waren, an
jenem 24. Juli 1914, als die russische Mobilmachung beschlossen
wurde, vom Ministerpräsidenten gefragt ward, ob er dafür
garantiere, daß im Falle eines Krieges das Volk ruhig bleiben würde, ant¬
wortete er mit einem zuversichtlichen „ja". Dieses „ja", das die Ereignisse
später rechtfertigten, hat sehr viel zu den Entschlüssen der russischen Staats¬
lenker in jenen entscheidenden Stunden mit beigetragen.

Maklakow glaubte, daß die Konsolidierungsarbeit, die Stolypin begonnen
hatte, bei den Bauern weit genug fortgeschritten war. um jede Möglichkeit von
Unruhen zu verhindern. Zudem war es den Bauern zuletzt gut gegangen.
Mehrere Ernten waren glänzend gewesen. Das Dorf war satt und, wenn man
ihm den Alkohol nähme, so würde die Nüchternheit zur Ruhe zwingen und die
Mobilisation glatt vonstatten gehen. Die Streiks in Petersburg seien ziemlich
beendet, man habe einige Rädelsführer erschossen, andere nach Sibirien
transportiert, im übrigen werde die panslavistische Idee des Krieges für die
Brudernation, für die Befreiung der unterdrückten slavischen Völker, für die
Abschüttelung des teutonischen Joches auch beim niederen Volke, selbst bei den
Sozialisten wirken. Wenn der Krieg siegreich sein werde, so würde er zugleich
eine glänzende Gelegenheit zur Befestigung des reaktionären Regimes bieten,
das war der Nebengedanke der inneren Politiker, die sür den Krieg stimmten.
Und dafür stimmten sie alle. Nur Kriwoschei'n, den: es mit der Agrarreform
ernst war und der als Folge eines europäischen Krieges die wirtschaftliche
Nückentwicklung Rußlands vor Augen sah, bekannte sich offen als Gegner des
Krieges.


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[0013] [Abbildung] Revolutionäre Strömungen in Rußland is Mallakow, der damalige russische Minister des Innern, ein eleganter noch jugendlicher Mann, dessen gut gepflegte Hände in geschmackloser Weise mit kostbaren Ringen bedeckt waren, an jenem 24. Juli 1914, als die russische Mobilmachung beschlossen wurde, vom Ministerpräsidenten gefragt ward, ob er dafür garantiere, daß im Falle eines Krieges das Volk ruhig bleiben würde, ant¬ wortete er mit einem zuversichtlichen „ja". Dieses „ja", das die Ereignisse später rechtfertigten, hat sehr viel zu den Entschlüssen der russischen Staats¬ lenker in jenen entscheidenden Stunden mit beigetragen. Maklakow glaubte, daß die Konsolidierungsarbeit, die Stolypin begonnen hatte, bei den Bauern weit genug fortgeschritten war. um jede Möglichkeit von Unruhen zu verhindern. Zudem war es den Bauern zuletzt gut gegangen. Mehrere Ernten waren glänzend gewesen. Das Dorf war satt und, wenn man ihm den Alkohol nähme, so würde die Nüchternheit zur Ruhe zwingen und die Mobilisation glatt vonstatten gehen. Die Streiks in Petersburg seien ziemlich beendet, man habe einige Rädelsführer erschossen, andere nach Sibirien transportiert, im übrigen werde die panslavistische Idee des Krieges für die Brudernation, für die Befreiung der unterdrückten slavischen Völker, für die Abschüttelung des teutonischen Joches auch beim niederen Volke, selbst bei den Sozialisten wirken. Wenn der Krieg siegreich sein werde, so würde er zugleich eine glänzende Gelegenheit zur Befestigung des reaktionären Regimes bieten, das war der Nebengedanke der inneren Politiker, die sür den Krieg stimmten. Und dafür stimmten sie alle. Nur Kriwoschei'n, den: es mit der Agrarreform ernst war und der als Folge eines europäischen Krieges die wirtschaftliche Nückentwicklung Rußlands vor Augen sah, bekannte sich offen als Gegner des Krieges. Grenzboten l 1916 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/13>, abgerufen am 30.04.2024.