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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Dienstpflicht in England

chon vor einigen Wochen, ehe noch die Fassung der neuen Bill
bekannt war, meldete der stets gut unterrichtete Londoner Korre¬
spondent des Manchester Guardians, daß ihre Annahme im Unter¬
hause als sicher gelten könne. Er schätzte die Opposition auf nicht
mehr als 140 Abgeordnete, obwohl er die Partei der irischen
Nationalisten einrechnete. Seitdem haben die Iren, da die grüne Insel von
der Wirkung des Gesetzes ausgenommen ist, sich darauf beschränkt, ihrer Opposition
prinzipiell Ausdruck zu geben, ohne die Bill, die nur für Großbritannien
Geltung haben soll, weiter zu bekämpfen. Die Gegner des Dienstzwanges sind
somit numerisch noch schwächer geworden, wenn sie auch in dem früheren Staats¬
sekretär des Innern einen Führer von unzweifelhafter Bedeutung gewonnen
haben. Es war keine Frage mehr, daß die Bill" mit sehr großer Mehrheit
durchgehen würde. Freilich scheint ihre Fassung verschiedene Abschwächungen
erhalten zu haben und die radikale "Daily News" spricht die Hoffnung aus,
daß sie überhaupt keine praktische Bedeutung haben werde, zumal, wenn die
wieder eröffnete Werbekampagne Lord Derbys auf freiwilligem Wege die Zahl
von Rekruten liefert, die Kitchener für notwendig hält.

An sich ist die Bill nur ein sehr bescheidener Anfang zur militärischen
Dienstpflicht. Sie gilt nur für die Dauer des Krieges und für die Unverheirateten,
die sich der Werbekampagne Lord Derbys entzogen hatten. Tatsächlich hatte
freilich eben schon der Dcrbysche Werbefeldzug ein tiefes Loch in das Prinzip
der Freiwilligkeit gerissen, denn alle denkbaren Formen moralischen Zwanges
waren angewendet worden, um die Männer wehrfähigen Alters zu veranlassen,
sich zum Heere zu melden. Gleichwohl rief dieser so allmähliche Übergang zur
legalen Festlegung des Prinzips des Staatszwanges eine sehr starke Opposition
hervor. Wenn sie im Parlament bald verstummte, so erhoben die Arbeiter¬
organisationen ihre Stimme um so lauter. Vor allem die großen Gewerkschafts¬
verbünde der Bergleute und Eisenbahner, die bisher die einzigen gewesen sind,
die sich in corpore vernehmen ließen. Die heißblütigen Bergleute von Südwales
redeten sogar von einem politischen Streik, und alle die, die aus Gewissens¬
bedenken (wie einst unsere Mennoniten) gegen die Dienstpflicht sind, haben sich
in einem Verein zusammengeschlossen. Aber den Gewissensbedenken trägt die
Bill Rechnung, und die großen Gewerkschaftsverbände werden schwerlich Gelegen¬
heit finden, in einen Konflikt mit dem Gesetze zu geraten, denn bereits im




Die Dienstpflicht in England

chon vor einigen Wochen, ehe noch die Fassung der neuen Bill
bekannt war, meldete der stets gut unterrichtete Londoner Korre¬
spondent des Manchester Guardians, daß ihre Annahme im Unter¬
hause als sicher gelten könne. Er schätzte die Opposition auf nicht
mehr als 140 Abgeordnete, obwohl er die Partei der irischen
Nationalisten einrechnete. Seitdem haben die Iren, da die grüne Insel von
der Wirkung des Gesetzes ausgenommen ist, sich darauf beschränkt, ihrer Opposition
prinzipiell Ausdruck zu geben, ohne die Bill, die nur für Großbritannien
Geltung haben soll, weiter zu bekämpfen. Die Gegner des Dienstzwanges sind
somit numerisch noch schwächer geworden, wenn sie auch in dem früheren Staats¬
sekretär des Innern einen Führer von unzweifelhafter Bedeutung gewonnen
haben. Es war keine Frage mehr, daß die Bill" mit sehr großer Mehrheit
durchgehen würde. Freilich scheint ihre Fassung verschiedene Abschwächungen
erhalten zu haben und die radikale „Daily News" spricht die Hoffnung aus,
daß sie überhaupt keine praktische Bedeutung haben werde, zumal, wenn die
wieder eröffnete Werbekampagne Lord Derbys auf freiwilligem Wege die Zahl
von Rekruten liefert, die Kitchener für notwendig hält.

An sich ist die Bill nur ein sehr bescheidener Anfang zur militärischen
Dienstpflicht. Sie gilt nur für die Dauer des Krieges und für die Unverheirateten,
die sich der Werbekampagne Lord Derbys entzogen hatten. Tatsächlich hatte
freilich eben schon der Dcrbysche Werbefeldzug ein tiefes Loch in das Prinzip
der Freiwilligkeit gerissen, denn alle denkbaren Formen moralischen Zwanges
waren angewendet worden, um die Männer wehrfähigen Alters zu veranlassen,
sich zum Heere zu melden. Gleichwohl rief dieser so allmähliche Übergang zur
legalen Festlegung des Prinzips des Staatszwanges eine sehr starke Opposition
hervor. Wenn sie im Parlament bald verstummte, so erhoben die Arbeiter¬
organisationen ihre Stimme um so lauter. Vor allem die großen Gewerkschafts¬
verbünde der Bergleute und Eisenbahner, die bisher die einzigen gewesen sind,
die sich in corpore vernehmen ließen. Die heißblütigen Bergleute von Südwales
redeten sogar von einem politischen Streik, und alle die, die aus Gewissens¬
bedenken (wie einst unsere Mennoniten) gegen die Dienstpflicht sind, haben sich
in einem Verein zusammengeschlossen. Aber den Gewissensbedenken trägt die
Bill Rechnung, und die großen Gewerkschaftsverbände werden schwerlich Gelegen¬
heit finden, in einen Konflikt mit dem Gesetze zu geraten, denn bereits im


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[0151] [Abbildung] Die Dienstpflicht in England chon vor einigen Wochen, ehe noch die Fassung der neuen Bill bekannt war, meldete der stets gut unterrichtete Londoner Korre¬ spondent des Manchester Guardians, daß ihre Annahme im Unter¬ hause als sicher gelten könne. Er schätzte die Opposition auf nicht mehr als 140 Abgeordnete, obwohl er die Partei der irischen Nationalisten einrechnete. Seitdem haben die Iren, da die grüne Insel von der Wirkung des Gesetzes ausgenommen ist, sich darauf beschränkt, ihrer Opposition prinzipiell Ausdruck zu geben, ohne die Bill, die nur für Großbritannien Geltung haben soll, weiter zu bekämpfen. Die Gegner des Dienstzwanges sind somit numerisch noch schwächer geworden, wenn sie auch in dem früheren Staats¬ sekretär des Innern einen Führer von unzweifelhafter Bedeutung gewonnen haben. Es war keine Frage mehr, daß die Bill" mit sehr großer Mehrheit durchgehen würde. Freilich scheint ihre Fassung verschiedene Abschwächungen erhalten zu haben und die radikale „Daily News" spricht die Hoffnung aus, daß sie überhaupt keine praktische Bedeutung haben werde, zumal, wenn die wieder eröffnete Werbekampagne Lord Derbys auf freiwilligem Wege die Zahl von Rekruten liefert, die Kitchener für notwendig hält. An sich ist die Bill nur ein sehr bescheidener Anfang zur militärischen Dienstpflicht. Sie gilt nur für die Dauer des Krieges und für die Unverheirateten, die sich der Werbekampagne Lord Derbys entzogen hatten. Tatsächlich hatte freilich eben schon der Dcrbysche Werbefeldzug ein tiefes Loch in das Prinzip der Freiwilligkeit gerissen, denn alle denkbaren Formen moralischen Zwanges waren angewendet worden, um die Männer wehrfähigen Alters zu veranlassen, sich zum Heere zu melden. Gleichwohl rief dieser so allmähliche Übergang zur legalen Festlegung des Prinzips des Staatszwanges eine sehr starke Opposition hervor. Wenn sie im Parlament bald verstummte, so erhoben die Arbeiter¬ organisationen ihre Stimme um so lauter. Vor allem die großen Gewerkschafts¬ verbünde der Bergleute und Eisenbahner, die bisher die einzigen gewesen sind, die sich in corpore vernehmen ließen. Die heißblütigen Bergleute von Südwales redeten sogar von einem politischen Streik, und alle die, die aus Gewissens¬ bedenken (wie einst unsere Mennoniten) gegen die Dienstpflicht sind, haben sich in einem Verein zusammengeschlossen. Aber den Gewissensbedenken trägt die Bill Rechnung, und die großen Gewerkschaftsverbände werden schwerlich Gelegen¬ heit finden, in einen Konflikt mit dem Gesetze zu geraten, denn bereits im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/151>, abgerufen am 30.04.2024.