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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Galliern
Aus meinem Briefwechsel mit dem französischen Kriegsminister
von Rudolf lvagner

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MGs s war zwar im wesentlichen nur ein kolonialpolitischer Gedanken¬
austausch, der mir die Gelegenheit zu näheren freundlichen Be¬
ziehungen zu General Galliern, den: damaligen Gouverneur von
Madagaskar und nachherigen Korpskommandeur von Lyon ver¬
schaffte. Aber als mir jüngst seine zahlreichen Briefe, die aus
den Jahren 1900--1907 stammen, wieder einmal in die Hände fielen, habe
ich doch so mancherlei Bemerkungen darin gefunden, die uns einen Blick in die
Gedankengänge unseres jetzigen vornehmsten Feindes tun lassen. Ich kann
Herrn Professor Dr. M. I. Wolff (Grenzboten, Heft 2) nur beistimmen, wenn er
den Kriegsminister Gallien: als eine der wenigen selbständigen Persönlichkeiten des
gegenwärtigen französischen Kabinetts bezeichnet. Er ist -- z. B. im Gegensatz
zu dem Nur-Militär Joffre -- entschieden eine politische Persönlichkeit, die sich
nicht scheut, der bekannten französischen Großsprecherei und dem Bureaukmtismus
zu Leibe zu gehen und seine Ansichten unverblümt auszusprechen. Ans
mancherlei kritischen Bemerkungen in seinen Briefen an mich geht dies un¬
zweifelhaft hervor. Außerdem aus seiner praktischen Politik, die dem Verwal¬
tungsapparat auf Madagaskar im Gegensatz zu mancherlei Verordnungen vom
Grünen Tisch, über die er gelegentlich klagte, etwas wirtschaftliches Denken ein¬
zuhauchen versuchte.

Ich möchte gleich vorausschicken -- weil mir dies viele Worte erspart --
daß Gallieni an mich deutsch schrieb, und zwar ein recht anständiges Deutsch.
Und das Bemerkenswerteste ist, daß er dieses Deutsch nicht in der lateinischen
Schrift des Franzosen, sondern in deutschen Buchstaben schrieb. Das ist für
einen romanischen Ausländer keine Kleinigkeit. Man merkt seinen Briefen an,
daß es ihm entschieden Freude machte, mit einem deutschen Publizisten seine
Gedanken über die und jene kolonialpolitischen Fragen auszutauschen. Er las
offenbar eine Reihe deutscher Zeitungen und Zeitschriften, z. B. finde ich die
"Kölnische Zeitung", das "Militür-Wochenblatt". die "Deutsche Kolonialzeitung"
und andere wiederholt zitiert. Seine kolonialpolitischen, manchmal sehr treffenden,
manchmal auch einseitig französischen Urteile interessieren hier weniger. Dagegen
fiel mir auf. daß seine Abneigung und sein Mißtrauen gegen die Engländer,




Galliern
Aus meinem Briefwechsel mit dem französischen Kriegsminister
von Rudolf lvagner

iH^L^
MGs s war zwar im wesentlichen nur ein kolonialpolitischer Gedanken¬
austausch, der mir die Gelegenheit zu näheren freundlichen Be¬
ziehungen zu General Galliern, den: damaligen Gouverneur von
Madagaskar und nachherigen Korpskommandeur von Lyon ver¬
schaffte. Aber als mir jüngst seine zahlreichen Briefe, die aus
den Jahren 1900—1907 stammen, wieder einmal in die Hände fielen, habe
ich doch so mancherlei Bemerkungen darin gefunden, die uns einen Blick in die
Gedankengänge unseres jetzigen vornehmsten Feindes tun lassen. Ich kann
Herrn Professor Dr. M. I. Wolff (Grenzboten, Heft 2) nur beistimmen, wenn er
den Kriegsminister Gallien: als eine der wenigen selbständigen Persönlichkeiten des
gegenwärtigen französischen Kabinetts bezeichnet. Er ist — z. B. im Gegensatz
zu dem Nur-Militär Joffre — entschieden eine politische Persönlichkeit, die sich
nicht scheut, der bekannten französischen Großsprecherei und dem Bureaukmtismus
zu Leibe zu gehen und seine Ansichten unverblümt auszusprechen. Ans
mancherlei kritischen Bemerkungen in seinen Briefen an mich geht dies un¬
zweifelhaft hervor. Außerdem aus seiner praktischen Politik, die dem Verwal¬
tungsapparat auf Madagaskar im Gegensatz zu mancherlei Verordnungen vom
Grünen Tisch, über die er gelegentlich klagte, etwas wirtschaftliches Denken ein¬
zuhauchen versuchte.

Ich möchte gleich vorausschicken — weil mir dies viele Worte erspart —
daß Gallieni an mich deutsch schrieb, und zwar ein recht anständiges Deutsch.
Und das Bemerkenswerteste ist, daß er dieses Deutsch nicht in der lateinischen
Schrift des Franzosen, sondern in deutschen Buchstaben schrieb. Das ist für
einen romanischen Ausländer keine Kleinigkeit. Man merkt seinen Briefen an,
daß es ihm entschieden Freude machte, mit einem deutschen Publizisten seine
Gedanken über die und jene kolonialpolitischen Fragen auszutauschen. Er las
offenbar eine Reihe deutscher Zeitungen und Zeitschriften, z. B. finde ich die
„Kölnische Zeitung", das „Militür-Wochenblatt". die „Deutsche Kolonialzeitung"
und andere wiederholt zitiert. Seine kolonialpolitischen, manchmal sehr treffenden,
manchmal auch einseitig französischen Urteile interessieren hier weniger. Dagegen
fiel mir auf. daß seine Abneigung und sein Mißtrauen gegen die Engländer,


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[0201] [Abbildung] Galliern Aus meinem Briefwechsel mit dem französischen Kriegsminister von Rudolf lvagner iH^L^ MGs s war zwar im wesentlichen nur ein kolonialpolitischer Gedanken¬ austausch, der mir die Gelegenheit zu näheren freundlichen Be¬ ziehungen zu General Galliern, den: damaligen Gouverneur von Madagaskar und nachherigen Korpskommandeur von Lyon ver¬ schaffte. Aber als mir jüngst seine zahlreichen Briefe, die aus den Jahren 1900—1907 stammen, wieder einmal in die Hände fielen, habe ich doch so mancherlei Bemerkungen darin gefunden, die uns einen Blick in die Gedankengänge unseres jetzigen vornehmsten Feindes tun lassen. Ich kann Herrn Professor Dr. M. I. Wolff (Grenzboten, Heft 2) nur beistimmen, wenn er den Kriegsminister Gallien: als eine der wenigen selbständigen Persönlichkeiten des gegenwärtigen französischen Kabinetts bezeichnet. Er ist — z. B. im Gegensatz zu dem Nur-Militär Joffre — entschieden eine politische Persönlichkeit, die sich nicht scheut, der bekannten französischen Großsprecherei und dem Bureaukmtismus zu Leibe zu gehen und seine Ansichten unverblümt auszusprechen. Ans mancherlei kritischen Bemerkungen in seinen Briefen an mich geht dies un¬ zweifelhaft hervor. Außerdem aus seiner praktischen Politik, die dem Verwal¬ tungsapparat auf Madagaskar im Gegensatz zu mancherlei Verordnungen vom Grünen Tisch, über die er gelegentlich klagte, etwas wirtschaftliches Denken ein¬ zuhauchen versuchte. Ich möchte gleich vorausschicken — weil mir dies viele Worte erspart — daß Gallieni an mich deutsch schrieb, und zwar ein recht anständiges Deutsch. Und das Bemerkenswerteste ist, daß er dieses Deutsch nicht in der lateinischen Schrift des Franzosen, sondern in deutschen Buchstaben schrieb. Das ist für einen romanischen Ausländer keine Kleinigkeit. Man merkt seinen Briefen an, daß es ihm entschieden Freude machte, mit einem deutschen Publizisten seine Gedanken über die und jene kolonialpolitischen Fragen auszutauschen. Er las offenbar eine Reihe deutscher Zeitungen und Zeitschriften, z. B. finde ich die „Kölnische Zeitung", das „Militür-Wochenblatt". die „Deutsche Kolonialzeitung" und andere wiederholt zitiert. Seine kolonialpolitischen, manchmal sehr treffenden, manchmal auch einseitig französischen Urteile interessieren hier weniger. Dagegen fiel mir auf. daß seine Abneigung und sein Mißtrauen gegen die Engländer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/201>, abgerufen am 30.04.2024.