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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Saloniki

viduen finden, denen der erworbene Silberling über ein Kinderleben geht. Die
Ausbeute der Kinderarbeit aber kann vermieden werden! Im Interesse unserer
gesamten Volksentwickelung sei deshalb heute mehr denn je eine unserer lautesten,
eine unserer nachhaltigsten Forderungen: hütet die Kinder, aber nutzt sie nicht. . .
Das Ausnutzen der Kinderkraft ist ja immer das erste Mittel, den Rückgang des
Familienverdienstes auszugleichen. Unsere Witwen, die Familien, denen der ^
Ernährer zum Krüppel geschossen wurde, werden die Kinderarbeit in Anspruch
nehmen; gerade in den unkontrollierbaren Tätigkeiten, die auf keinem festen
Arbeitsverhältnis beruhen, wird die Verwendung der Kinderarbeit erschreckend
steigen. Der Heimarbeit werden Unsummen von Kindergesundheit zum Opfer
fallen. Die Erweiterung des Schutzes des bestehenden Lebens, der vorhandenen
nationalen Werte an körperlicher und seelischer Gesundheit, ist daher eine der
wichtigsten volkswirtschaftlichen Gegenwartsaufgaben.




Saloniki
von Professor Dr. Max I. Wol ff

reift er an, greift er nicht an?" Seit Wochen beschäftigt sich die
feindliche Presse, besonders die französische, mit diesem harmlosen
Rätselspiel. Werden die Truppen des Vierbundes auf Saloniki
marschieren oder weiter an der griechischen Grenze stehen bleiben?
Die Antwort wechselt beständig: Bald soll der Angriff unmittelbar
bevorstehen, bald ist er angeblich völlig ausgeschlossen. Oft steht beides in einer
Nummer derselben Zeitung vereinigt. Auf der ersten Seite tritt der hervor¬
ragende Militärkritiker und Oberstleutnant a. D. den unwiderleglicher Beweis
an, daß ein Angriff aus strategischen Gründen unmöglich sei, auf der letzten
telegraphiert der Spezialberichterstatter als "Allerneuestes", daß die feindlichen
Truppen sich schon in Bewegung gesetzt haben. Am nächsten Tag wird das
Spiel in unverminderter Frische fortgeführt, nur daß die beiden Sachverständigen
die Rollen tauschen, daß der militärische Mitarbeiter den Angriff bejaht, der
Berichterstatter ihn verneint. "Greift er an, greift er nicht an?"

Als die Frage zum erstenmal aufgeworfen wurde, geschah es in ernstester
Besorgnis. Die Bulgaren hatten den verbündeten Engländern und Franzosen
eine schwere Niederlage am Wardar beigebracht, und diese drängten, wie immer,
in einem "meisterhaften Rückzug", darum aber nicht weniger eilig nach Saloniki
zurück unter den Schutz ihrer Schiffskanonen. Die Bulgaren folgten nicht. Ob


Saloniki

viduen finden, denen der erworbene Silberling über ein Kinderleben geht. Die
Ausbeute der Kinderarbeit aber kann vermieden werden! Im Interesse unserer
gesamten Volksentwickelung sei deshalb heute mehr denn je eine unserer lautesten,
eine unserer nachhaltigsten Forderungen: hütet die Kinder, aber nutzt sie nicht. . .
Das Ausnutzen der Kinderkraft ist ja immer das erste Mittel, den Rückgang des
Familienverdienstes auszugleichen. Unsere Witwen, die Familien, denen der ^
Ernährer zum Krüppel geschossen wurde, werden die Kinderarbeit in Anspruch
nehmen; gerade in den unkontrollierbaren Tätigkeiten, die auf keinem festen
Arbeitsverhältnis beruhen, wird die Verwendung der Kinderarbeit erschreckend
steigen. Der Heimarbeit werden Unsummen von Kindergesundheit zum Opfer
fallen. Die Erweiterung des Schutzes des bestehenden Lebens, der vorhandenen
nationalen Werte an körperlicher und seelischer Gesundheit, ist daher eine der
wichtigsten volkswirtschaftlichen Gegenwartsaufgaben.




Saloniki
von Professor Dr. Max I. Wol ff

reift er an, greift er nicht an?" Seit Wochen beschäftigt sich die
feindliche Presse, besonders die französische, mit diesem harmlosen
Rätselspiel. Werden die Truppen des Vierbundes auf Saloniki
marschieren oder weiter an der griechischen Grenze stehen bleiben?
Die Antwort wechselt beständig: Bald soll der Angriff unmittelbar
bevorstehen, bald ist er angeblich völlig ausgeschlossen. Oft steht beides in einer
Nummer derselben Zeitung vereinigt. Auf der ersten Seite tritt der hervor¬
ragende Militärkritiker und Oberstleutnant a. D. den unwiderleglicher Beweis
an, daß ein Angriff aus strategischen Gründen unmöglich sei, auf der letzten
telegraphiert der Spezialberichterstatter als „Allerneuestes", daß die feindlichen
Truppen sich schon in Bewegung gesetzt haben. Am nächsten Tag wird das
Spiel in unverminderter Frische fortgeführt, nur daß die beiden Sachverständigen
die Rollen tauschen, daß der militärische Mitarbeiter den Angriff bejaht, der
Berichterstatter ihn verneint. „Greift er an, greift er nicht an?"

Als die Frage zum erstenmal aufgeworfen wurde, geschah es in ernstester
Besorgnis. Die Bulgaren hatten den verbündeten Engländern und Franzosen
eine schwere Niederlage am Wardar beigebracht, und diese drängten, wie immer,
in einem „meisterhaften Rückzug", darum aber nicht weniger eilig nach Saloniki
zurück unter den Schutz ihrer Schiffskanonen. Die Bulgaren folgten nicht. Ob


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[0230] Saloniki viduen finden, denen der erworbene Silberling über ein Kinderleben geht. Die Ausbeute der Kinderarbeit aber kann vermieden werden! Im Interesse unserer gesamten Volksentwickelung sei deshalb heute mehr denn je eine unserer lautesten, eine unserer nachhaltigsten Forderungen: hütet die Kinder, aber nutzt sie nicht. . . Das Ausnutzen der Kinderkraft ist ja immer das erste Mittel, den Rückgang des Familienverdienstes auszugleichen. Unsere Witwen, die Familien, denen der ^ Ernährer zum Krüppel geschossen wurde, werden die Kinderarbeit in Anspruch nehmen; gerade in den unkontrollierbaren Tätigkeiten, die auf keinem festen Arbeitsverhältnis beruhen, wird die Verwendung der Kinderarbeit erschreckend steigen. Der Heimarbeit werden Unsummen von Kindergesundheit zum Opfer fallen. Die Erweiterung des Schutzes des bestehenden Lebens, der vorhandenen nationalen Werte an körperlicher und seelischer Gesundheit, ist daher eine der wichtigsten volkswirtschaftlichen Gegenwartsaufgaben. Saloniki von Professor Dr. Max I. Wol ff reift er an, greift er nicht an?" Seit Wochen beschäftigt sich die feindliche Presse, besonders die französische, mit diesem harmlosen Rätselspiel. Werden die Truppen des Vierbundes auf Saloniki marschieren oder weiter an der griechischen Grenze stehen bleiben? Die Antwort wechselt beständig: Bald soll der Angriff unmittelbar bevorstehen, bald ist er angeblich völlig ausgeschlossen. Oft steht beides in einer Nummer derselben Zeitung vereinigt. Auf der ersten Seite tritt der hervor¬ ragende Militärkritiker und Oberstleutnant a. D. den unwiderleglicher Beweis an, daß ein Angriff aus strategischen Gründen unmöglich sei, auf der letzten telegraphiert der Spezialberichterstatter als „Allerneuestes", daß die feindlichen Truppen sich schon in Bewegung gesetzt haben. Am nächsten Tag wird das Spiel in unverminderter Frische fortgeführt, nur daß die beiden Sachverständigen die Rollen tauschen, daß der militärische Mitarbeiter den Angriff bejaht, der Berichterstatter ihn verneint. „Greift er an, greift er nicht an?" Als die Frage zum erstenmal aufgeworfen wurde, geschah es in ernstester Besorgnis. Die Bulgaren hatten den verbündeten Engländern und Franzosen eine schwere Niederlage am Wardar beigebracht, und diese drängten, wie immer, in einem „meisterhaften Rückzug", darum aber nicht weniger eilig nach Saloniki zurück unter den Schutz ihrer Schiffskanonen. Die Bulgaren folgten nicht. Ob

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/230>, abgerufen am 30.04.2024.