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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Das Nationalitätsprinzip und der Arieg
von Professor Dr. Lonrad Bornhak

n größter Willkür hatten vor hundert Jahren Reichsdeputations-
hauptschluß. Napoleon und Wiener Kongreß Länder und Völker
durcheinander geworfen. Geschichtlicher und nationaler Zusammen¬
hang spielten keine Rolle. In einigen Gegenden hatten bis zum
Wiener Kongresse ganz nach des Korsen Willkür die Bewohner
alle paar Jahre den Herren gewechselt. Erst der Wiener Kongreß brachte
wieder einen dauernden Zustand, an dessen Dauer zunächst nur wenige glaubten.
Dieser schwache Glaube rührte freilich im wesentlichen daher, weil die Schöpfungen
des Wiener Kongresses manche Regierungen wenig, die Völker gar nicht be¬
friedigten. An den verschiedensten Ecken züngelte die Revolution empor und
konnte durch die hohe Polizei der Heiligen Alliance nur mühsam unterdrückt
werden, bis auch diese gegenüber der Julirevolution von 1830 versagte.

Die Befreiung von der Napoleonischen Gewaltherrschaft erschien den Völkern
bald nicht mehr als Erlösung, weil ihre nationalen Wünsche nicht befriedigt
waren. In Italien sehnte man geradezu aus diesem Grunde die Zeiten
Napoleons zurück. Gegenüber der Wiederherstellung der seit Alters bestehenden
Gewalten durch das vom Wiener Kongresse ausgestellte Legitimitätsprinzip
erhob sich jetzt als neues Prinzip der Zukunft das der Nationalität. Un¬
bekümmert uni die alten legitimen Gewalten sollte jedes Volk im ethnisch-sprach¬
lichen Sinne auch einen Staat für sich bilden, sollten die in verschiedene Staaten
zerteilten oder unter fremder Herrschaft stehenden Teile eines Volkes zur staat¬
lichen Einheit gelangen.

Man hat in Napoleon dem Ersten den Schöpfer des Nationalitätsprinzips
sehen wollen. Seltsamer Gedanke, er, der nach Launen die Länder und Völker
immer von neuem durcheinander warf, war von dem Gedanken des Nationalitäts-
Prinzips ganz unberührt. Selbst Frankreich war ihm nicht Nationalstaat, sondern
nur die Grundlage einer Universalmonarchie, die alles nationale Leben erstickte.


Grenzboten l 1916 . 16


Das Nationalitätsprinzip und der Arieg
von Professor Dr. Lonrad Bornhak

n größter Willkür hatten vor hundert Jahren Reichsdeputations-
hauptschluß. Napoleon und Wiener Kongreß Länder und Völker
durcheinander geworfen. Geschichtlicher und nationaler Zusammen¬
hang spielten keine Rolle. In einigen Gegenden hatten bis zum
Wiener Kongresse ganz nach des Korsen Willkür die Bewohner
alle paar Jahre den Herren gewechselt. Erst der Wiener Kongreß brachte
wieder einen dauernden Zustand, an dessen Dauer zunächst nur wenige glaubten.
Dieser schwache Glaube rührte freilich im wesentlichen daher, weil die Schöpfungen
des Wiener Kongresses manche Regierungen wenig, die Völker gar nicht be¬
friedigten. An den verschiedensten Ecken züngelte die Revolution empor und
konnte durch die hohe Polizei der Heiligen Alliance nur mühsam unterdrückt
werden, bis auch diese gegenüber der Julirevolution von 1830 versagte.

Die Befreiung von der Napoleonischen Gewaltherrschaft erschien den Völkern
bald nicht mehr als Erlösung, weil ihre nationalen Wünsche nicht befriedigt
waren. In Italien sehnte man geradezu aus diesem Grunde die Zeiten
Napoleons zurück. Gegenüber der Wiederherstellung der seit Alters bestehenden
Gewalten durch das vom Wiener Kongresse ausgestellte Legitimitätsprinzip
erhob sich jetzt als neues Prinzip der Zukunft das der Nationalität. Un¬
bekümmert uni die alten legitimen Gewalten sollte jedes Volk im ethnisch-sprach¬
lichen Sinne auch einen Staat für sich bilden, sollten die in verschiedene Staaten
zerteilten oder unter fremder Herrschaft stehenden Teile eines Volkes zur staat¬
lichen Einheit gelangen.

Man hat in Napoleon dem Ersten den Schöpfer des Nationalitätsprinzips
sehen wollen. Seltsamer Gedanke, er, der nach Launen die Länder und Völker
immer von neuem durcheinander warf, war von dem Gedanken des Nationalitäts-
Prinzips ganz unberührt. Selbst Frankreich war ihm nicht Nationalstaat, sondern
nur die Grundlage einer Universalmonarchie, die alles nationale Leben erstickte.


Grenzboten l 1916 . 16
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[0237] [Abbildung] Das Nationalitätsprinzip und der Arieg von Professor Dr. Lonrad Bornhak n größter Willkür hatten vor hundert Jahren Reichsdeputations- hauptschluß. Napoleon und Wiener Kongreß Länder und Völker durcheinander geworfen. Geschichtlicher und nationaler Zusammen¬ hang spielten keine Rolle. In einigen Gegenden hatten bis zum Wiener Kongresse ganz nach des Korsen Willkür die Bewohner alle paar Jahre den Herren gewechselt. Erst der Wiener Kongreß brachte wieder einen dauernden Zustand, an dessen Dauer zunächst nur wenige glaubten. Dieser schwache Glaube rührte freilich im wesentlichen daher, weil die Schöpfungen des Wiener Kongresses manche Regierungen wenig, die Völker gar nicht be¬ friedigten. An den verschiedensten Ecken züngelte die Revolution empor und konnte durch die hohe Polizei der Heiligen Alliance nur mühsam unterdrückt werden, bis auch diese gegenüber der Julirevolution von 1830 versagte. Die Befreiung von der Napoleonischen Gewaltherrschaft erschien den Völkern bald nicht mehr als Erlösung, weil ihre nationalen Wünsche nicht befriedigt waren. In Italien sehnte man geradezu aus diesem Grunde die Zeiten Napoleons zurück. Gegenüber der Wiederherstellung der seit Alters bestehenden Gewalten durch das vom Wiener Kongresse ausgestellte Legitimitätsprinzip erhob sich jetzt als neues Prinzip der Zukunft das der Nationalität. Un¬ bekümmert uni die alten legitimen Gewalten sollte jedes Volk im ethnisch-sprach¬ lichen Sinne auch einen Staat für sich bilden, sollten die in verschiedene Staaten zerteilten oder unter fremder Herrschaft stehenden Teile eines Volkes zur staat¬ lichen Einheit gelangen. Man hat in Napoleon dem Ersten den Schöpfer des Nationalitätsprinzips sehen wollen. Seltsamer Gedanke, er, der nach Launen die Länder und Völker immer von neuem durcheinander warf, war von dem Gedanken des Nationalitäts- Prinzips ganz unberührt. Selbst Frankreich war ihm nicht Nationalstaat, sondern nur die Grundlage einer Universalmonarchie, die alles nationale Leben erstickte. Grenzboten l 1916 . 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/237>, abgerufen am 30.04.2024.